Rolfs* rote Zunftstrümpfe sind nass bis unters Knie. Aber Rolf schaut nicht auf den Boden, er schaut ins Glas. Es ist zehn Uhr Abends, die Zünfter stehen unter den Steinbogen des Limmatquais, rauchen und trinken das vorletzte Bier. Vielleicht auch das vorvorletzte. «Da oben sitzen nur Ärzte und Juristen», sagt Rolf, und schwenkt zum Eingang der Zunft zu Zimmerleuten. «Aber trinken tun heute alle.»
Alkohol ist fester Bestandteil des Sechseläutens. Während des Umzugs werden unter den Zünftern Weissweinflaschen rumgereicht, Stadtrat Filippo Leutenegger lässt Riesling aus dem Brunnen fliessen und das Café Odeon am Bellevue verkauft Glühwein für 7.70 Franken. Nur die Reiter, die dürfen nicht mehr. Seit letztes Jahr ein Pferd gestorben ist, wurden die Tierschutzmassnahmen verschärft und eine Promillegrenze festgesetzt.
Wer einen Wert über 0,5 hat, könnte heute gebüsst werden. Doch bereits im Vorfeld hiess es vonseiten der Sechseläuten-Organisatoren, man werde «von Auge» beurteilen, ob einer zu besoffen sei, aufs Pferd zu hocken. Doch watson traut diesem Auge nicht. Mit Promilletester machen wir uns auf die Suche nach beschwipsten Zünftern.
Es ist kurz nach 16 Uhr und der Regen will einfach nicht aufhören. Die Reiter des Sechseläuten haben sich vor dem Theater Bernhard postiert. «Jetzt alli absitze», ruft der Zugführer, und die Reiter rutschen, mal mehr mal weniger elegant, von ihren Rössern. Wer jetzt schwankt, schwankt nur vom Ritt: Die Zünfter sind, von watson getestet, stocknüchtern.
«Es ist schon nicht mehr wie früher», sagt Heinz* und wringt seine nicht mehr so weissen Handschuhe vor dem Hotel Eden am Utoquai aus. Der Kämbelzünfter galoppiert seit fast dreissig Jahren um den Böögg. «Damals gab es noch Zünfter, die nicht mehr laufen, sondern nur noch auf dem Ross hocken konnten», sagt er. Heute sei das alles ein bisschen professioneller, sogar eine Reitlizenz brauche man.
Er selber würde es sich nicht verzeihen können, wenn er vom Ross fallen würde, weil er besoffen sei, sagt Heinz. «Deshalb gibt's jetzt höchstens einen Rum, für die Wärme.»
Im Eden fliesst dann doch reichlich Gerstensaft, man stösst auf den nassen Umzug an, spricht über die Pferde. «Dem Simon seiner ist mal kurz gestiegen», sagt ein Zünfter. «Meiner war zum Glück ruhig», entgegnet ein zweiter. Die beiden arabischen Touristen, die im Nobelhotel absteigen, essen Cremeschnitte und scheinen sich kein bisschen über die kostümierten Altherren der Kämbelzunft zu wundern.
«Wir fühlen uns beobachtet dieses Jahr», sagt eine Reiterin. Mehrere Tierschutzorganisationen seien dabei, und man habe ihnen gesagt, es gäbe vielleicht Stichproben der Polizei. «Wir haben die Devise: Ein Glas Weisswein zum Zmittag.» Promillekontrolle: 0,0. Der Umzug sei anstrengend genug, sagt die Zünftertochter, sie wolle fit bleiben. Dann schält sie sich im Eden-Klo aus ihren fünf Kilo schweren Umhängen.
Viel Zeit bleibt den Zünftern nicht mehr, um halb sechs heisst es wieder: «Aufsitzen!». Auf einen Test will sich jetzt niemand mehr einlassen. Mit knisternden Plastikpellerinen eilen die Männer zu ihren Pferden. «Aufholen können wir ja nachher rasch», meint Heinz noch.
Und das machen sie dann auch. Nachdem der Böögg endlich explodiert ist und die Pferde in ihre Ställe zurückgebracht worden sind, wird in den Zunfthäusern an der Limmat eingeschenkt. Über zwei Promille kriegt Rolf mit den nassen Strümpfen hin. Könne aber nicht sein, «da oben sitzen Ärzte, die können das beurteilen», sagt er. Dann klopfen Rolf und seine Kollegen ein paar flache Trinksprüche und nippen an ihren Herrgöttli. Am Limmatquai zieht die letzte Stadtmusik in knisternden Plastikpellerinen vorbei.
Mitarbeit: Phyllis Bussinger
*Namen geändert.