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Deutsche ködern Schweizer Firmen, während die Nationalbank gegen die weitere Franken-Aufwertung kämpft

Wird der Schweizer Franken weiter steigen?
Wird der Schweizer Franken weiter steigen?Bild: KEYSTONE

Deutsche ködern Schweizer Firmen, während die Nationalbank gegen die weitere Franken-Aufwertung kämpft

Die Deutschen haben es auf die Schweiz abgesehen, seit der Euro-Mindestkurs aufgegeben worden ist. Sie wollen hiesige Unternehmen dazu verführen, ihren Sitz nach Deutschland zu verlegen. Der starke Franken sorgt bei den Schweizer Firmen weiter für Nervosität. 
08.03.2015, 10:5808.03.2015, 12:07
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Seit der Abkoppelung des Franken-Kurses vom Euro haben deutsche Wirtschaftsförderer Schweizer Unternehmen im Visier. Mit aggressiven Methoden versuchen sie, hiesige Firmen zu bewegen, ihren Sitz in deutsche Länder zu verlegen. 

Einige Regionen sind bereit, viel Geld dafür zu zahlen, dass neue Jobs entstehen. Wie die «NZZ am Sonntag» schreibt, ist die Region Lausitz zwischen Berlin und Dresden bereit, Vermittlern für zehn Arbeitsplätze im produzierenden Gewerbe ein Honorar von 75'000 Euro zu zahlen. Für einen Firmenzuzug mit 30 Arbeitsplätzen kassieren Vermittler 130'000 Euro, und für eine Neuansiedlung mit 100 Stellen lässt Lausitz 360'000 Euro springen.

An speziellen Veranstaltungen werden die Vorzüge der Regionen gepriesen. An einem Anlass in Zürich von Mitte April ist auch Hans Hess als Redner vorgesehen, der Präsident von Swissmem, dem Schweizer Verband der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie. Hess sagt dazu, er werde in einem Referat die Berufsbildung der Schweiz vorstellen.

Hans Hess, Präsident von Swissmem.
Hans Hess, Präsident von Swissmem.Bild: ARND WIEGMANN/REUTERS

Die deutschen Wirtschaftsförderer berichten von einem stark gestiegenen Interesse von Schweizer Firmen, seitdem der Euro-Mindestkurs aufgegeben worden ist. Besonders viele Anfragen kämen von Unternehmen, die ihre Produktion verlagern wollten. Bei den Anfragen würden Schweizer Unternehmer regelmässig ihre Sorge wegen der Währungsentwicklung zum Ausdruck bringen, sagt eine Sprecherin von Baden-Württemberg International. Diese grenznahe Region zählt zu den bevorzugten Zielen für hiesige Unternehmer. In den letzten drei Jahren siedelten sich jeweils rund 100 Schweizer Firmen dort an. Aber auch österreichische Grenzgebiete berichten von grossem Interesse aus der Schweiz.

Es drohen noch höhere Negativzinsen

Währenddessen versucht die Nationalbank mit allen Kräften, dem Aufwertungsdruck auf den Franken entgegenzuwirken. Gemäss SNB-nahen Kreisen zielt das Direktorium auf einen Kurs von Fr. 1.10 pro Euro. Doch die Nationalbankbilanz hat sich im Februar trotz der Aufhebung des Mindestkurses von 1.20 weiter aufgebläht: Die Devisenreserven betragen mittlerweile über 500 Milliarden Franken. Darum gewinnt das Zinsinstrument an Bedeutung, wie die Schweiz am Sonntag schreibt. Gemäss den SNB-nahen Quellen soll der Negativzins weiter erhöht werden, und zwar von −0,75 auf −1,5 Prozent, wenn sich der Kurs in die «falsche Richtung» bewegt, wie es heisst. Der Negativzins soll für ausländische Investoren Anlagen in Schweizer Franken weniger attraktiv machen. 

