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Die Rufmord-Kampagne gegen Christa Markwalder – eine Tragödie in 5 Akten

Christa Markwalder im Nationalratssaal am 6. Mai 2015, dem Tag der NZZ-Enthüllungen über ihre umstrittene Interpellation bezüglich Kasachstan. 
Christa Markwalder im Nationalratssaal am 6. Mai 2015, dem Tag der NZZ-Enthüllungen über ihre umstrittene Interpellation bezüglich Kasachstan. Bild: KEYSTONE

Die Rufmord-Kampagne gegen Christa Markwalder – eine Tragödie in 5 Akten

Die «Kasachstan-Affäre» um die designierte Nationalratspräsidentin ist zur «Markwalder-Affäre» geworden. Es geht längst nicht mehr um die Sache. Sondern um Auflage, Wählerstimmen und Frauen-Bashing.  
19.05.2015, 10:0422.05.2015, 16:42
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FDP-Nationalrätin Christa Markwalder hätte nächstes Jahr Nationalratspräsidentin und damit höchste Schweizerin werden sollen. Das wird nicht klappen. Die Geschichte einer Rufmord-Kampagne:

Prolog 

Februar 2012: Beim Bundesamt für Justiz, wenige 100 Meter hinter dem Bundeshaus an der Marzillistrasse, geht ein Rechtshilfegesuch ein. Der Absender ist Kasachstan, ein autokratisch geführtes Land in Zentralasien. 

Das Begehren: Untersuchung gegen und Auslieferung eines gewissen Viktor Chrapunov. Dieser, ein ehemaliger Vertrauter des kasachischen Staatschefs, habe mit krummen Immobiliengeschäften in Kasachstan 250 Millionen beiseite geschafft, die er nun in der Genfersee-Region mit weiteren Immobiliengeschäften wasche. 

Die Genfer Staatsanwaltschaft leitet ein Verfahren wegen Geldwäscherei gegen Chrapunov ein. 

1. Akt: Die Interpellation

Es ist der 21. Juni 2013. Eine Hitzewelle geht zu Ende, es gewittert heftig über Bern.

Christa Markwalder reicht am letzten Tag der Sommersession eine Interpellation, also eine einfache Frage an den Bundesrat, ein. Die Fragen sind im Kern: Wie sind die diplomatischen Beziehungen zwischen der Schweiz und Kasachstan? Inwiefern setzt sich die Schweiz im Demokratisierungsprozess des autoritär geführten Landes ein? Wie bekämpft die Schweiz Korruption in Kasachstan? 

Die entscheidende Frage ist die sechste und letzte: «Wie ist der Stand im Verfahren gegen Viktor und Leila Chrapunov, und inwiefern belastet dieser Fall die Beziehungen der Schweiz zu Kasachstan?» 

Wie verhängnisvoll diese letzte Frage für ihre politische Karriere zwei Jahre später sein würde, weiss Markwalder an diesem Freitag im Sommer 2013 noch nicht.  

Unter wolkenverhangenem Himmel verlässt sie das Bundeshaus. Die Hitze-Sommersession 2013 ist Geschichte. 

2. Akt: Der Gegenschlag

Im Sommer 2014 füllen sich irgendwo in Neuseeland die Server einer Filesharing-Seite mit Unmengen von Daten aus gehackten E-Mail-Konten. Empfänger und Absender der Mails sind der kasachische Generalstaatsanwalt und der angebliche kasachische Oppositionspolitiker Asat Peruaschew. 

Hacker, Anwälte, Detekteien von Ex-Geheimdienstlern, PR-Leute stehen in ihren Diensten. Und: Die Lobbyistin Marie-Louise Baumann, eine Freundin von Nationalrätin Christa Markwalder.

Auf dem russischen Blog kaza.wordpress.com kündigen Unbekannte schrittweise die Publikation der rund 48'000 E-Mails aus der kasachischen Führungsriege an. Die Urheber des Hacks sind Unbekannte aus dem Umfeld des Dissidenten Chrapunov, der in Genf festsitzt und das kasachische Lobbying in der Schweiz gegen ihn beenden will. 

Die veröffentlichten E-Mails von Peruaschev und dem Generalstaatsanwalt zeigen, mit welch unbeschränkten Mitteln die kasachische Führung gegen ihre Dissidenten im Ausland vorgeht. Hacker, Anwälte, Detekteien von Ex-Geheimdienstlern, PR-Leute stehen in ihren Diensten. Und: Die Lobbyistin Marie-Louise Baumann, eine Freundin von Nationalrätin Christa Markwalder. 

