In der Welt von Facebook und Youtube hat es der 34-jährige A. S. aus Liestal geschafft. Er hat Bedeutung erlangt. Er postete Videos der Terrororganisation «IS», in denen wehrlose Menschen erschossen, enthauptet und verbrannt werden. Dafür wurde er von der Bundesanwaltschaft kürzlich wegen Verstoss gegen das «IS»-Verbot verurteilt.
Auf eine Kontaktaufnahme über Facebook-Messenger reagiert er angriffig: «Was willst du?», fragt er den Journalisten. Doch A. S. lässt sich auf einen Dialog ein und prahlt, er wolle in den Dschihad ziehen, den Heiligen Krieg. Nach längerem Hin und Her erklärt er sich zu einem Treffen am Liestaler Bahnhof bereit.
Er wartet schon einige Minuten vor dem vereinbarten Zeitpunkt und wirkt wie ein normaler junger Mann in Jeans, Kapuzenpullover und lückenhaftem Bart. Im Chat duzte er ungefragt. In der realen Welt wechselt er in die Sie-Form und erzählt seine Geschichte in leisem Ton.
Er will vermeiden, dass sich die Leute nebenan bei den Begriffen «Terror», «Dschihad» und «Islamischer Staat» umdrehen. Er sehe für sich keine Zukunft in der Schweiz: «Ich will allen zeigen, was ich drauf habe. Hier kann ich das nicht, aber in Syrien.» Er könne in der Schweiz kein freies Leben wie alle anderen führen. Ständig werde er von der Polizei angehalten und durchsucht. Wegen seiner «IS»-Verherrlichung steht er unter Beobachtung. Sein Leben in Liestal hat er in den vergangenen Jahren schrittweise ruiniert.
Als Kleinkind zog er mit seiner Mutter und seinem Bruder von Mazedonien in die Schweiz, wo der Vater Arbeit gefunden hatte. Die Familie sei muslimisch, aber nicht gläubig. A. S. entdeckte die Religion erst nach den Anschlägen von 9/11. Damals habe die Welt begonnen, sich gegen Muslime zu verschwören, sagt er.
Zu dieser Zeit arbeitete er in einer Waschmittelfabrik in Frenkendorf BL. Die Arbeit erfüllte ihn nicht: «Es hat mir immer etwas gefehlt im Leben.» 2006 erhielt er die Kündigung, nachdem er mehrmals geschwänzt hatte. Seinen erlernten Beruf als Maurer hatte er aufgegeben, da er auf der Baustelle nur mit «Vollidioten» zu tun hatte. Seit vier Jahren lebt er von 900 Franken Sozialhilfe pro Monat.
A. S. analysiert seinen eigenen Zustand: «Ich bin in einen Kriegswahn geraten.» Die Aussage klingt selbstkritisch, ist aber nicht so gemeint. Eigentlich sei es doch ganz normal, dass ein junger Mann kämpfen wolle, meint er. Den Umgang mit einem Gewehr lernte er in der Schweizer Armee. An einem Anschlag in Europa sei er aber nicht interessiert.
Er wolle keine Zivilisten, sondern militärische Ziele angreifen. Die Ideologie des «IS» steht für ihn ohnehin nur an zweiter Stelle. Hauptsächlich will er in den Krieg ziehen, um seinem sinnlosen Leben zu entfliehen. Es könnte auch ein anderer Konflikt sein.
Nicoletta della Valle, Direktorin des Bundesamts für Polizei, stellte diese Woche einen Bericht über den dschihadistischen Terror in der Schweiz vor: «Die Täterprofile sind mannigfaltig. Es gibt Konvertiten, Abkömmlinge stabiler Familien, oft sind es ungebildete, haltlose Kleinkriminelle.» In allen Biografien gebe es einen Bruch, der den Radikalisierungsprozess auslöste oder beschleunigte. Sie spricht von einem «Low-Cost-Terrorismus», der mit bescheidenen Mitteln und einer rudimentären Planung operiere und deshalb überall und jederzeit zuschlagen könne.
Die Sicherheitsbehörden beschreiben in ihrem Anti-Terror-Bericht eine Interventionskette von sechs Phasen. A. S. hat fast alle durchlaufen. Der Nachrichtendienst des Bundes wurde 2014 auf seine «IS»-Propaganda aufmerksam. Ein Jahr später führte die Bundesanwaltschaft eine Hausdurchsuchung durch und stellte Tausende gewaltverherrlichende Bildern, eine illegale Waffe und Munition sicher.