Aktuell liegt der Euro bei Fr. 1.07, doch die Nervosität ist gross. Denn morgen Montag startet die Europäische Zentralbank (EZB) ihr «Quantitative Easing»-Programm, sie überschwemmt die Märkte nun Monat für Monat mit jeweils 60 Milliarden Euro, was die Einheitswährung weiter abschwächen dürfte. Parlament und Bundesrat betonen zwar die Unabhängigkeit der Nationalbank, aber gegen negative Zinsen gibt es grossen politischen Widerstand. Denn betroffen sind zum Teil Vorsorgegelder der Pensionskassen. Politischen Druck gibt es auch bezüglich Euro-Kurs: Die Linke fordert inzwischen geschlossen die Einführung eines neuen Mindestkurses im Bereich 1.15 / 1.20, wie mehrere Vertreter aus SP und Gewerkschaften gegenüber der Zeitung sagen.

Viel Arbeit für RAVs 
Regionale Arbeitsvermittlungszentren (RAV) rüsten auf im Hinblick auf schlechtere Zeiten. Der Stellenabbau bei den Firmen ist den kantonalen Ämtern für Wirtschaft nicht entgangen. Sie bereiten sich deshalb auf einen grösseren Andrang vor. Laut Marc Gilgen, Leiter des Bereichs Arbeitsvermittlung des Kantons Bern, werden in der Personalberatung bis zu zehn neue Stellen geschaffen. Die Dossierbelastung pro Personalberatendem sei heute «ausserhalb der angestrebten Bandbreite», sagt er zu «Schweiz am Sonntag». Angesichts des starken Frankens sei mit einer schlechteren Wirtschaftsentwicklung und einer Zunahme von Stellensuchenden zu rechnen. Beim Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Aargau heisst es, man prüfe zurzeit, ob und wie viele neue Stellen es in den RAVs brauche. Auch der Kanton Zürich prüft «die Einstellung des einen oder anderen zusätzlichen Personalberaters.» Mit ein Grund für den Ausbau sind Kurzarbeitgesuche. So gingen in Zürich bisher 52 Anträge auf Kurzarbeit wegen der Frankenstärke ein. Zwei wurden nicht bewilligt. In Bern wurden 72 von 83 Gesuchen gutgeheissen. Betroffen sind 1333 Angestellte. St.Gallen, das Tessin und der Thurgau geben an, mit einem Personalaufbau vorerst zuzuwarten.

Firmen nutzen die Gelegenheit, um Stellen abzubauen

Reiner Eichenberger, Wirtschaftsprofessor der Universität Freiburg, stellt die Argumentation der Wirtschaft mit Blick auf die Auswirkungen der Franken-Aufwertung in Frage. Viele Firmen seien mit Spar- oder Reorganisationsplänen bisher am Widerstand vonseiten der Arbeitnehmer, Gewerkschaften oder der Politik gescheitert. «Jetzt wird die Gunst der Stunde genutzt», sagt Eichenberger. «Das würde ich als Unternehmer auch tun.» Man habe nun einfach ein Argument mehr, Massnahmen durchzuziehen. Die wirtschaftliche Lage sei weniger dramatisch als behauptet, findet Eichenberger. «Beim Kurs von 1.20 Franken hatten wir in der Schweiz den höchsten Aussenhandelsüberschuss pro Kopf in ganz Europa», sagt er. 

«Man kann doch nicht sagen, die Schweizer Wirtschaft sei am Anschlag.» Sicher gebe es Firmen, die kämpfen müssten. Aber bei vielen sei noch viel Luft drin. Eichenberger verweist darauf, dass die Wirtschaft noch vor kurzem einen schweren Mangel an Arbeitskräften beklagt habe. In einem Interview kritisiert auch SP-Präsident Levrat die Abbaupläne der Unternehmen. «Die Firmen nehmen den starken Franken als billigen Vorwand, um Arbeitszeiten zu erhöhen und Löhne zu senken», sagt er. «Als wären diese Pläne nicht schon längst gemacht worden!» Levrat spricht von «Trittbrettfahrern und Profiteuren» des starken Frankens. (feb)

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