3. Akt: Die Bubenspielchen

Am 21. Januar 2015 publiziert die NZZ erstmals aufgrund der gehackten E-Mails aus der kasachischen Führungsriege. Gegenstand der Berichterstattung: Thomas Borer. Der Ex-Botschafter hat ein Mandat der Kasachen, um in Sachen Chrapunov Druck zu machen auf die Bundesanwaltschaft, auf die Verwaltung und auf den Bundesrat. Und zwar via Parlamentarier. Es ist auch gelistet, was Borer für seine Dienste kassiert: 30'000 Dollar pro Monat. 

Die Geschichte von Thomas Borer und Christian Miesch, die für 30'000 Franken pro Monat unter anderem Interpellationen schrieben und einreichten – versandet.
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Bild: watson

Für diese Pauschale hat Borer dem SVP-Nationalrat Christian Miesch unter anderem* beim Formulieren einer Interpellation in Sachen Kasachstan «geholfen», wie er unumwunden zugibt. Das sei ganz normal. Die Interpellation, die Miesch in der Herbstsession 2014 eingereicht hat, ist um einiges deutlicher als diejenige Markwalders aus der Sommersession 2013. Dass Chrapunov unrechtmässig erworbenes Vermögen in Genf wasche, stellen Miesch/Borer als Fakt dar und fragen den Bundesrat, wann die Schweiz gedenke, Chrapunov seiner «gerechten Strafe» zuzuführen. 

NZZ vom 21. Januar 2015. 
NZZ vom 21. Januar 2015. 

Auch Markwalder hat die Interpellation Miesch unterschrieben. Doch es passiert nichts weiter. Borer seift Journalisten ein, Miesch macht den zerknirschten Sündenbock. Die Medien haben derweil SVP-Agenda und Katastrophen zu berichten. Anfang Februar stellt der Bundesrat seinen Umsetzungsvorschlag für die Masseneinwanderungs-Initiative vor. Ende Februar gibt Roger Köppel seine Nationalratskandidatur bekannt, Anfang März sind Abstimmungen und Ende März stürzt eine German-Wings-Maschine ab.  

Zwar werden die Behörden wegen Borer* aktiv, aber das macht nichts. Die Geschichte von Thomas Borer und Christian Miesch, die für 30'000 Franken pro Monat unter anderem Interpellationen schrieben und einreichten, versandet

4. Akt: «7188.– für Vorstoss»

Marc Comina, welscher PR-Berater von Viktor Chrapunov und Ex-FDPler, hat sein Ziel verfehlt. Mit der Borer-Enthüllung ist es nicht gelungen, das Lobbying des kasachischen Regimes gegen seinen Klienten in Verruf zu bringen und damit abzustellen. Die Borer-Geschichte hat schlicht zu wenig Schaden angerichtet. 

Im zweiten Anlauf gelingt es. Comina hilft der NZZ eine weitere Serie von E-Mails auszuwerten und zur Geschichte zu machen. Diesmal ist die Ausgangslage für ein spannendes Drama vielversprechender. Involviert sind eine renommierte PR-Firma, die Grand Old Lady des Lobbyismus im Bundeshaus und die hübsche junge designierte Nationalratspräsidentin der FDP. 

Im Gegensatz zu Miesch und Borer haben alle drei noch einen Ruf zu verlieren.

Falls nicht irgendeine Flugzeug-, Natur- oder sonstige Katastrophe dazwischenkommt, sind jetzt alle Zutaten für eine grosse Rufmord-Kampagne beisammen. Denn mit dem E-Mail-Verkehr zwischen Lobbyistin Marie-Louise Baumann und den Kasachen (siehe Infografik) kann Comina den Journalisten bis auf den Rappen genau sagen, was Baumann für Formulierung und Einreichung der Interpellation Markwalder verrechnet hat: 7188 Franken und 48 Rappen. 

Nun steht Markwalder schon mit dem Rücken zur Wand. Innerhalb zweier Tage ist sie als bestechlich, lügnerisch und ignorant gebrandmarkt worden.

