Besser hätte es für Tamara Funiciello im «Talktäglich» nicht kommen können: «I wott säge», hob der Anrufer, Herr Hügli, in breitem Berndeutsch an, «wenn man eine anständige Figur hat, dann kann man sich schon ausziehen. Aber wenn man so aussieht wie ein Ross, dann sollte man die Kleider anbehalten.» Die anderen hingegen, die SVP-Frauen, die hätten sich ruhig ausziehen dürfen.
Funiciellos Kontrahentin, Michelle Singer, beeilte sich zwar, die Aussage des Zuschauers zu verurteilen, aber da war der Mist schon geführt. Herr Hügli hatte mit seinem Votum der Position der Präsidentin der Jungen SVP Emmental einen Bärendienst erwiesen.
Falls irgendjemand daran zweifelte, dass in der Schweiz männlicher Chauvinismus gang und gäbe ist, Herr Hügli hatte soeben den Beweis erbracht – live und zur besten Sendezeit. Und er war in guter Gesellschaft.
Denn zuvor hatte schon Herr Thoma in herablassendem Ton der «Frau Tamara» den oberlehrerhaften Rat gegeben, doch bitte «mehr zu liefern, anstatt zu lafern». Es sei ja «herzig», sagte Herr Thoma, wie sich «Frau Tamara» bemühe, aber eben: «Liefere statt lafere».
Tamara Funiciello wischte die altväterlichen Belehrungsversuche mit einem Kopfschütteln weg, und erklärte, ein weiteres Mal, warum es auch im 21. Jahrhundert Feminismus braucht: «Frauen sind noch immer nicht in der Lage, mit ihrem Körper zu machen, was sie wollen». Die Reaktion auf die BH-Verbrennungsaktion seien das beste Beispiel dafür. Sie selber habe sogar Vergewaltigungsdrohungen erhalten.
Geladen hatte «Talktäglich»-Moderator Markus Gilli, und zwar zum «Knatsch unter Feministinnen». Der Titel der Sendung war nicht nur reisserisch, sondern auch irreführend. Dass sich Michelle Singer als Feministin bezeichnet, darf zumindest bezweifelt werden. Sie vertrete zwar nicht die Haltung, dass die Frau in die Küche gehöre und der Mann an die Arbeit. Aber sie sei überzeugt, «dass wir an einem Punkt angelangt sind, an dem Gleichberechtigung herrscht». Ohnehin habe sie keine Zeit, BHs zu kaufen und zu verbrennen.
«Die Zahlen sprechen eine andere Sprache», hielt Tamara Funiciello dagegen. Noch immer herrsche Lohnungleichheit, noch immer würden 55 Prozent der Frauen Opfer von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz, noch immer erlebten drei von fünf Frauen sexualisierte Gewalt – das seien Tatsachen, die «keine Geiss wegschleckt». Argumente, auf die Singer wenig zu entgegnen wusste.
Es war von Anfang an ein Kampf mit ungleich langen Spiessen. Auf der einen Seite Tamara Funiciello, Präsidentin der Juso Schweiz, Vorstandsmitglied der SP, gewichtige Stimme der feministischen Linken und rhetorisch beschlagen. Auf der anderen Seite Michelle Singer, Präsidentin der Jungen SVP Emmental und Vorstandsmitglied der Jungen SVP Bern, die ihre nationale Bekanntheit überhaupt erst der BH-Foto-Debatte verdankte.
Singer geriet ein ums andere Mal ins Schlingern, etwa, als sie Funiciello vorwarf, mit ihren Positionen den Islam zu unterstützen. Die Juso-Präsidentin fuhr Singer dazwischen: «Ich bin gegen jede Religion». Singer hatte auf die Übergriffe von jungen Männern aus dem Maghreb bei der Kölner Silvesternacht 2016 angespielt und auf das angebliche Schweigen von linker Seite. Funiciello wies darauf hin, dass sexuelle Übergriffe meistens im Umfeld der Familie geschähen. «Sexuelle Gewalt kennt keine Grenzen, keine Hautfarbe und kein Portemonnaie.»
Die Jung-SVPlerin verhedderte sich ein weiteres Mal in Widersprüche, als sie den Juso vorhielt, mit dem Oben-ohne-Foto ein sexistisches Bild der Frau zu zeichnen, kurz darauf aber eine ähnliche Aktion der Jungen SVP bei der Kampagne gegen die Energiestrategie 2050 vehement verteidigte. Funiciello freute es: «Es ist eben ansteckend!»
Am Schluss der Sendung sagte Singer einen Satz, den man eher aus dem Mund Funiciellos erwartet hätte: «Jede Frau soll sich in ihrem Körper wohl fühlen». Gleichzeitig aber habe jeder und jede die Freiheit, zu sagen und zu denken, was er oder sie will. «Oder», fragte Singer rhetorisch, «soll nun auch noch der Staat regeln, was die Menschen denken dürfen?»
Mit dem Staat habe das nichts zu tun, konterte Funiciello, wohl aber mit gesellschaftlichen Prozessen – und die seien veränderbar. Mit der BH-Verbrennungs-Aktion habe man der Gesellschaft den Spiegel vorhalten wollen – «und ich glaube, das ist uns ziemlich gut gelungen».
Bis Herr Hügli und Co. in ihrem Spiegelbild einen Chauvinisten erkennen, dürfte allerdings noch eine ganze Menge Wasser den Rhein hinunterfliessen. (wst)