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Ein Phantom geistert durch Europa. Es trägt den Namen Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP). Seit drei Jahren verhandeln EU und USA über dieses umfassende Freihandelsabkommen. Letzte Woche veröffentlichte die Umweltorganisation Greenpeace Details aus den geheimen Beratungen. Sie zeigen, wie vor allem die Amerikaner mit harten Bandagen ihre Interessen durchsetzen wollen, etwa beim Export von Gentechmais und Hormonfleisch.
Diese Enthüllung hat den ohnehin grossen Widerstand gegen das Abkommen noch verstärkt. Besonders in Deutschland ist die Opposition massiv – obwohl der «Exportweltmeister» von einem erleichterten Handel mit den USA besonders profitieren würde. Die Abneigung richtet sich nicht nur gegen den «Frankenfood» aus den USA, sondern auch gegen Schiedsgerichte, an denen Unternehmen gegen Staaten klagen können, wenn sie ihr Eigentum in Gefahr sehen.
Ein Scheitern der TTiP-Verhandlungen ist möglich, obwohl mit US-Präsident Barack Obama und Bundeskanzlerin Angela Merkel die beiden mächtigsten Player auf beiden Seiten des Atlantiks betont haben, sie strebten einen Abschluss bis Ende Jahr an. Unter Obamas Nachfolgerin oder Nachfolger könnte es schwierig werden, denn selbst in den USA ist der Begriff Freihandel zum Schimpfwort geworden. Die Präsidentschaftskandidaten Donald Trump und Bernie Sanders polemisieren dagegen, auch Hillary Clinton geht auf Distanz.
Der Zeitplan dürfte zu ambitioniert sein, dennoch sollte man sein Geld besser nicht darauf verwetten, dass TTiP als Fehlschlag enden wird. Zu gross sind die damit verbundenen Interessen nicht zuletzt von Seiten der Wirtschaft. Damit aber dürfte die Schweiz ins Spiel kommen, die bislang nicht nur bei den Verhandlungen abseits steht. Eine vertiefte Debatte findet nicht statt, obwohl die Schweiz «vom TTiP-Abkommen unweigerlich betroffen sein würde».
So steht es in einer Studie, die der Think-Tank Forum Aussenpolitik (Foraus) diese Woche veröffentlicht hat. Sie zeigt, dass die Folgen von TTiP auf die Schweiz weitreichender sein werden, als viele annehmen. Denn TTiP ist mehr als ein traditioneller Freihandelsvertrag, bei dem es um den Wegfall von Zöllen und Handelsschranken geht. Es ist «ein zutiefst politisches Abkommen», heisst es in der Studie. Sollte es in Kraft treten, sind heftige Debatten programmiert.
Für unser exportorientiertes Land sind EU und USA die wichtigsten Handelspartner, sie nehmen zwei Drittel aller Ausfuhren ab. Umgekehrt spielt die Schweiz aus ihrer Optik nur eine geringe Rolle. Falls Europa und Amerika einen grossen gemeinsamen Markt bilden, drohen der Schweiz Nachteile, ähnlich wie bei der Entstehung des EU-Binnenmarktes vor 25 Jahren.
Luzius Wasescha, ehemaliger Schweizer Chefunterhändler bei der Welthandelsorganisation (WTO), schildert in einem Interview mit der «Berner Zeitung» drastische Konsequenzen, für den Fall, dass die Schweiz von TTIP ausgeschlossen bleibt: «Unternehmen würden ihre Produktion in die EU verlagern, um ihre Produkte zollfrei exportieren zu können.» Wirtschaftsverbände wie Economiesuisse plädieren deshalb für eine Teilnahme der Schweiz an TTIP.
Eine Teilnahme an den Verhandlungen hat die Schweiz verpasst. Dabei wäre ein Einstieg möglich gewesen, meint Wasescha. «Aber da wir bei solchen Gelegenheiten immer zuerst all unsere Bedenkenträger besänftigen müssen, fährt halt der Zug für die Schweiz immer wieder ab. Dass wir immer so wahnsinnig Angst haben vor allem, ist eine grosse Schwäche der Schweiz.»
