Nicolas Stemann, 49, wird ab 1. August 2019 neuer Intendant am Zürcher Schauspielhaus. Zusammen mit Benjamin von Blomberg, 39. Eine Doppelintendanz also. Damit die typische Zürcher Frage gleich erledigt ist: Kriegen die beiden jetzt ein doppeltes Intendanten-Gehalt? Nein. Geteilte Verantwortung ist nicht doppelte Verantwortung. Gemeinsam erhalten sie deshalb ungefähr so viel wie ein Intendant und ein Chefdramaturg zusammen, denn dies wird es sein, was die beiden mit ihren Kompetenzen in Zukunft ausfüllen. Das erinnert an Christoph Marthaler und seine Chefdramaturgin Stefanie Carp.
Benjamin von Blomberg ist der Mann mit Führungserfahrung, er ist aktuell an den Münchner Kammerspielen unter Matthias Lilienthal Chefdramaturg, Stemann ist am gleichen Theater Hausregisseur. Armes München. Das wird jetzt von Zürich mit aller Macht geschröpft.
Und? Soll sich Zürich freuen? Ist diese Wahl – auch von ausserhalb einer euphorischen Findungskommission betrachtet – eine gute? Gar die beste? Es könnte sein. Wir wissen es noch nicht. Stemann ist der grosse Name. Von Blomberg seine grosse Stütze. Stemann ist einer der liebsten und klügsten Menschen, die es in der deutschsprachigen Theaterszene – sonst eine Welt der egomanen Rüppel – gibt, vielleicht gar der liebste und klügste. Von Blomberg ist an der Zürcher Pressekonferenz vom Mittwochmorgen so dermassen lieb, dass es schon fast esoterisch ist.
Seit vielen Jahren sind sie aber vor allem das ideale Arbeitspaar. Zusammengebracht hat sie eine starke Frau, nämlich die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek: Stemann ist bekanntlich der grösste Jelinek-Exeget der Gegenwart, von Blomberg promovierte bei Jelinek, da lag nichts näher, als die beiden einander näher zu bringen.
Jetzt, zwei Jahre vor ihrem Amtsantritt, ist es noch zu früh, um über konkrete Namen und Stoffe zu sprechen. Aber träumen darf man: Wenn Wien, wo Stemann mehrerer Jahre als Hausregisseur am Burgtheater arbeitete – die Stadt der Dichterfürstin Elfriede Jelinek ist, ist Zürich dann nicht die Stadt von Sibylle Berg? Liesse sich da nicht was machen? Na?
Und wird es Stemann, der aktuell an der Zürcher Hochschule der Künste den Studiengang Master Regie leitet, gelingen, die Haarfarbe des Publikums im Zürcher Pfauen von Silber auf Bunt zu verändern? Überhaupt: Wird sich was verändern?
Stemann und von Blomberg reden von Jugend und Diversität. Von den vielen, vielen Zürcherinnen und Zürchern mit migrantischem Hintergrund, die sie auch gerne im Theater sehen und repräsentieren würden. Wieso sollte in Zürich nicht gelingen, was zum Beispiel am Gorki-Theater in Berlin möglich ist?
Man müsse den jungen Menschen die Gelegenheit geben, ihre Geschichten zu erzählen. Den jungen Menschen also. Die man schon fast nicht mehr ins Kino kriegt. Wie denn ins Theater? Vielleicht könnte man mal mit den Ticketpreisen beginnen. So, wie die Gessnerallee mit ihrem Einheitspreis von 16 Franken. Ein Erfolgsmodell. Gerade bei den jungen Menschen.
Aber das ist schon alles zu detailliert. Zunächst müssen Stemann und von Blomberg ihre rund 300 zukünftigen Mitarbeiter kennen lernen, ihr Ensemble und ihren ersten Spielplan bilden. Und hier leben. Sich auf Zürich einlassen. Damit ihnen nicht die gleichen Fehler unterlaufen wie dem ebenfalls aus München kommenden Intendanten des Neumarkt-Theaters, Peter Kastenmüller, mit seinem verunglückten Anti-Roger-Köppel-Theater im März 2016.
Sie wollen den Geist ihres Theaters wieder auf Zürichs Strassen tragen, dabei aber nicht in die Falle der «Überhitzung» (Stemann) und der hektischen Überproduktivität geraten, in die so manches Theater angesichts der drängenden Frage nach Relevanz gerade tappt. Das klingt erstmal alles gut und richtig. Warten wir ab.
In einem Interview mit der «Zeit» sagte Stemann einmal, sein grösster Makel sei seine «notorische Entscheidungsschwäche». Dass er es geschafft hat, sich für Zürich zu entscheiden, könnte für ihn und uns ein Glücksfall sein.