Am 10. April 1967 verbreitete die Schweizerische Depeschenagentur (sda) eine aussergewöhnliche Meldung über ein altes Haus im Thuner Lerchenfeld, «in dem seit längerer Zeit nachts sonderbare und beunruhigende Vorgänge wahrgenommen worden» seien.
Die drei Bewohnerinnen des kleinen Dachstockes, die 70-jährige Grossmutter, deren 37-jährige Tochter Alice und die 13-jährige Enkelin Marlies, würden «fast jede Nacht von einem ‹Poltergeist› belästigt.» Intelligent antwortendes Klopfen. Gekratze von unsichtbaren Fingern. Fliegende Gegenstände. Schwebende Betten. Ein zerbrochenes Tonbandgerät.
Es bestünden «gewisse Anhaltspunkte» – so heisst es im SDA-Bericht weiter – dass dieser Spuk nicht von den drei Frauen selbst inszeniert wurde, «sondern ein der Parapsychologie aus zahlreichen Vergleichsfällen bekanntes Geschehen vorliegen könnte ...»
Der Bericht, der sich einer grenzwissenschaftlichen Deutung nicht verschloss, stammte vom mittlerweile verstorbenen Publizist Friedrich August Volmar, der zwei Jahre später in seinem Buch «Berner Spuk und Mysteriöses aus dem Wallis» eingehend darüber berichtete.
Er selbst hörte die Tonbandaufnahme, die in der Nacht vom 9. März von der benachbarten Rechtsstudentin Renate aufgenommen wurde – und kam nie wieder von dem Fall los.
Aber wir wollen von vorne beginnen. Im November 1966 wurde die Mutter Alice aus der Heil- und Pflegeanstalt Münsingen entlassen. Sie war tabletten- und alkoholabhängig und litt unter Depressionen. Sie zog wieder nach Hause, in die schmale kleine Wohnung, zusammen mit ihrer Mutter und der Tochter Marlies. Alle schliefen sie gemeinsam auf zwei zusammengeschobenen Betten – bis diese Dinge passierten.
Möbel verliessen ihren angestammten Platz, es klopfte in den Wänden, Gegenstände flogen durch die Luft. Das konnte nur ein Geist sein. Die drei Frauen nannten ihn auch so, einfach «Geist», obwohl Alice sich sicher war, dass der nächtliche Krach nur von einem bestimmten Mann stammen konnte: von dem Schwarzmagier, ein Mitpatient aus der Heilanstalt, dessen eindeutiges Angebot sie ausgeschlagen hatte. Jetzt verfolgte er sie, der im Stolz Gekränkte.
Ein junger Fachmann für Elektronik mit Namen Roland gewann das Vertrauen der Familie und durfte im März 1967 auch einige Nächte im Haus verbringen. Er fand keine rationale Erklärung für die seltsamen Vorkommnisse und so versuchte er, den Spuk mit einer alten Zauberformel zu bannen. Mit dem Sator-Quadrat (siehe Infobox), das er auf einen Zettel zeichnete und in einem Teller auf den Nachttisch stellte. Der Teller segelte alsbald durch die Luft. Dann war Ruhe.
Aber nur für eine gewisse Zeit.
Mit den Schaulustigen, die sich, angelockt von den reisserischen Berichten vom «Blick», vor dem Haus an der Lerchenfeldstrasse 29 versammelten, kamen auch die Skeptiker und die Zweifler. Einer davon, der Bäckermeister Hermann, wurde sogar ins Haus gelassen. Doch als seine Schuhe, kaum hatte er sie ausgezogen, zu schweben begannen und in der Luft herumwirbelten, lief er vor lauter Schreck davon.
In der Nacht vom 8. auf den 9. April wurden sechs Leute Zeugen des nächtlichen Spuks: Die «Blick»-Redaktoren Gilbert Bourquin, Eduard Zürcher und ihr Tonband- und Bildassistent, der Schriftsteller Sergius Golowin, der Zürcher Ingenieur Paul Andres und Heidi Walser, eine Mitarbeiterin des Instituts für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene in Freiburg im Breisgau.