"Durch Assoziierung an #TTIP könnte die Schweiz über die Regeln mitbestimmen", sagt @UeliStaeger #Einfluss pic.twitter.com/ZnssK9AsrX
— foraus (@foraus) 10. Mai 2016
Falls das Abkommen zustande kommt, kann die Schweiz möglicherweise als Drittstaat beitreten. Allerdings könnte sie kaum mehr mitreden, es gälte die Devise «Take it or leave it». Aus Sicht der Foraus-Studie ist ein solcher Beitritt sehr unwahrscheinlich, denn er würde auf eine dynamische Übernahme von wirtschaftlichen Regularien hinaus laufen. In der Schweiz ist dies ein heisses Eisen, wie der wachsende Widerstand gegen ein institutionelles Abkommen mit der EU zeigt.
Foraus-Autor Ueli Stäger schlägt vor, dass die Schweiz sich mit Norwegen, Island und Liechtenstein verbündet, ihren Partnern in der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA). Gemeinsam haben die vier Länder wiederholt Abkommen ausgehandelt, zuletzt Ende April mit den Philippinen. Stäger propagiert eine «ambitionierte politische Allianz» der EFTA-Länder, die etwa ein Parallelabkommen zu TTIP mit den USA abschliessen könnte.
Der Vorschlag hat einen Haken: Norwegen, Island und Liechtenstein sind Mitglieder des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) und damit weit stärker mit der EU verbunden als die Schweiz, die sich dieser Option verweigert hat und auf bilaterale Verträge setzt. Dies dürfte die drei Länder bezüglich einer TTIP-Teilnahme in eine ungleich bessere Ausgangslage versetzen. Ein Parallelabkommen mit den USA könnte für sie schlicht keinen Sinn machen.
In der Schweiz wehrt sich vor allem eine «unheilige Allianz» aus Rotgrün und Landwirtschaft gegen eine TTIP-Beteiligung. Die Grünen lehnen sie «kategorisch» ab, teilten sie letzte Woche nach den Greenpeace-Enthüllungen mit. Für die SP gefährden solche Abkommen «Demokratie, Service Public und ökologische Standards». Der Bauernverband erklärt, er sei «nicht grundsätzlich» gegen ein Freihandelsabkommen, äussert jedoch klare Bedenken gegenüber TTIP.
Kaum ein Land schützt seine Landwirte so stark vor den Widrigkeiten des Freihandels wie die Schweiz. Aus diesem Grund scheiterte ein Abkommen mit den USA vor zehn Jahren: Der Bundesrat brach die Verhandlungen auf Druck der Agrarlobby ab. Auch jetzt gibt Bauernverbandspräsident und CVP-Nationalrat Markus Ritter den Tarif durch. Wenn TTIP in der derzeit diskutierten Form komme, «wird es wohl im Parlament wie auch vor dem Volk chancenlos sein». Niemand wolle Hormonfleisch und Genfood, sagte Ritter der «NZZ am Sonntag».
Dies bringt vor allem CVP und SVP in die Zwickmühle. Sie haben die meisten Bauernvertreter im Parlament in ihren Reihen. Eine Zerreissprobe zwischen Neoliberalen und Traditionalisten droht insbesondere der SVP. Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher drückte sich gegenüber der «NZZ am Sonntag» um eine klare Stellungnahme zu TTiP herum.
Ein Hindernis für eine Teilnahme der Schweiz dürfte der ungeklärte Streit über die Zukunft der Bilateralen mit der EU darstellen. Seit der Abstimmung über die Masseneinwanderungs-Initiative halte sich die Begeisterung der EU gegenüber der Schweiz auch beim Thema Freihandel in Grenzen, meint Luzius Wasescha. Eine konstruktive TTIP-Debatte zwischen der EU und der Schweiz sei aus diesem Grund unwahrscheinlich, heisst es auch in der Foraus-Studie.
Ob TTIP kommen wird oder nicht, bleibt offen. Die offizielle Schweiz hält sich weitgehend bedeckt. Eine Arbeitsgruppe mit Teilnehmern aus verschiedenen Departementen untersuche derzeit, welche Auswirkungen das Abkommen auf die Schweiz haben könnte, teilte das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) der Nachrichtenagentur SDA mit. Es zeigte sich zuversichtlich, dass ein Mitmachen der Schweiz möglich sein sollte.
In diesem Fall aber droht der Schweiz ein Polit-Showdown, der sich gewaschen hat. Das Foraus-Papier bringt es auf den Punkt: «Politische Isolation stellt in einer globalisierten Welt keine Garantie mehr dar für wirtschaftliche Unabhängigkeit und Wohlstand.» Eine «mutige Debatte» zum Thema sei deshalb nötig. Oder wie es der Titel der Studie besagt: Die Schweiz muss entscheiden, ob sie bei TTIP «mit am Tisch sitzen oder auf der Menükarte stehen will».