Rund jeder fünfte Jugendliche in der Schweiz besucht ein Gymnasium. Diese Quote sei vernünftig, findet Elsbeth Stern, Lehr- und Lernforschung an der ETH Zürich. Nur drückten oft die falschen Kinder dort die Schulbank. Ihre Forschung zeige, «dass ein beachtlicher Teil der Schweizer Gymnasiasten – ich gehe von mindestens 40 Prozent aus – nicht die Intelligenz hat, über welche die oberen 20 Prozent eigentlich verfügen sollten.»
Der Zugang zum Gymnasium hänge zu stark von der sozialen Schicht ab, kritisiert die Wissenschaftlerin in einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung. Die Kinder aus privilegierten Familien würden oft intensiv auf die Gymi-Prüfung trainiert, so dass sie die Tests trotz zu tiefer Intelligenz bestünden. Die Folge: In jeder Klasse sässen zwei oder drei Schüler, deren Intelligenz «deutlich unter dem zu erwartenden Mindestwert liegt». Sie würden dank Nachhilfe «mitgezogen», die Lehrer passten das Niveau für sie nach unten an.
Stern schlägt vor, zusätzlich zu den Aufnahmeprüfungen auch Intelligenztests durchzuführen. So könnten in der Primarschule Kinder identifiziert werden, die «aufgrund irgendwelcher Umstände» nicht zeigen können, welches Potenzial in ihnen steckt. Gleichzeitig könnte verhindert werden, dass ungeeignete Kinder ins Gymnasium kommen, nur weil die Eltern dies unbedingt wollen.
Auch andernorts sieht die Forscherin Verbesserungspotenzial im Bildungssystem: Für Kleinkinder bis vier Jahre bräuchte es laut Stern ein qualitativ hochwertiges Bildungssystem, das von den Eltern einkommensabhängig bezahlt wird. Der Schuleintritt sollte ihrer Meinung nach flexibler gestaltet werden, damit die Schwachen gefördert und die Starken schon dann zu Höchstleistungen auflaufen können.
Grundsätzlich sei die Intelligenz in hohem Masse durch die Gene bestimmt, sagt Stern. «Dem ist so, ob es uns passt oder nicht.» Damit sich diese Intelligenz auch entfalten könne, brauche es aber die richtige Umgebung. «Wollen Eltern im ersten Lebensjahr das Beste aus den Genen der Sprösslinge herausholen, dann müssen sie viel mit ihnen sprechen.» Es sei ein Fehler, Kleinkinder als Wesen zu sehen, die nur essen, verdauen und herumkriechen – und darum nicht richtig mit ihnen zu sprechen. «Die Kinder müssen eine gute, grammatikalisch korrekte Sprache hören.»
Stern kam vor elf Jahren von Deutschland in die Schweiz, um an der ETH zu arbeiten. Für ihre neue Wahlheimat ist sie voll des Lobes: «Die Schweiz ist ein Ort der Seligen», lässt sie sich im Interview zitieren. Die Lebensqualität sei hoch und die Menschen schenkten sich gegenseitig mehr Vertrauen als in Deutschland. Auch von den Manieren des anderen Geschlechts zeigt sie sich begeistert: «In der Schweiz gibt es kaum Macho-Männer. Das geniesse ich.»