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Unser Strassennetz kommt in die Jahre – jetzt wirds teuer

Personenwagen und Lastwagen stauen sich im Abendverkehr neben einer Baustelle auf der Autobahn A1 auf der Nordumfahrung Zuerich vor dem Nordportal des Gubrist Tunnels, aufgenommen am Montag, 26. Juni  ...
Engpässe: Die Nordumfahrung Zürich wird auf sechs Spuren ausgebaut.Bild: KEYSTONE

Unser Strassennetz kommt in die Jahre – jetzt wird's teuer

Über Jahre hat der Bund beim Unterhalt der Autobahnen zu wenig ausgegeben. Nun präsentiert sich die Rechnung für die Versäumnisse der Vergangenheit. Wenn die Schweiz nicht Milliarden investiert, drohen Schlaglöcher und noch mehr Staus.
09.09.2017, 15:5610.09.2017, 08:36
Niklaus Vontobel / schweiz am wochenende
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Ein Artikel von Schweiz am Wochenende
Schweiz am Wochenende

Hinten, im Fazit des Berichtes, finden die Experten deutliche Worte. «Es ist daher unbedingt erforderlich, die finanziellen Anstrengungen zugunsten des Nationalstrassennetzes zu erhöhen», schreibt da das Bundesamt für Strassen (Astra). 

Erstmals überhaupt hat das Astra einen Bericht publiziert zum Zustand des gesamten Nationalstrassen-Netzes. Die generelle Botschaft war nur halbwegs erfreulich: Das Strassennetz befinde sich «noch» in einem guten Zustand. Noch. 

Der Zustand wird offenbar nicht gut bleiben, wenn die Schweiz nicht mehr tut. Die Nationalstrassen würden schlechter, schon seit 2008, so die Astra-Experten. «Die Entwicklung der Zustandswerte deutet tendenziell auf eine Verschlechterung des allgemeinen Netzzustandes hin.»

Strasse
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«Die zurzeit für den Unterhalt vorgesehenen Ausgaben reichen nicht aus, da zu wenig finanzielle und personelle Ressourcen zur Verfügung stehen.» Mehr Geld braucht es also. 

Der neue NAF (Fonds für die Nationalstrassen und den Agglomerationsverkehr) wird ab 2018 zusätzliche Mittel einschiessen. Das Astra schreibt, damit seien die Ausgaben für alle Ausbauten gedeckt, ebenso für Unterhalt und Betrieb. 

«Tatsache ist jedoch: Die Nationalstrassen verfügen über sehr viele Kunstbauten, die in den nächsten Jahrzehnten totalsaniert werden müssen.»
Thomas Hardegger, SP-Nationalrat (ZH)

Unbekannte 383 Kilometer

Doch das gilt bereits nicht mehr für die 383 Kilometer Strassen, die das Astra 2020 von den Kantonen übernehmen wird. «Wir wissen nicht genau, wie es um diese Strassen steht. Also kennen wir auch den Finanzbedarf nicht im Detail», so das Astra auf Anfrage. Für diese Strassen brauche es zudem neues Personal. Aber dies sei ein politischer Entscheid. 

Eine klare Meinung hat Avenir Suisse. Der NAF genüge nicht, findet der Think-Tank der Wirtschaft – und spricht von einer Kostenspirale. Die Schweiz müsse davon abkommen, Engpässe mit immer noch mehr Infrastruktur-Milliarden beheben zu wollen. «Der NAF ist ein Beispiel für diese Denkweise. Ändert das nicht, steuern wir auf massive Kosten und wachsende Verkehrsprobleme zu», sagt Experte Daniel Müller-Jentsch. 

«Beim Nationalstrassen-Netz ist der Nachholbedarf unbestritten gross. Das ist ein Versäumnis der Vergangenheit.»
Thierry Burkart, FDP-Nationalrat (AG)

Das Nationalstrassen-Netz musste ein gewaltiges Wachstum verkraften. Seit 1990 verdoppelten sich die gefahrenen Fahrstunden, 2016 wurden erstmals mehr als 27 Milliarden Fahrkilometer zurückgelegt. Die Belastung steigt. Die Staustunden steigen seit einigen Jahren überproportional. Eine Zunahme des Verkehrs um 30 Prozent seit 2005 bewirkte eine Zunahme der Staustunden um 100 Prozent. 

Der Ferienreiseverkehr staut sich am Samstag, 15. Juli 2017, bei Erstfeld vor dem Gotthard-Tunnel in Richtung Sueden bis auf 12 Kilometer Laenge. (KEYSTONE/Urs Flueeler)
Mehr Staustunden: Hier staut sich der Verkehr am Gotthard. Bild: KEYSTONE

Dennoch hat die Schweiz zu wenig in den Unterhalt investiert. 2016 nur 0,9 Prozent des Wiederbeschaffungswertes des Nationalstrassen-Netzes. Internationale Experten empfehlen jedoch 1,5 Prozent. Das Astra hofft, dass 1,2 Prozent ausreichen werden. 

Es braucht mehr Geld; die Frage ist nur, wann. In der Politik scheint das Konsens zu sein. 

Der Zürcher SP-Nationalrat Thomas Hardegger, Mitglied der Verkehrskommission, sagt, die künftigen Kosten für Betrieb und Unterhalt würden unterschätzt. Es werde zu sehr auf die gegenwärtigen Kosten abgestellt. 

