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Migration

Die Eritreer in der Schweiz sind weniger kriminell als die Franzosen

Zahlen lügen nicht

Die Eritreer in der Schweiz sind weniger kriminell als die Franzosen

20.10.2014, 16:5521.10.2014, 11:45
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Zurzeit sind die Eritreer in aller Munde. Der Angriff eines eritreischen Asylbewerbers auf eine junge Frau vor zwei Wochen wirft ein schlechtes Licht auf die ganze Bevölkerungsgruppe in unserem Land. Der «Blick» verstieg sich sogar zur Behauptung, 9 von 10 Eritreern seien Sozialhilfeempfänger.

Ein Blick in die Zahlen lässt andere Schlüsse zu: Wie der Tages-Anzeiger und die Aargauer Zeitung berichten, sind Eritreer in den Polizeistatistiken der jeweiligen Kantone nicht bekannt als besonders kriminelle Einwanderer. 

Ein paar Zahlen, die für die ganze Schweiz gelten, und die watson herausgesucht hat, bestätigen diese Sicht.

Wenig Eritreer im Strafvollzug

So ist die Zahl der Einweisungen in den Strafvollzug bei Eritreern im Vergleich mit anderen Ausländern geradezu verschwindend klein:

Anzahl Einweisungen bei Eritreern und Ausländern.
Anzahl Einweisungen bei Eritreern und Ausländern.

Eritreer sind weniger kriminell als Franzosen

Zudem gehören Eritreer noch lange nicht zu den «kriminellsten» Einwanderern – sie sind etwa gleichgestellt mit den Franzosen. Auf 100'000 Einwohner hochgerechnet sassen 2013 92 Franzosen hier im Gefängnis; bei den Eritreern waren es lediglich 78. In absoluten Zahlen heisst das: 2013 waren durchschnittlich 14 Eritreer in Schweizer Gefängnissen inhaftiert.

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Eritreer sind nicht «faul»

Asylsuchende dürfen in der Schweiz in der Regel keiner Erwerbsarbeit nachgehen. Dementsprechend tief ist der Anteil erwerbstätiger Eritreer. Wenn die Flüchtlinge vorläufig aufgenommen oder anerkannt werden, haben sie Anrecht auf Integrationsprogramme. Viele Flüchtlinge kommen erst zu diesem Zeitpunkt zu einer Erwerbsmöglichkeit. Dazu gehören auch die Eritreer.

Hinzu kommt: Eritreer, die danach in die Arbeitswelt entlassen werden, haben laut Léa Wertheimer, Sprecherin des Bundesamtes für Migration, häufig aus sprachlichen Gründen Probleme, eine Stelle zu finden. Deshalb beträgt die Erwerbsquote unter den Eritreern mit B-Bewilligung «nur» 12,9 Prozent. Rund 87 Prozent aller anerkannten eritreischen Flüchtlinge – darunter sind auch Kinder und Alte – gehen deshalb in der Schweiz keiner Erwerbstätigkeit nach.

Hellgrün: Erwerbstätige Eritreer.
Hellgrün: Erwerbstätige Eritreer.

Jeder dritte Eritreer bezieht Sozialhilfe

Entgegen den Behauptungen beziehen diese aber nicht alle Sozialhilfe. Wie viele Flüchtlinge in der Schweiz tatsächlich Sozialhilfe beziehen, soll eine Interpellation von SVP-Nationalrat Peter Keller demnächst klären. Bis dahin gilt: Da für die Sozialhilfe verschiedene Datensätze existieren, wird vom Bundesamt für Statistik lediglich eine ungefähre Sozialhilfequote für die eingewanderte Wohnbevölkerung eines Landes angegeben. Und diese sieht für die Eritreer so aus: 

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Gemäss Bundesamt für Statistik waren 2012 zwischen 20 und 30 Prozent aller zur ständigen Wohnbevölkerung gehörenden Eritreer Sozialhilfeempfänger – und nicht etwa «9 von 10 Eritreern», wie dies im «Blick» zu lesen war.

Eritreer kommen nicht in Massen

Nicht zuletzt wird zurzeit der Eindruck erweckt, die Eritreer würden die Schweiz geradezu überschwemmen. Doch wie viele Eritreer kommen überhaupt hierher? 

Was läuft in Eritrea?
Im ostafrikanischen Land Eritrea herrscht zurzeit eine kriegsähnliche Situation. Die repressive Regierung sieht sich immer noch im Konflikt mit Äthiopien. Eritreer werden daher zum Militärdienst gezwungen, Regierungskritiker werden inhaftiert und ermordet. Rund ein Fünftel der Bevölkerung befindet sich auf der Flucht. Man schätzt die Zahl der Flüchtlinge auf eine halbe Million. (pma)

Zum Ersten: Rund 22'000 Eritreer sind heute in der Schweiz wohnhaft.

