Im Herbst sind National- und Ständeratswahlen. In den sozialen Medien posten plötzlich ganz viele Politikerinnen und Politiker in einer Woche mehr als in den ganzen dreieinhalb Jahren zuvor und durch den Blätterwald und den Äther rauschen gehäuft revolutionäre, mutige und spannende Vorhaben der Kandidatinnen und Kandidaten. Allein in diesem Monat sind unzählige Motionen, Interpellationen, Vorstösse und Initiativen eingereicht und Forderungen verkündet worden, die einzig den Zweck haben, für möglichst viel Aufmerksamkeit zu sorgen.
Hier sind die acht besten Vorstösse, an denen das beste ist, dass man ein halbes Jahr nach den Wahlen nachfragen kann, wie denn jetzt diese Vorhaben genau umgesetzt werden:
Die Jungsozialisten stören sich an zu häufigen Stellungswechseln in pornografischem Bewegtbild. Das zeigt ein Positionspapier, das gezielt der «Schweiz am Sonntag» übergeben worden war zufällig kurz vor der eigentlichen Delegiertenversammlung Anfang Juni bei der «Schweiz am Sonntag» gelandet war. Darin kritisieren die Juso «ständige Stellungswechsel» bei Pornos, die Sex in der öffentlichen Wahrnehmung zu einem «akrobatischen Akt» werden lassen. Reguliere sich die Branche nicht selbst, müsse der Staat eingreifen und ein Pornoreglement erlassen.
Nie würde ein weltanschaulich gefestigter SVP-Politiker einem Einsatz von Schweizer Armeeangehörigen im Ausland zustimmen. Ausser wenn Wahlkampf ist, dann geht das. SVP-Nationalrat Andreas Aebi fordert den Bundesrat gemäss BAZ in einer Motion auf, die UNO aufzufordern, in Libyen Betreuungs-Camps für afrikanische Flüchtlinge zu errichten, damit diese gar nicht erst auf die Idee kommen, bis nach Chiasso reisen zu wollen sich bei der Überfahrt über das Mittelmeer nicht in Lebensgefahr bringen müssen. Aebi hat zwar die zitierte Motion nie eingereicht, wäre aber theoretisch bereit, sich «den Einsatz von Schweizer Militärärzten einiges kosten zu lassen». Noch weiter geht Markus Lehmann von der Basler CVP, der sich gar den Einsatz von «Schweizer Soldaten im rückwärtigen Raum» vorstellen könnte.
Auch FDP-Präsident Philipp Müller findet die Idee gut und propagierte sie angesichts des angeblichen Asyl-Chaos' in Chiasso in der «NZZ am Sonntag». Auf die Bemerkung des interviewenden Journalisten, dass dieser Plan «illusorisch» sei, antwortete Müller: «Klar, aber damit komm ich auf jede Titelseite aber es wäre eine intelligente Flüchtlingspolitik.»
Der Basler CVP-Nationalrat Markus Lehmann tritt selten in Erscheinung. Im Wahlkampf aber entwickelt er originelle Ideen. Auch abseits von Flüchtlingscamps in Libyen. Er hat eine Motion eingereicht, in der er den Bundesrat auffordert, in Sachen E-Mountainbikes «gesetzliche Vorschriften zu erlassen in Bezug auf die Zulassung sowie Benutzung von Wander- und alpinen Wanderwegen, aber auch Naturreservaten und Alpstrassen», wie er letzte Woche der «NZZ am Sonntag» steckte. Das hat die «NZZ am Sonntag» vergangene Woche recherchiert.
Die Zürcher Grünliberalen wollten am Montag mittels Postulat das Rechtsabbiegen mit dem Velo bei roter Ampel legalisieren. Die Stadtzürcher Velofahrer, die als Hauptzielgruppe für dieses Wahlkampf-Postulat gelten, reiben sich noch heute verwundert die Augen. Ausser dem grünen-Nationalrat Bastien Girod ist Es ist in Zürich noch nie ein Velofahrer dabei beobachtet worden, wie er an einer roten Ampel vor dem Rechtsabbiegen angehalten hätte. Verbot hin oder her.
