Schweiz
Wirtschaft

Verfassungsbruch: Bei Steuerhinterziehern ist er der SVP egal

Die SVP-Nationalraete Andreas Aebi, BE, Hans-Ueli Vogt, ZH, Magdalena Martullo-Blocher, GR und Celine Amaudruz, GE, von links, an der Herbstsession der Eidgenoessischen Raete in der Debatte zur Steuer ...
SVP-Mitglieder gestern im Ratssaal: Trotz Bundesgerichtsurteil und Warnung des Finanzministers stimmten der Vorlage genau jene zu, die gestern die Verfassung noch für das höchste aller Güter hielten: sämtliche SVP-Politiker.Bild: KEYSTONE

Steuerhinterzieher statt Ausländer – und plötzlich ist der SVP der «Verfassungsbruch» schnurz

23.09.2016, 06:5223.09.2016, 14:18
Anna Wanner / Nordwestschweiz
Mehr «Schweiz»

Die langwierige Debatte zur Masseneinwanderungs-Initiative (MEI) steckte vielen Nationalräten auch am Tag danach noch in den Knochen: Die SVP hatte den Befürwortern eines sanften Vorschlags pauschal den Stempel «Verfassungsbrecher» aufgedrückt.

Das war am Mittwoch. Am Donnerstag hat der Wind bereits gedreht, als die SVP mit einer Mehrheit aus FDP und CVP einen Vorstoss annahm, der reuigen Steuerhinterziehern nicht nur eine Amnestie gewährt, sondern ihnen zusätzlich einen Rabatt auf die nachgezahlten Steuern ermöglichen soll.

Jetzt auf

Einladung zur Steuerhinterziehung

SP-Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo (LU) wehrte sich dagegen: Das sei eine Einladung zur Steuerhinterziehung. Zur Illustration zog sie einen Vergleich zum Schwarzfahrer, der dem Kontrolleur sagt, dass er kein Billett habe.

Die Folge sei nicht etwa eine Busse. Nein. Der Schwarzfahrer erhält das Billett zum halben Preis. Kurz: Der Ehrliche, der seine Steuern (oder das Busbillett) bezahlt, ist der Dumme.

Verfassungswidrige Rabatte

Sukkurs erhielt Birrer-Heimo nicht nur aus der eigenen Partei, sondern auch von SVP-Bundesrat Ueli Maurer, der den Antrag zur Ablehnung empfahl. Erstens bestehe bereits heute die Möglichkeit der straflosen Selbstanzeige (Amnestie) und diese sei seit 2010 von mindestens 22'000 Personen genutzt worden, die Vermögen im Wert von 24,7 Milliarden Franken angezeigt hatten. Sprich: Es braucht keine neue Regelung.

Zweitens – und das lässt aufhorchen – habe das Bundesgericht 2015 Rabatte auf Nachsteuern als verfassungswidrig beurteilt. Maurer riet von einem neuen Gesetz ab, weil ein «grosser Konflikt mit der Verfassung» vorliege.

Kleine Unterbrechung gefällig? Unten geht's weiter im Text ...

Diese Politiker hatten auch ein kurzes Gedächtnis – nach dem Motto «Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern ...»

1 / 12
«Der gläserne Bürger droht Realität zu werden!» Moment – über welches Gesetz haben wir gerade abgestimmt?
Der Nationalrat hat dem neuen Nachrichtendienstgesetz zugestimmt. Künftig soll der NDB auch Telefone abhören, Privaträume verwanzen und in Computer eindringen dürfen. Unter den Ja-Stimmen waren einige, die mal noch ganz anders über Privatsphäre und Überwachung sprachen …
Auf Facebook teilenAuf X teilen

Sogar ein Bundesgerichtsurteil gibt's

Tatsächlich hat das Bundesgericht 2015 entschieden, die Steuerpraxis des Kantons Tessin sei verfassungswidrig. Dort gewährte man ab 2013 reuigen Steuersündern nicht nur Amnestie, sondern 70 Prozent Rabatt auf die Nachsteuern. Das Bundesgericht erklärte: Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Rechtsgleichheit werde dadurch verletzt.

