Mehr als 170'000 Musikfans feierten Superstars wie The Weeknd, Usher und Cro. Einmal mehr war das Openair Frauenfeld restlos ausverkauft. Was wenig überrascht: Das Festival hat sich seit 2007 zum grössten Hip-Hop-Festival Europas entwickelt. Eminem, Kanye West, Jay-Z, Drake, Snoop Dogg, 50 Cent, Kendrick Lamar, Pharrell Williams, OutKast. Alles, was in dieser Szene Rang und Namen hat, war in Frauenfeld.
Jetzt wird das erfolgreiche Schweizer Festival amerikanisch. Der Unterhaltungsriese Live Nation mit Sitz in Beverly Hills, Kalifornien, hat «Frauenfeld» gekauft. Als Gründe nennt das Openair die steigenden Auflagen und Kosten, vor allem Sicherheitskosten. Dazu werde es immer schwieriger, zugkräftige Stars in die Schweiz zu holen.
Der Hintergrund der Übernahme ist jedoch viel fundamentaler. Die Konzertbranche ist im Umbruch und wird gerade umgepflügt. Sie wird radikal internationalisiert und globalisiert. Der wichtigste Antreiber dieser Umwälzung: Live Nation. Ein amerikanischer Konzert- und Unterhaltungsgigant, der weit über 20'000 Konzerte pro Jahr veranstaltet und neben den USA in 42 anderen Ländern aktiv ist. Jetzt ist die Schweiz dran. «Für Live Nation ist das Openair Frauenfeld ein guter, konsequenter Schachzug», sagt dazu Thomas Dürr von Act Entertainment. Die Karten in der Konzertlandschaft Schweiz werden neu gemischt.
Lange funktionierte die Schweizer Konzertbranche national. Schweizer Veranstalter rangen um Stars und André Béchir war der Zampano, der unbestrittene Primus der Schweizer Konzertbranche. Zuerst bei «Good News», dann bei «abc production» holte er die grossen Stars und Superstars in die Schweiz. Seit aber Live Nation in der Schweiz mitmischt und seit 2016 Stadionkonzerte organisiert, verliert Béchir regelmässig grosse Künstler an den amerikanischen Riesen. Zuletzt Coldplay und Depeche Mode. «Loyalität zählt nichts mehr. Du kannst nicht mehr mithalten», sagt Béchir. Denn Live Nation bindet mit seiner Potenz und seinen Mitteln die grossen Megastars an sich und verkauft ganze Welttourneen. Die national agierenden Veranstalter haben das Nachsehen. Jüngstes Beispiel ist der britische Newcomer Rag’n’Bone Man, der im letzten Jahr mit «Human» einen Welthit landete und in der Schweiz von der Musikagentur Gadget betreut wurde. Jetzt ist er von Live Nation unter die Fittiche genommen worden. Der britische Sänger konnte dem verlockenden Angebot nicht widerstehen.
Live Nation fährt zurzeit eine sehr aggressive, expansive Strategie. Kauft alles, was möglich ist. Künstler um Künstler, Festival um Festival, Veranstaltung um Veranstaltung auf der ganzen Welt. Es geht um Grösse und um Marktanteile. In der Schweiz steht Live Nation damit erst am Anfang und hat nur ein kleines Büro in Zürich. Die Amerikaner sind bei den Konzerten noch auf lokale Veranstalter wie Dürrs act entertainment angewiesen.
Doch Live Nation will definitiv in der Schweiz Fuss fassen, ausbauen und weitere Festivals und Openairs übernehmen. «Der Prozess zur Konzentration in der Schweizer Konzert- und Festivallandschaft wird sich weiter verschärfen. Die Marge wird immer kleiner. Die Luft dünner», sagt Christoph Bill, Präsident des Schweizer Veranstalterverbands (SMPA) und Chef des Heitere Open Airs Zofingen. Fragt sich: Welches sind die potenziellen Übernahmekandidaten? Nach dem Muster von «Frauenfeld» ist Live Nation an Festivals interessiert, die eine Ausstrahlung haben und auf eine bestimmte Anzahl Big Shots angewiesen sind. Das sind in erster Linie das Greenfield Festival Interlaken sowie Moon & Stars Locarno. In zweiter Linie das Paléo Festival Nyon, das Jazzfestival Montreux und – mit Abstrichen – die regionalen Openairs von St.Gallen, Gampel und Gurten Bern.
Nicht zuletzt, um den Amerikanern Paroli zu bieten, wurde Anfang Jahr die Fusion von act entertainment und «abc production» angekündigt. Die beiden Schweizer Tochterfirmen der deutschen CTS Eventim, die das Geld vor allem im Ticketing verdient, sollen ihre Kräfte bündeln. Béchir gibt die operative Leitung ab, Thomas Dürr von act entertainment soll übernehmen. Eine Ära geht zu Ende. Doch was sind die Folgen dieser Veränderungen für die Schweizer Musikfans? Tatsächlich ist es für Schweizer Veranstalter immer schwieriger geworden, die Big Shots in die Schweiz zu holen. Die Stadien sind zu klein, die Stars zu teuer, das Risiko zu gross. Und selbst die grossen Schweizer Openairs und Festivals müssen sich immer öfter mit Stars zweiter Klasse zufriedengeben.
Live Nation kann dagegen das unternehmerische Risiko minimieren und bietet gleichzeitig Gewähr, dass die grossen Stars wie Madonna, Beyoncé, U2 und Rihanna keinen Bogen um die Schweiz machen. Zur Freude der Fans. Also alles paletti? Ist es gut, wenn im fernen Kalifornien diktiert wird, wer in der Schweiz auftreten wird? Auf Vorlieben von Schweizer Fans wird dort keine Rücksicht genommen. «Die Idealisten, die Musikfans unter den Veranstaltern, die das Programm mit Herzblut und Leidenschaft gestaltet haben, sind bald weg. Die Liebe zum Detail geht verloren», sagt Béchir.
Die romantische Phase ist also vorbei. Das Openair Frauenfeld ist beispielhaft. Es hat seine Unschuld verloren. Alles wird anonymer. Es wird zu einer reinen Geldmaschine, die Rendite bringen muss. «Die Musikindustrie wird immer mehr zur Industrie», sagt Thomas Dürr. Und die Musik? In der neuen Ära spielt sie nur noch eine untergeordnete Rolle. Auch André Béchir missfällt die Entwicklung. «Es ist nicht gut, wenn nur einer bestimmt», sagt er mit Blick auf die marktbeherrschende Stellung von Live Nation bei den grossen Stars. Denn Live Nation diktiert nicht nur die Künstler, sondern auch die Gagen und die Preise. Im obersten Segment des Konzertbetriebs wird der Wettbewerb ausser Kraft gesetzt. Béchir geht deshalb davon aus, dass schon bald die Ticketpreise steigen werden.
Bitte was? War das OAFF bis jetzt eine ehrenamtlich organisierte Quartierveranstaltung? Die grossen Festivals sind alle seit geraumer Zeit hochkommerzialisierte Geldmaschinen, bei denen die Musik maximal zweitrangig ist.