Weil der Bauch nicht richtig wächst, das Baby sich nicht zu bewegen scheint oder es zu Blutungen kommt – viele Frauen rennen während einer Schwangerschaft immer wieder zum Arzt. Von der Krankenkasse vorgesehen sind aber nur gut eine Handvoll Untersuchungen. Seit Mitte Juli übernimmt die Versicherung nun auch einen Bluttest zur Down-Syndrom-Abklärung. Gynäkologe Roland Zimmermann erklärt, warum sich viele Frauen öfter untersuchen lassen als nötig.
Herr Zimmermann, wie viele Vorsorgeuntersuchungen sind während einer Schwangerschaft in der Schweiz vorgesehen?
Roland Zimmermann: Sofern es sich um eine «normale» Schwangerschaft handelt, bei der also alles nach Plan verläuft, übernehmen die Krankenkassen sieben Untersuchungen, plus eine weitere sechs Wochen nach der Geburt. Bei einer Risikoschwangerschaft muss anhand des klinischen Befunds entschieden werden, wie viele Untersuchungen nötig sind.
Halten Sie diese Zahl für angebracht?
Es kommt nicht unbedingt darauf an, wie viele Untersuchungen gemacht werden, sondern viel mehr, was genau dabei untersucht wird. Zahlenmässig befinden wir uns hier in der Schweiz aber schon eher am unteren Ende.
Sieben Untersuchungen sind also eher wenig?
Ja, die Schweiz, Österreich und Belgien bilden das untere Ende der Skala ab. In Ländern wie beispielsweise Deutschland sind 12 Untersuchungen vorgesehen.
Wo Sie gerade Deutschland erwähnen: Eine Studie besagt, dass die Frauen dort «überversorgt» sind. Das heisst, sie lassen noch mehr Untersuchungen als die eigentlich vorgesehenen durchführen. Ist das in der Schweiz auch so?
Genaue Studien gibt es dazu in der Schweiz leider nicht. Ich würde auch gerne mal eine Zahl sehen, die zeigt, wie oft eine schwangere Frau in der Schweiz tatsächlich im Durchschnitt zum Arzt geht. Denn zu den vorgesehenen Vorsorgeuntersuchungen kommen meistens noch zusätzliche – von der Frau veranlasste – Termine hinzu.
Es bleibt also nicht bei den sieben Untersuchungen?
Nein, bei dieser Zahl bleiben die wenigsten. Viele kommen sicher auf zehn bis zwölf Arztbesuche während der Schwangerschaft. Ich merke, dass die Verunsicherung bei den Frauen sehr gross ist. Manche stehen fast jede Woche bei uns auf der Matte, weil hier was zwickt und da was drückt.
Woher kommt diese Verunsicherung?
Zu einem Grossteil spielt das Alter eine Rolle. Viele Mütter sind bei der ersten Schwangerschaft nicht mehr Anfang 20, sondern eher Anfang 30 – oder noch älter. Da ist das Projekt Baby eine ganz geplante Sache. Die Frauen wollen alles kontrollieren können, lesen ständig Dinge bei «Doktor Google» nach und haben entsprechend auch mehr Angst. Es gibt aber auch Ärzte, die diese Ängste schüren.
Dann ist die Zahl der Arztbesuche während der Schwangerschaft gestiegen?
Auf jeden Fall. Vor 20 Jahren – als die Mütter im Durchschnitt deutlich jünger waren – war die allgemeine Verunsicherung noch nicht so gross.
Gemäss der zuvor erwähnten Studie lassen deutsche Frauen häufig zusätzliche Untersuchungen durchführen, die gar nicht von der Krankenkasse übernommen werden. Ist das in der Schweiz auch so?
Das sind die so genannten «Igel-Leistungen». Die gibt es in der Schweiz so gar nicht. Das ist das Gute an unserem System: In den von der Versicherung übernommenen Leistungen sind «notwendige Laboruntersuchungen» aufgeführt. Dieser Begriff lässt natürlich viel Interpretationsspielraum. Lediglich der Bluttest zur Abklärung des Down-Syndroms musste in den vergangenen Jahren von der Patientin selbst bezahlt werden.
Und das hat sich nun geändert?
Genau, seit Mitte Juli gehört auch dieser Test zu dem Paket der Vorsorge-Untersuchungen, die von der Krankenversicherung bezahlt werden, mit dazu. Meiner Meinung nach sollte die Frage der Kostenübernahme aber ohnehin eine Nebenrolle spielen und nicht ausschlaggebend dafür sein, ob man einen Test durchführen lässt oder nicht.
Die Tatsache, dass man heute während einer Schwangerschaft so viele Tests durchführen kann, ist ethisch stark umstritten. Wie gehen Sie mit diesem Thema um?
Wir raten den werdenden Eltern immer dazu, sich zunächst einmal Gedanken zu machen, ob ein entsprechendes Testergebnis überhaupt Folgen für sie hätte. Wenn ein Schwangerschaftsabbruch so oder so gar nicht in Frage kommt, dann braucht man die Tests auch nicht zu machen. Diese Frage sollte sich aber nicht erst nach einem solchen Test – sondern unbedingt davor stellen. Und dafür braucht es wiederum einen gewissen Vorlauf, damit genügend Bedenkzeit bleibt.
Wäre es Ihrer Meinung nach erstrebenswert, die Zahl der von der Krankenkasse bezahlten Vorsorgetermine zu erhöhen, wenn ohnehin die meisten Frauen häufiger kommen?
Nein, mehr als diese sieben braucht es eigentlich nicht. Alle Abklärungen und Tests, die in der Vorsorge nötig sind, können wir dort unterbringen – sofern es sich nicht um eine Risikoschwangerschaft handelt.
Dennoch kommt es – wie Sie sagen – am Ende zu mehr Arztbesuchen. Wie regieren die Krankenversicherungen darauf?
Die scheinen insgesamt entspannt zu reagieren. Ich habe es noch nie erlebt, dass eine schwangere Frau irgendwelche Kosten selbst übernehmen musste. Aber wenn sie alles in allem auf zehn oder zwölf Arztbesuche kommt, dann liegt sie ja auch immer noch unter dem Durchschnitt der deutschen Frauen.