Walter Kielholz ist seit langem im Geschäft. Der Verwaltungsratspräsident der Swiss Re weiss, dass sein Wort Gewicht hat. Entsprechend haben seine Aussagen in der «Schweiz am Wochenende» durchaus Sprengkraft – zumal die Abstimmung über die Altersreform vor der Türe steht.
Kielholz plädierte dafür, die Pensionierung abzuschaffen. Ein im Arbeitsvertrag festgeschriebenes Rentenalter soll es nicht mehr geben. «Der Arbeitsvertrag läuft einfach weiter.
Es sei denn, dass ihn der Arbeitnehmer kündigt oder dass der Arbeitgeber findet, jetzt kann oder will der Arbeitnehmer die Leistung nicht mehr erbringen», sagt der 66-Jährige. Jeder Arbeitgeber soll mit den Mitarbeitern die individuelle Situation besprechen, was «natürlich anstrengender ist als eine automatische Pensionierung».
Flexibilisierung ist vorgesehen
Was Kielholz nicht sagt: Das Reformpaket, über das die Bevölkerung am 24. September abstimmt, enthält bereits Massnahmen zur Flexibilisierung des Austritts aus dem Erwerbsleben. Es gibt kein Rentenalter mehr, sondern ein Referenzalter. Der Zeitpunkt der Pensionierung soll künftig zwischen 62 und 70 Jahren frei gewählt werden können. Damit trägt die Reform dem Umstand Rechnung, dass sich bereits heute nur rund ein Viertel der Erwerbstätigen zum Zeitpunkt des gesetzlichen Rentenalters pensionieren lässt. «Herr Kielholz setzt sich im Grundsatz also für die Altersreform ein», sagt Nationalrat Thomas Weibel (GLP/ZH) mit einem Seitenhieb an den Ex-Banker, der die Vorlage im Interview als «Chabis» betitelt. Dass Arbeitsverträge nicht mehr automatisch mit 65 Jahren enden sollen, begrüsst Sebastian Frehner. «Es bringt nichts, eine fixe Grenze zu haben», so der Basler SVP-Nationalrat.
Dabei muss man sich die heutige Realität vor Augen führen. Die allermeisten Arbeitsverträge sehen in der Tat ein definiertes Rentenalter vor. In vielen Fällen gibt es aber durchaus die Möglichkeit, auch noch darüber hinaus tätig zu bleiben. Valentin Vogt, Präsident des Arbeitgeberverbandes und VR-Präsident von Burckhardt Compression, macht ein Beispiel aus seiner Firma: Rund die Hälfte der Mitarbeiter würden auch nach dem Renteneintritt mittels «Pensioniertenvertrag» weiterhin für das Unternehmen tätig sein – sofern Bedarf an Arbeitskräften besteht. «Sie machen das gern und sind oftmals sehr flexibel», sagt Vogt.
Diese Praxis hat freilich längst nicht bei allen Firmen Schule gemacht. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) verweist auf einen Forschungsbericht. Dieser zeigt auf, dass Arbeitgeber die Beschäftigung von Personen ab 58 Jahren wesentlich aktiver fördern könnten (siehe auch Kastentext oben rechts).
Für Wirbel sorgen Kielholz’ Rezepte, um die Angestellten zum längeren Arbeiten zu motivieren: Er schlägt vor, dass man ab 65 Jahren keine AHV-Beiträge mehr bezahlen müsste und von steuerlichen Begünstigungen profitieren würde. Damit würden diejenigen, die länger arbeiten wollen, «nicht mehr bestraft, sondern belohnt», so der Wirtschaftskapitän.
«Elitäres Denken»
Während Arbeitgeber-Chef Vogt ein Anreizsystem mit einem höheren Freibetrag bei den Sozialversicherungen als bisher «durchaus begrüssen» würde, hagelt es von Mitte-Links Kritik. «Das ist ungerechtes, elitäres Denken», sagt Nationalrätin Ruth Humbel (CVP/AG). Es würde damit eine steuerliche Zweiklassengesellschaft eingeführt, da die erwerbstätigen Jungen nicht von entsprechenden Sonderkonditionen profitieren könnten. Kielholz solle dafür sorgen, dass auch ältere Personen angestellt werden und so lange arbeiten können, wie sie wollen, so Humbel. Denn in der Versicherungs- und Finanzbranche wird noch immer ein übermässig hoher Anteil der Beschäftigten vor dem eigentlichen Pensionsalter in Rente geschickt. In die gleiche Kerbe schlägt auch der Schweizerische Gewerkschaftsbund. Wer «wie Kielholz auf dem Finanzplatz einen beträchtlichen Flurschaden hinterlassen» habe, sei ohnehin «in einer denkbar schlechten Position, Bundesrat und Parlament Lehren zu erteilen», so Thomas Zimmermann vom SGB.
Offen bleibt die Frage, ob Kielholz’ Vorschläge so kurz vor dem Urnengang beim einen oder anderen Stimmbürger ein Umdenken bewirken. Denkbar wären beide Möglichkeiten: Je grösser die Verunsicherung, desto wahrscheinlicher ist die Ablehnung einer Vorlage. Andererseits stimmen manche möglicherweise erst recht Ja, weil sie sich vor einer persönlichen Ungleichbehandlung fürchten, sofern die Ideen aus der Hochfinanz den Plan B nach einer Ablehnung massgeb- lich prägen würden.
Das Forschungsbüros Infras hat im Auftrag des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) Unternehmen und Arbeitnehmer zum Altersrücktritt befragt. Von den Erwerbstätigen unter 64 beziehungsweise 65 Jahren zeigte eine grosse Mehrheit eine relativ hohe Bereitschaft, unter bestimmten Bedingungen über das ordentliche AHV-Rentenalter tätig zu sein – doch die Arbeitgeber machen nicht immer im volkswirtschaftlich erwünschten Ausmass mit. Es fehlt an Anreizen und an Wertschätzung. Die Arbeitgeber könnten die Beschäftigung von älteren Personen also «wesentlich aktiver fördern», schliessen die Forscher.