Fundamentalist Huonder schreibt im jüngsten Brief an seine Geistlichen, sie sollen Sterbewillige ins Gebet nehmen und ihnen aufzeigen, welche Tragweite ein solcher Schritt für ihr ewiges Heil bedeute.
Mit dem Himmel wird es für Suizidwillige nach der Lesart des frommen Bischofs nämlich nichts. Dafür droht ihnen angeblich ewige Verdammnis. Das jedenfalls sollen seine Pfarrer den Suizidwilligen klar machen. Und sich unterstehen, den potentiellen Sündern die Beichte abzunehmen, ihnen die Kommunion zu spenden und ihnen die letzte Salbung zu gewähren.
Huonder baut seine radikalen und unmenschlichen Anweisungen an seine Untergebenen auf lauter Annahmen oder Hypothesen auf. Sollte nur eine nicht stimmen – und dafür spricht verdammt viel –, würden seine Worte zum Tag der Menschenrechte in sich zusammenfallen. Es ist bigott von Huonder, sich ausgerechnet zum Tag der Menschenrechte als gnadenloser Schiedsrichter aufzuspielen. Denn der Vatikan ist einer der ganz wenigen Staaten, der die universale Charta nicht unterschrieben hat.
Der Bischof geht bei seiner Drohung an die Sterbewilligen davon aus,
Es ist eher unwahrscheinlich, dass alle diese unbewiesenen und unbeweisbaren Hypothesen zutreffen. Doch es hindert Huonder nicht, den Sterbewilligen die Hölle heisszumachen – also schon mal tüchtig einzuheizen. Denn der Bischof behauptet, dass es Suizidwillige nie und nimmer in den Himmel schaffen werden.
So wenig wie der Bischof den Mitgliederschwund in seiner Kirche aufhalten kann, so wenig wird es die Sterbewilligen kümmern, was für eine Drohkulisse der gute Mann aus Chur aufbaut. Menschen, die Leiden und keine Lebensenergie mehr haben, plagen andere Sorgen, als sich um die Ermahnungen eines Bischofs zu kümmern, der es sich in seiner luxuriösen Residenz wohlergehen lässt.
Die Zahl der Sterbewilligen nimmt nämlich rasant zu. In Zahlen: Im letzten Jahr haben in der Schweiz 999 Menschen mit hiesigem Wohnsitz einen begleiteten Suizid begangen. Dies berichtete die «NZZ am Sonntag» unter Berufung auf die Angaben der drei grossen Sterbehilfeorganisationen. Im Vergleich zu 2014 entspricht das einer Zunahme von 35 Prozent – und sogar fast einer Vervierfachung seit 2008.
Möglicherweise sei dies erst der Anfang einer Entwicklung, so die Einschätzungen von Georg Bosshard, dem leitenden Arzt an der Klinik für Geriatrie des Universitätsspitals Zürich. Bosshard, der im Rahmen eines Nationalfondsprojekts über medizinische Entscheidungen am Lebensende forscht, zieht gegenüber der «NZZ am Sonntag» einen Vergleich mit dem belgischen Flandern: Dort scheide schon heute jeder Zwanzigste mittels Sterbehilfe aus dem Leben; die Zahlen in der Schweiz könnten in zehn Jahren im ähnlichen Bereich liegen.
Eigentlich müsste sich Huonder über diese Entwicklung freuen. Es würde die ohnehin überlasteten Priester ein Stück weit davon befreien, zu jeder Tages- und Nachtzeit an Krankenbetten gerufen zu werden.
Die Sterbehilfe wird in der Schweiz mittlerweile toleriert, es wird offen darüber geredet. Der assistierte Suizid dürfte deshalb gemäss «NZZ am Sonntag» bald ähnlich akzeptiert sein wie der Schwangerschaftsabbruch, was einen Wertewandel in der Gesellschaft widerspiegle. Erwähnt wird die Babyboomer-Generation, die jetzt ins Alter komme und ihr Leben lang eigenständig gelebt habe und die Verantwortung fürs eigene Leben bis zum Schluss nicht aus der Hand geben wolle.
Die Kirche verurteilt den assistierten Suizid noch wie vor scharf, hat aber mittlerweile an Einfluss in der Gesellschaft verloren. Und selbst innerhalb der Kirche wird diametral diskutiert. Der Theologe Frank Mathwig kritisiert den hohen Stellenwert der Selbstbestimmung und beklagt den Verlust des Skrupels, aus dem Leben zu scheiden. Die Suizidhilfe führe zu einer Veränderung unserer Wahrnehmungen von Normalität, so Mathwig.
Anders sieht es sein Kollege Hans Küng, der seit Jahren um die Erneuerung der katholischen Kirche kämpft. Der 88-Jährige, der an Parkinson leidet, hat bereits angekündigt, eine Sterbehilfeorganisation in der Schweiz in Anspruch zu nehmen, wenn es sein Zustand erfordere.
Zunehmend wollen auch Menschen, die nicht schwer krank sind, selber über ihren Tod entscheiden. Sie machen heute rund einen Drittel aller Sterbehilfe-Fälle aus. Es sind Menschen, die an mehreren Erkrankungen leiden, Demenzkranke, aber auch Lebensmüde mit Altersgebrechen. Und es sind die Ärzte, die gemäss ihren Richtlinien darüber entscheiden, wem sie das Sterbemittel verschreiben.
«Eine unbefriedigende Situation», findet der Moralphilosoph Peter Schaber von der Universität Zürich. Der Staat sei in der Verantwortung, eine Regelung zu formulieren. Die staatliche Gemeinschaft müsse entscheiden, ob jemandem die tödliche Dosis verabreicht werden dürfe oder nicht, so Schaber.
Der Geriater Bosshard sieht das ähnlich: Als Arzt könne er Diagnosen über Krankheiten stellen, doch zur Frage der Lebensmüdigkeit könne er nicht mehr sagen als ein Soziologe oder Psychologe.
Der Ruf nach einer staatlichen Regelung wird somit immer lauter. Ob sich der Bundesrat der schwierigen Frage in naher Zukunft nochmals annimmt, bezweifelt die «NZZ am Sonntag» allerdings. Vor fünf Jahren hat die Landesregierung entschieden, auf eine gesetzliche Regelung der organisierten Suizidhilfe zu verzichten. Dennoch werfe der Anstieg der Sterbehilfefälle sowie der zunehmend bedeutende Aspekt der Lebensmüdigkeit Fragen auf, die der Gesetzgeber über kurz oder lang beantworten müsse. Davor könne er sich nicht drücken.