Die 13-jährige Marlies provozierte den Geist lange, so lange, bis er endlich Antwort gab:
Alice lag im Bett, als sich der Aschenbecher plötzlich an ihrem Rücken festsaugte. Irgendwann fiel das Transistor-Radio vom Schrank herunter, im Nebenzimmer bewegte sich das Aufnahmegerät, das Zuleitungskabel schwang sich wie von selbst in die Luft und «schlug» den «Blick»-Fotografen – und seine Zigaretten, die er davor in der Hosentasche aufbewahrt hatte, schwebten über seine Hand und landeten dann auf dem Tisch.
Dann wurde die Polizei eingeschaltet. Das Zufahrtssträsschen zum Haus wurde gesperrt. Der Polizeimajor Ernst Spörri von der Kantonspolizei, die Thuner Stadtpolizei und die Amtsvormundschaft beschlossen gemeinsam, die Wohngemeinschaft der drei Frauen aufzulösen. Die Gesundheit der heranwachsenden Marlies stehe auf dem Spiel: Die Grossmutter wurde ins Altersheim gebracht. Alice landete abermals in der Heilanstalt. Das Mädchen wurde in einem Jugendheim in Bern untergebracht. Dort zersprangen noch einmal auf mysteriöse Weise zwei Fensterscheiben. Dann war endlich Ruhe.
Der Polizeimajor Spörri sei sehr verständnisvoll gewesen, hielt der Parapsychologe Theo Locher in seinem Buch «Schweizer Spuk und Psychokinese» lobend fest. Er ermöglichte Professor Dr. Hans Bender, seines Zeichens ebenfalls Parapsychologe, Untersuchungen der verlassenen Wohnung und die Befragung von Zeugen.
Doch der Spuk war vorbei. Ein Zeichen dafür, dass die drei Frauen für die seltsamen Geschehnisse verantwortlich waren. Nur wie? War alles doch nur inszeniert?
Für Professor Bender handelte es sich um alles andere als Betrug. Auch für die «Blick»-Redakteure und den Schriftsteller Golowin gab es keinen Zweifel, dass dieser Spuk echt war. Die Polizei blieb hingegen skeptisch und untersuchte die Bettgestelle, die einst so gefährlich wackelten. Der Laden am Kopfende eines Bettes war etwas lose. Damit hätte eine der Damen, als sie im Bett lag, Klopfgeräusche machen können. Aber was war mit den anderen Dingen? Den schwebenden Gegenständen, dem Klopfen in den Wänden?
Der «Geist» hat allerlei Fragen mit Klopfzeichen (zwei Mal für «Ja», drei Mal für «Nein») richtig beantwortet. Die Antworten aber konnten allein die drei Damen wissen, daher ging Professor Bender davon aus, dass der Spuk nicht von einer gespensterhaften Gestalt ausging, sondern von den Frauen selbst.
Ein spannungsgeladenes Kollektiv, in dessen Mitte das 13-jährige Mädchen gestanden habe. Die unehelich geborene, vaterlose und liebesbedürftige Marlies habe ihrer psychisch angeschlagenen Mutter unbewusst als Medium gedient und derart ungeahnte Kräfte entwickelt, mit der sie Gegenstände durch die Luft fliegen lassen konnte.
Einen Geist gab es also nach Bender nie. Dieser Spuk sei irgendwo aus den Tiefen zweier verwirrter Seelen gekommen. Eine Mutter, geistig etwas zurückgeblieben, mit starkem Geltungsbedürfnis und hysterischen Zügen habe ihren Aberglauben an diesen Schwarzmagier – ihr Mitpatient aus der Anstalt – auf die Tochter übertragen. Denn die Frage, ob er, der Geist, männlich und lebendig sei, wurde mit «Ja» beantwortet.
Ein restlos aufklärender Abschlussbericht liegt über den Fall nicht vor. Natürlich sind die Parapsychologen überzeugt davon, dass es sich bei Marlies um ein «typisches Spukmedium» handelt, während sich die Polizisten an den mageren Indizien eines Betrugs festklammern.
Wer weiss.
Quellen: F. A. Vollmar: Berner Spuk und Mysteriöses aus dem Wallis (1969), Theo Locher / Guido Lauper: Schweizer Spuk und Psychokinese (1977)
Ach Herr, lass Hirn herniederregnen....