Am 6. Mai 2015 publiziert die NZZ den Artikel, der Markwalder das Amt als Nationalratspräsidentin kosten dürfte. Aus dem NZZ-Titel «Der lange Arm der Lobbyisten ins Bundeshaus» wird bei den Onlinemedien rasch «Kasachen zahlten 7000 Fr. für Markwalder-Vorstoss»

Markwalder, offenbar nicht darüber im Bild, was Burson-Marsteller-Lobbyistin Marie-Louise Baumann mit den Kasachen alles besprochen hat, reagiert verständnislos und fragt: «Wo ist die Geschichte?» Marie-Louise Baumann behauptet, Markwalder habe alles gewusst. Der «Blick» titelt: «Wer lügt in der Kasachen-Affäre?» 

Nun steht Markwalder schon mit dem Rücken zur Wand. Innerhalb zweier Tage ist sie als bestechlich, lügnerisch und ignorant gebrandmarkt worden. Ihr Fall ist – anders als der von Borer und Miesch – zur «Affäre» geworden. «Affäre» ist ein mediales Perpetuum mobile und wer in dessen Zentrum steht, kommt nie sauber raus. Die Wahrheit interessiert im Nachhinein niemanden mehr. 

Derweil portraitiert der «Blick» die «Kasachen-Markwalder» als trinkende, rauchende und verruchte Pool-Partys schmeissende Festnudel. 

Mangels alternativer News-Grossereignisse und wegen guter Reichweiten im Onlinebereich müssen «Tages-Anzeiger», NZZ, «Blick» und «20 Minuten» als Print- und Online-Leitmedien die «Affäre Markwalder» weiterziehen. Nachdem die Geschichte am Mittwoch, 6. Mai, losgeht, stampfen die Tageszeitungen Doppelseiten aus dem Boden, sämtliche Newsportale, TV- und Radiosender walzen die «Affäre Markwalder» mangels Zeit für Recherche mit Allgemeinplätzen zu Lobbying und Kommentaren über den Schaden für die Schweiz aus. 

Derweil portraitiert der «Blick» die «Kasachen-Markwalder» als trinkende, rauchende und verruchte Pool-Partys schmeissende Festnudel.  

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Die Meldung der NZZ zwei Tage später, dass sich Borer-Freund und SVP-Nationalrat Miesch sowie FDP-Nationalrat Walter Müller für über 60'000 Franken haben Reislein nach Kasachstan bezahlen lassen, knirschen die beiden routiniert weg. «Tut mir leid», «Im Nachhinein ungeschickt», «Transparenz sicher ungenügend», heisst es. 

Die beiden entgehen übermässigem Bashing: Am Donnerstag sind für die EU wegweisende Wahlen in England, was die Kommentatoren in den Medien am Freitag und Samstag etwas absorbiert.

5. Akt: Rette sich, wer kann!

Dann lassen die «SonntagsZeitung» und der «Sonntagsblick» die nächste vermeintliche Bombe platzen. Markwalder habe «Geheimnisse» aus der Aussenpolitischen Kommission «an Kasachstan verraten», so die Headline der «SonntagsZeitung» am 10. Mai.

«SonntagsZeitung» vom 10. Mai 2015: gut zugespitzt.
«SonntagsZeitung» vom 10. Mai 2015: gut zugespitzt.

Markwalder hatte die Antworten des Bundesrates auf eine Kommissions-Interpellation an Marie-Louise Baumann weitergereicht. Diese schickte sie nach Kasachstan. Die Antworten des Bundesrates auf die zwei Fragen, die Kasachstan und wiederum das Verfahren Chrapunov betreffen, könnten nichtssagender nicht sein. Auch wenn Markwalder damit das Kommissionsgeheimnis vermutlich verletzt hat, handelt es sich um einen Dutzendvorgang, der es unter normalen Umständen nie auf die Titelseite irgendeiner Zeitung schaffen würde.   

Doch nun bricht Panik aus. Zumindest bei FDP-Parteipräsident Philipp Müller. Die «Affäre Markwalder» droht den schönen Aufwärtstrend der Partei kaputt zu machen, deren Image er seit den letzten Parlamentswahlen vor vier Jahren in mühsamer Medienkleinarbeit vom suspekten Filz-Freisinn zum properen Werkplatz-Freisinn geredet hatte. Nach einer ausserordentlichen Sitzung der Parteileitung am 11. Mai zahlt Walter Müller – vom Parteipräsidium «gerügt» – sein Kasachstan-Reislein selbst, Markwalder kriecht noch am selben Tag in einem Exklusiv-Interview mit dem «Blick» zu Kreuze und Marie-Louise Baumann, über 20 Jahre lang selbst im FDP-Sekretariat tätig, entschuldigt sich öffentlich. Die FDP-Nationalrätin Corina Eichenberger verlangt von Baumann mit sofortiger Wirkung das Besucherbadge für die Wandelhalle im Bundeshaus zurück. 