Trotz Urteil und Warnung des Finanzministers stimmten der Vorlage genau jene zu, die am Donnerstag die Verfassung noch für das höchste aller Güter hielten: sämtliche SVP-Politiker. Für die Zürcher SP-Nationalrätin Jacqueline Badran geht diese Politik schlicht nicht auf.

Sie spricht von einem «Skandal». Denn vor dem Recht seien alle Bürger gleich. Das sei einer der wichtigsten Grundsätze in unserer Verfassung – und der werde nun von der SVP mit Füssen getreten.

Für die SVP kein Widerspruch

Ein sichtlich enttaeuschter SVP-Nationalrat Hans-Ueli Vogt nach seiner Nichtwahl in den Staenderat fuer den Kanton Zuerich in Zuerich am Sonntag, 22. November 2015. (KEYSTONE/Walter Bieri )
SVP-Nationalrat Hans-Ueli Vogt.Bild: KEYSTONE
«Da kann man unterschiedlicher Meinung sein.»
Hans-Ueli Vogt, SVP

Aus SVP-Sicht besteht in diesem Verhalten kein Widerspruch. Nationalrat Mauro Tuena (ZH) sagt, bei der MEI handle es sich um einen Volksauftrag – bei den Steuern um einen Antrag, ein Gesetz zu erlassen. Ratskollege Hans-Ueli Vogt sagte, bei der Steueramnestie gehe es um die Frage, ob eine Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist, weil sie zum Zweck hat, Leute zur Nachzahlung zu bewegen. «Da kann man unterschiedlicher Meinung sein.» Bei der MEI hingegen bestreite niemand, dass die Verfassung nicht umgesetzt werde.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
272 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Menel
23.09.2016 12:14registriert Februar 2015
Ich bin ja immer noch davon überzeugt, dass sogar die SVP überrascht war, als die MEI angenommen wurde. SVP macht mit Initiativen nur Stimmung, schürt und produziert Ängste und das alles nur dafür, dass sie bei den nächsten Wahlen Stimmen bekommen. Erst DANACH kommt die SVP zu ihren wirklichen Anliegen, nämlich im Parlament ihre wahren Ziele durchzuboxen....und die haben gar nichts mehr mit den Interessen des Volks zu tun.
18513
Melden
Zum Kommentar
avatar
Schnurri
23.09.2016 07:37registriert April 2016
Wann merkt das Volk endlich dass einige SVP-Mitglieder nur in ihre eigenen Taschen politisiert? Hoffentlich bei den nächsten Wahlen. Dies ist schlicht ein Skandal!!!!!! Ich könnte auf meine Steuerrechnung kotzen!
1588
Melden
Zum Kommentar
avatar
Louie König
23.09.2016 08:36registriert Juni 2014
Finde ich super! Das heisst ja, dass ich meine Steuererklärung gar nicht so genau ausfüllen muss. Und danach bekomme ich sogar noch einen Rabatt, wenn ich es ihnen gestehe. Super Sache, das nehme ich. Und das Argument mit dem Schwarzfahren finde ich auch toll, können wir das nicht auch einführen? Dann fahre ich so lange schwarz, bis mich jemand erwischt, ich entschuldige mich artig und zahle nur einen Teil des Originalpreises.
1482
Melden
Zum Kommentar
272
watson gewinnt Podcast-Preis – das sind alle Gewinner der Suisse Podcast Awards 2024

Zum zweiten Mal wurden am Mittwoch, 27. März 2024, die besten Schweizer Podcasts ausgezeichnet. Auf der Shortlist standen 36 Formate, die in 11 verschiedenen Kategorien ausgezeichnet wurden.

Zur Story