In der Einvernahme sagte A. S., er wolle auf einem Schlachtfeld sterben. Dennoch bleibt er auf freiem Fuss. Er kommt mit einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten mit zweijähriger Bewährungsfrist davon.
Der drohende Gefängnisaufenthalt bei einer Wiederholungstat beeindruckt ihn nicht. Bereits vor einem Jahr verbrachte er einige Tage hinter Gitter, weil er wie ein Kickboxer auf einen Nachbarn losgegangen war. Er schlug zu, weil er sich in seiner Ruhe gestört fühlte. Die Zeit in Haft habe er in guter Erinnerung. Er habe sich mit anderen Insassen unterhalten und Karten gespielt.
Fälle wie A. S. gibt es viele. Der Nachrichtendienst des Bundes erfasst in seinem Dschihad-Monitoring 500 Personen, die online durch eine Nähe zum «IS» aufgefallen sind. Gegen 60 Islamisten ermittelt die Bundesanwaltschaft. In 83 Fällen haben die Sicherheitsbehörden versagt. So viele Personen sind gemäss Nachrichtendienst bisher aus der Schweiz in den Dschihad gezogen. Die letzten zwei Ausreisen wurden diesen März registriert.
A. S. sitzt in der Schweiz fest, weil ein Bundesanwalt seinen Pass bei der Hausdurchsuchung beschlagnahmte. Während eines Strafverfahrens ist dies möglich, danach muss der Pass jedoch zurückgegeben werden. A. S. will sich nun neue Reisedokumente ausstellen lassen. Er weiss, dass eine Ausreise derzeit unrealistisch ist: «Ich komme in Liestal nicht einmal hundert Meter weit, ohne von der Polizei angehalten und durchsucht zu werden. Wie will ich 3000 Kilometer ohne Pass schaffen?»
Der 34-Jährige kann jedoch damit rechnen, seinen Schweizer Pass wieder zu erhalten, da das Strafverfahren inzwischen abgeschlossen ist. Das Bundesamt für Polizei stört sich an dieser Praxis und hat dem Bundesrat deshalb ein Gesetz vorgeschlagen, mit dem der Pass von Dschihad-Verdächtigen auch präventiv gesperrt werden könnte.
Derzeit bleibt der Polizei nur die Möglichkeit, Leute wie A. S. am Flughafen abzufangen. Diese Woche hat das Bundesgericht bestätigt, dass schon alleine die Ausreise als Unterstützung des «IS» eingestuft und bestraft werden kann.
Erfolgreich waren die Behörden zudem im Kampf gegen die «IS»-Propaganda. Nachdem der Nachrichtendienst die Videos von A. S. entdeckt hatte, wurden sie von Facebook und Youtube gelöscht. Als er weiter postete, wurden seine Accounts gesperrt.
Dennoch haben die Behörden im Fall von A. S. ihr Ziel nicht erreicht. Nach dem Strafvollzug steht gemäss der Anti-Terror-Strategie die Deradikalisierung auf dem Programm. Das Sicherheitsdepartement schlug A. S. eine Psychotherapie vor. Als Sozialhilfebezüger müsste er keinen Franken davon übernehmen.
Doch er lässt sich nicht darauf ein. Während des Strafverfahrens diagnostizierte ein Psychiater eine leichte Depression. Der junge Mann ist mit der Diagnose einverstanden, will aber nichts dagegen unternehmen: «Ich bin einfach immer schlecht gelaunt. Das ist mein normaler Zustand.»
A. S. sitzt die meiste Zeit alleine in seinem Zimmer, klickt sich durch die Nachrichtenflut und gibt auf Youtube immer wieder dieselben Suchbegriffe ein: «IS» in Kombination mit «combat» (Kampf), Aleppo oder Nîněwâ (Mossul). Seit er nicht mehr arbeitet, hat er keinen Kontakt mehr zu seinen ehemaligen Freunden. Früher hatte er mal eine Freundin; darüber sprechen will er nicht. Er sagt nur: «Mit einem, der ständig über den Krieg redet, will sich niemand abgeben.» (aargauerzeitung.ch)