Die Sonntagszeitungen bemühen das letzte Aufgebot in einer Geschichte, aus der nichts mehr herauszuholen ist: Kläger, Anzeige, Verfahren.

Doch der Befreiungsschlag gelingt nicht. Es folgt eine kurze, newsarme Auffahrtswoche. Die Leitmedien treiben die Lobbying-Debatte auf der Metaebene weiter und die Sonntagszeitungen bemühen das letzte Aufgebot in einer Geschichte, aus der nichts mehr herauszuholen ist: Kläger, Anzeige, Verfahren. 

SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli, der sich laut eigenen Angaben rund drei Millionen Franken für seine wissenschaftlichen Unternehmungen von Krankenversicherern und Pharmaindustrie hat bezahlen lassen, kündigt in der «SonntagsZeitung» an, dass er Markwalder bei der Bundesanwaltschaft wegen Verletzung des Kommissionsgeheimnisses anzeigen werde, sollte das niemand anderes tun. 

Die «Schweiz am Sonntag» schreibt die bisherige Bilanz aus der «Affäre Markwalder» gleich auf den Titel: «Es wird eng».

«Schweiz am Sonntag» vom 17. Mai 2015: Haarscharf analysiert.
«Schweiz am Sonntag» vom 17. Mai 2015: Haarscharf analysiert.

Und Philipp Müller? In Erwartung weiterer Sonntagszeitungs-Aktivitäten lässt FDP-Präsident Philipp Müller Markwalder fallen. «Das entscheide nicht ich, das wird das Parlament entscheiden», sagt er am Samstag auf die Frage, ob Markwalder noch Nationalratspräsidentin werden könne. Und: «Mein Job ist es, die Interessen der Partei zu vertreten – und Schaden von ihr abzuwenden. Ich werde, um dieses Ziel zu erreichen, keine Rücksicht auf die Befindlichkeiten von einzelnen Personen nehmen.»

Epilog

Am 1. Juni hört das Nationalratsbüro Christa Markwalder in der Sache der herausgegebenen Kommissions-Antwort an. Bis dahin sind Markwalder die Hände gebunden. In diesen zwei Wochen und auch darüber hinaus wird mit ihrer «Affäre» Wahlkampf betrieben.  

Die FDP droht als Aufsteigerin der letzten kantonalen Wahlen auf Kosten anderer bürgerlicher Parteien zu gewinnen. Und solange die Lobbying-Debatte in den Medien weitergeführt wird, zeigen sämtliche bürgerlichen Politiker und deren Lobbyisten mit dem Finger und jedem noch so kleinen Beitrag an die journalistische «Recherche» in Richtung Markwalder. 

Die politischen Gegner der FDP schlagen damit zwei Fliegen mit einer Klappe: Sie schaden der politischen Konkurrenz und deren Aushängeschild. Und niemand spricht von ihren eigenen Lobbying-Verfehlungen.

* Korrekturen: In der ursprünglichen Fassung dieses Artikels fehlte das «unter anderem». Falls dadurch der Eindruck entstanden sein sollte, Borer habe für die Interpellation Miesch eine Pauschale von 30'000 Dollar verrechnet, wäre dies falsch. Die 30'000 Dollar pro Monat verrechnete Borer für alle seine Dienstleistungen für das kasachische Justizministerium.

Ebenso hiess es in der ursprünglichen Fassung, statt «wegen» seien die Behörden «gegen» Borer aktiv geworden. Das ist falsch, Bundesanwalt Lauber hat wegen Borers Mails abklären lassen, ob eine Untersuchung eingeleitet werden müsse. Wir bitten um Entschuldigung für diese Ungenauigkeiten. 

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46 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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goschi
19.05.2015 14:33registriert Januar 2014
Danke Watson, für diese saubere, sachliche und angenehm unaufgeregte Aufarbeitung der Geschichte.

Genau solche Artikel machen den Unterschied und euch sehr sympathisch, danke dafür und mehr davon.
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TheRabbit
19.05.2015 11:08registriert Mai 2014
Diese Geschichte fühlt sich wie ein Plan von Frank Underwood (House of Cards) an.
Vielen Dank Watson, dass ihr uns zum Nachdenken anregt!
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Thomas Binder
19.05.2015 13:09registriert Januar 2014
Wegen derartiger Glanzstücke inmitten des üblichen Medienmülls mag ich Watson.
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