«Heute muss nicht mehr nur der Belag erneuert werden, wenn Strassen nach zwanzig Jahren zu sanieren sind.»
Astra

«Tatsache ist jedoch: Die Nationalstrassen verfügen über sehr viele Kunstbauten, die in den nächsten Jahrzehnten totalsaniert werden müssen», sagt Hardegger. Daher müsse die Schweiz nun zuerst in die bestehenden Strassen investieren, bevor sie an neue Bauten denke. Hardeggers Kommissions-Kollege, der Aargauer FDP-Nationalrat Thierry Burkart, betont, der NAF habe viele Verbesserungen gebracht. «Aber damit sind natürlich nicht alle Probleme aus der Welt geschafft. Beim Nationalstrassen-Netz ist der Nachholbedarf unbestritten gross. Das ist ein Versäumnis der Vergangenheit.» 

Personal am Anschlag

Von daher werde es neue Gelder brauchen, sagt Burkart. Der Vizepräsident des Touring Club Schweiz (TCS) fügt an: «Aber nicht in den nächsten zwei Jahren, vielleicht in drei bis vier – das wird man sehen.» 

Das Astra betont auf Anfrage, dass mit dem NAF eine echte Lücke in der Finanzierung verhindert worden sei. Gleichzeitig erinnert das Amt daran, dass die Bauarbeiten laufend teurer werden. «Heute muss nicht mehr nur der Belag erneuert werden, wenn Strassen nach zwanzig Jahren zu sanieren sind.» Es gebe neue Normen zur Sicherheit, zu Lärm- und Umweltschutz oder Wildtierbrücken. «Das alles kostet Geld. So viel, dass reine Ausgaben für die Strasse heutzutage nicht mehr den Hauptbrocken ausmachen.» 

Geld ist nur das eine. Die Mitarbeiter werden knapp – beim Bund wie in der Bauwirtschaft. «Wir können die Bauindustrie nicht mit Projekten überfahren, noch kann sie die Aufträge verarbeiten», sagt das Astra. Es brauche Projektleiter, Bauingenieure oder Spezialisten, etwa für die Lüftung von Tunneln. «Aber der Markt an Fachkräften ist in der Schweiz beschränkt, insbesondere Bauingenieure gibt es nicht allzu viele.» 

Das Gleiche gilt für die Mitarbeiter beim Bund. «Das Personal bei uns kommt irgendwann an den Anschlag. Wir hatten schon Bauingenieure, die gesundheitliche Probleme bekamen, weil sie nachts und am Wochenende auch noch arbeiteten», so das Astra. Aber wesentlich mehr Leute könne man im heutigen Finanzierungsrahmen nicht anstellen. «Die Ingenieurbüros, die wir von Fall zu Fall beiziehen, sind teilweise auch bereits voll ausgelastet.» 

Die Schweiz muss ihre Strassen sanieren, ihre Brücken und Tunnel. Die Wirtschaft stellt sich auf mehr Arbeit ein. Gerd Aufdenblatten, CEO des Zementherstellers Holcim Schweiz, sagt: «In der öffentlichen Infrastruktur gibt es keine allzu grossen Lücken mehr. Dennoch gehen wir davon aus, dass der jährliche Verbrauch an Zement in den nächsten Jahren in etwa gleich bleiben wird.» Vieles müsse saniert werden, einige öffentliche Bauten seien in die Jahre gekommen. 

Finanzbedarf Strassenverkehr, Baujahr Autobahnbrücken, Grafik Schweiz am Wochenende
 

Wenigstens kommt man oftmals um einen Abriss und Neubau herum. Beim Viadukt Chillon im Kanton Waadt genügte eine Sanierung. Aufdenblatten: «Man kann eine relativ dünne Schicht darüber ziehen von einem Beton mit einer sehr hohen Dichte.» Das sei, als ob man einen Leim darüberstreichen würde, mit dem die Brücke sich wieder halten könne. «Das kostet viel weniger als ein Abriss und Neubau.» 

Der CEO von Implenia, dem grössten Bauunternehmen der Schweiz, sagte kürzlich: «Der Zustand der Infrastruktur wird immer schwieriger, auch in der Schweiz. Aber man hat noch nicht so richtig mit den Sanierungen begonnen, das kommt erst.» Immerhin: Zustände wie in Deutschland gebe es in der Schweiz jedoch nicht. «Dort gibt es eine grosse Anzahl von Brücken, wo es langsam gefährlich wird.»

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57 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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TheMan
09.09.2017 16:52registriert April 2015
Man kann ja noch mehr Leute in die Schweiz lassen. Das gesamte kommt dadurch, das immer mehr Autos auf unseren Strassen fahren. Da wir ja die Zuwanderung durch Linke Politik nicht Steuern wollen.
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atomschlaf
09.09.2017 16:16registriert Juli 2015
«Heute muss nicht mehr nur der Belag erneuert werden, wenn Strassen nach zwanzig Jahren zu sanieren sind.» Es gebe neue Normen zur Sicherheit, zu Lärm- und Umweltschutz oder Wildtierbrücken.

Diese Normen sollten aber auch periodisch auf Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit geprüft werden, statt sie immer nur zu verschärfen und damit Strassenbau und -unterhalt immer noch komplexer und teurer zu machen - bis dieser eines Tages nicht mehr finanzierbar ist.

Sicher, man sollte nicht wieder Strassen bauen wie in den 60er Jahren, aber eine etwas kritischere Haltung wäre dringend angebracht.
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Ovolover
09.09.2017 19:41registriert März 2016
Dass beim Stichwort Stau der Gotthard mit Bild erscheint, ist tendenziös. Die meiste Zeit im Jahr läufts dort flüssig und Stau ist die Ausnahme, während Stau in den Nadelöhren des Mittellandes an der Tagesordnung ist.
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