Eigentlich wollte der Bundesrat das heikle Thema erst nach den Wahlen vom Herbst öffentlich diskutieren. Doch jetzt ist er aufgrund der Einführung des EU-Strommarkts am 1. Juli gezwungen, bereits in den nächsten Monaten einen Entscheid zu fällen, der weitreichende Konsequenzen hat.
Es geht um die Frage, welches Gericht künftig Streitfälle zwischen der Schweiz und der EU beurteilen soll. Will die Schweiz am 1. Juli am europäischen Strommarkt offiziell teilnehmen, muss sie sich einer Gerichtsbarkeit unterwerfen. Brüssel macht dies seit Jahren zur Bedingung sine qua non. Mit anderen Worten: Ohne Gericht keine neuen bilateralen Verträge für die Schweiz.
Der Zeitdruck kommt ungelegen. 2013 beschloss der Bundesrat, der EU als gemeinsames Gericht den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg vorzuschlagen. Dieser beschäftigt rund 2500 Mitarbeiter und ist das oberste Gericht der EU. Der Haken: Es arbeiten dort keine Schweizer.
Der Vorwurf also, die Schweiz unterstelle sich bei der Überwachung der bilateralen Verträge «fremden Richtern», trifft zu. Als Nichtmitglied der EU stellt die Eidgenossenschaft am EuGH per Definition kein Personal.
Dennoch war der Bundesrat bisher überzeugt, der EuGH sei für die Schweiz die beste Lösung bei den so genannt institutionellen Fragen. Aussenminister Didier Burkhalter argumentierte, es gebe einerseits nur wenige Streitfälle zwischen den beiden Parteien und andererseits hätten die Urteile des Gerichts für die Schweiz keinen bindenden Charakter. Bern könne sich ausklinken, wenn fundamentale Interessen bedroht wären. Brüssel dürfe im Gegenzug die Schweiz für ihr Ausscheren büssen.
Die EU und der EuGH selbst sehen dies freilich anders. Für beide ist klar: Ein Urteil des EuGH ist immer zu befolgen. Luxemburg entscheidet abschliessend.
Nun ist aber im Zug der Verhandlungen über eine Assoziation der Schweiz beim Stromabkommen das Efta-Gericht als Alternative wieder ins Spiel gebracht worden. Dieses hat seinen Sitz ebenfalls in Luxemburg. Es überwacht die Einhaltung der Verträge zwischen der EU und den EWR-Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen. Der Schweizer Carl Baudenbacher präsidiert das Gericht. Er ist der offizielle Vertreter Liechtensteins.
Sollte die Schweiz das Efta-Gericht als oberste Instanz akzeptieren, besteht dort im Unterschied zum EuGH die Chance, selber einen Richter zu stellen. Der Vorwurf also, es handle sich um ausschliesslich fremde Richter, trifft nicht mehr zu. Dies ist der Grund, warum Bundesrätin Doris Leuthard schon seit längerem versucht, das Efta-Gericht wieder ins Gespräch zu bringen. Nun scheint ihr dies im Rahmen der Strom-Verhandlungen zu gelingen.
Die EU dürfte dieser Lösung grundsätzlich zustimmen. Brüssel besteht aber darauf, «dass es dieselbe Gerichtsbarkeit sei wie im institutionellen Abkommen, über das man sich mit der Schweiz in Verhandlungen befinde». Es könne keine Sonderlösung für den Strom geben, heisst es bei der EU-Delegation in Bern. Der Bundesrat muss also die innenpolitische heikle Gerichtsfrage bis Ende Juni gleichsam für alle bilateralen Verträge beantworten. Die einmal gewählten Richter sind später auch für die Personenfreizügigkeit oder für den Zugang der Banken zum EU-Markt zuständig.
Klar ist: Das Volk hat das letzte Wort. Für die SVP ist jetzt schon klar, dass sie weder den EuGH noch das Efta-Gericht akzeptieren wird. Der Unterschied sei minim, sagte Christoph Blocher kürzlich in einem Interview mit der «Nordwestschweiz».