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Aufenthaltsstatus
Flüchtlinge, die in der Schweiz ankommen, erhalten den «Asylsuchende-Status N». Wenn ihr Asylgesuch einen positiven Entscheid vom Bundesamt für Migration erhält, kriegen sie den «Aufenthalter-Status B» und können einer Arbeit nachgehen. Sie gehören dann zur ständigen Wohnbevölkerung. Wie die nächste Grafik zeigt, ist ein Grossteil der eritreischen Bevölkerung anerkannte Flüchtlinge. (pma)

Der Grossteil von ihnen ist in den letzten Jahren als Flüchtlinge eingereist. Gegen Ende des letzten Jahrzehnts stieg die Anzahl der Asylgesuche aus dem ostafrikanischen Land, welches seit Jahren von einem innenpolitischen Konflikt heimgesucht wird, stark an.

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Dennoch: Von einer Masse kann nicht die Rede sein. Die Zahl der Eritreer in der Schweiz, die sich im Asylprozess befindet, ist gering.

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Und schliesslich ein historischer Vergleich: In den 90er-Jahren stieg die Anzahl Asylgesuche in der Schweiz pro Jahr auf über 100'000 Menschen an. Grund dafür waren Kriege in Ex-Jugoslawien. Seither sank die Anzahl der Asylgesuche stetig. Selbst für die Zeit nach dem Ausbruch der Krisen in Nordafrika und im Nahen Osten («Arabischer Frühling») lassen sich die Zahlen nicht mit den historisch hohen Asylgesuchen aus den 90er-Jahren vergleichen.

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Grundlage der Grafiken
Für die Grafiken wurden die Daten des Bundesamtes für Statistik verwendet. Auf eine Interpretation der Daten wurde soweit möglich verzichtet. 
Personen im Asylprozess 1995–2010 
Ausländische Wohnbevölkerung nach detaillierter Staatsangehörigkeit und Anwesenheitsbewilligung
_ Bestand der eritreischen Bevölkerung Ende 31. August 2014 (Quelle: Bundesamt für Migration)
Asylgesuche und Personen im Asylprozess
Strafvollzug: Einweisungen nach Staatszugehörigkeit
_ Strafvollzug: Mittlerer Insassenbestand nach Staatszugehörigkeit
_ Sozialhilfebezüger nach Herkunftsland 2006–2012

(pma)

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31 Kommentare
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Alfons Gschwind
21.10.2014 22:47registriert Mai 2014
Zu Punkt 2: Auf 100'000 Einwohner gibt es auch mehr Franzosen in der Schweiz als Eritreer. Diese Statistik sagt rein gar nichts darüber aus ob die Franzosen krimineller sind als die Eritreer. Diese Aussage könnte man nur machen wenn man die Zahl Inhaftierter Franzosen/Eritreer der Zahl in der Schweiz wohnhaften Franzosen/Eritreer gegenüberstellt und dort den Quotient berechnet.
Dem ganzen Artikel fehlt es an Wissenschaftlichkeit. Im Grunde ist es genau wie im Blick: Ich verwende die Zahlen so, das sie meine Meinung bestätigen. Hier einfach für die Eritreer und nicht gegen sie.
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MergimMuzzafer
20.10.2014 21:34registriert Februar 2014
Ich war drei Tage in einem Asylheim für Jugendliche und Kinder. Dabei waren ca. 80% Eritreer. Diese waren alle sehr anständig und zuvorkommend. Trotzdem habe ich in den vielen Gesprächen, die ich mit ihnen geführt habe, keinen Willen zur Arbeit feststellen können. Einige waren sogar stolz darauf, noch nie gearbeitet zu haben. Zudem geben viele ein falsches Alter an, da man bis 18 praktisch nicht ausgeschafft werden kann: fragt man sie nach dem Alter, heisst es 19, fragt man den gleichen nach dem Jahrgang, dann heisst es 1994...
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Carlo5
21.10.2014 14:34registriert Oktober 2014
Der Watson Artikel ist ziemlich wenig differenziert, und siedelt sich etwas im 20Min Style an. Kein Hinweis, ob in Eritrea Bürgerkrieg ist, oder ein Genozid stattfindet. Kein Hinweis, wie die Klassenleistung der Kinder von Eritreern hier in der Schweiz ist versus dem Tatbestand der Integrations- oder Nicht-Integrations-Fähigkeit der Erwachsenen etc. Man hätte etwas mehr Fleisch am Knochen liefern können. Mit ein paar Tabellen vom Bundesamt für Statistik ist es halt nicht getan, um Sachverhälte erklären zu wollen. Da ist noch Luft nach oben, Leute.
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