Der Aargauer SVP-Nationalrat Ulrich Giezendanner hat PR-Stunts für den Wahlkampf eigentlich nicht nötig, kann aber von der Tradition nicht lassen. Ausnahmsweise verlangt er dieses Jahr keine Formel-1-Rennstrecke in irgendeinem Naturschutzgebiet, sondern doppelstöckige Autobahnen. Im April kündigte er an, in der Sommersession einen entsprechenden Vorstoss einzureichen. Das hatte er zwar überhaupt nie vor, wozu auch, Das muss er irgendwie vergessen haben, dennoch köcheln die Medien die Idee wegen Quotenträchtigkeit munter weiter. Thomas Rohrbach, Sprecher des Bundesamtes für Strassen, bezeichnete die Idee öffentlich als «bestechend». Das ist Sprecher-Code für «kompletter Schwachsinn».
Gross war die Aufregung um einen Hilfsarbeiter in Dürnten (ZH), der wegen einer Leseschwäche jahrelang keine Steuererklärung ausgefüllt hatte und deswegen zuletzt auf ein Einkommen von 500'000 Franken eingeschätzt worden war. Nun springt die Zürcher SP-Nationalrätin Jacqueline Badran auf und verlangt, dass Steuerverfügungen bei «objektiver» Feststellung von «Illetrismus oder schwerwiegenden gesundheitlichen Gründen» jederzeit revidiert werden können und nicht bloss innerhalb der Frist von 90 Tagen. Die Steuerämter werden sich bei Badran, rund 800'000 leseschwachen Schweizern und vermutlich ebenso vielen plötzlich zu Illetristen gewordenen Steuerzahlern bedanken, deren Steuererklärungen sie künftig lieber gleich selber ausfüllen. Einziger Schönheitsfehler von Badrans Vorstoss: «Steuerharmonisierungsgesetz» passt in keine Headline.
Ein Evergreen unter Politikerforderungen, über die Medien im Sommerloch garantiert berichten, ist das Hymnen-Obligatorium an den Schulen. Aktuell fordern dies die Thurgauer SVP-Bildungsdirektorin Monika Knill und ihr Schaffhauser Kollege Christian Amsler von der FDP. Der Schweizerpsalm gehöre in den Lehrplan 21 und müsse von allen Schülern an Schweizer Schulen auswendig gelernt werden. Die Nationalhymne als Pflichtstoff sorgt immer für hitzige Debatten. Besonders die tendenziell linke Lehrerschaft läuft jedes Mal Sturm. Besonders die Musiklehrer finden die Idee immer gut: «Es wäre natürlich schön, wenn wieder mehr in Gruppen gesungen würde», sagt Barbara Zimmerli, Präsidentin der Aargauer Sektion des Schweizerischen Musikpädagogischen Verbands (Zitat aus der analogen Hymnendebatte im Jahr 2008, Anm. d. Red).
Die Zürcher SP-Nationalrätin Chantal Galladé setzt auf die soften Methoden aus dem Handbuch populistischer Politik ein emotionales Thema: Sicherheit der Kinder. Obwohl im Parlament bereits x-fach behandelt und wegen ausreichender Gesetzeslage abschlägig beurteilt, verlangt Galladé, dass körperliche Züchtigung von Kindern verboten wird. Zwar ist diese bereits seit 1961 nicht mehr erlaubt und an Kinder verteilte Ohrfeigen sind strafbare Tätlichkeiten wie alle anderen Ohrfeigen auch, aber das kümmert Galladé nicht. Es geht um eine Botschaft an die Kinder: «Sie sollten wissen, dass niemand sie schlagen darf.» Sobald die Kinder den entsprechenden Paragraphen auswendig gelernt haben, können sie sodann in den Zeugenständen des Landes gegen ihre Eltern aussagen? Es droht ein Vollzugsnotstand.
Imho besser als immer in die Breite.