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Sie ahnen ja nicht, wie viel «Mad Men»-Flair die Schweiz einst verströmte

Oh, Joan, flieg nicht fort! Office-Managerin Mrs. Holloway (Christina Hendricks) empfängt uns zur letzten Staffel von «Mad Men».
Oh, Joan, flieg nicht fort! Office-Managerin Mrs. Holloway (Christina Hendricks) empfängt uns zur letzten Staffel von «Mad Men».Bild: Frank Ockenfels 3/AMC
Zum Start der letzten «Mad Men»-Staffel

Sie ahnen ja nicht, wie viel «Mad Men»-Flair die Schweiz einst verströmte

Die schönste TV-Serie der Welt geht in die letzte Runde. Wir sind in die Archive gestiegen und haben recherchiert, wie viel die Schweiz von einst mit der Serie von heute zu tun hat. 
12.04.2014, 12:2823.06.2014, 09:59
Simone Meier
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Wahre Schönheit strahlt in Pink. Schauen Sie sich bloss diese Frau oben im Bild an! Erkennen Sie sie? Es ist Joan Holloway aus «Mad Men». Und schauen Sie sich ein paar Zeilen weiter dieses Bett an! Es stammt von der Zürcher Möbelfirma Maerki-Bapst. Beide, Joan Holloway und die pinke Liebeshöhle, finden 1969 statt. Das Schlafzimmer kam damals auf den Markt – heute befindet sich die Talacker Bar in den Räumen, wo einst die rosenfarbige Liebeshöhle glühte – und Joan wirbt für die siebte und letzte Staffel «Mad Men», die vergangene Nacht in Amerika Premiere hatte. 

«Mad Men» erzählt von Männern und Frauen, die in der Werbung tätig sind und dies in den 60er-Jahren und in New York. Heutige Retro-Hipster und Modemacher haben sich schon von der Serie inspirieren lassen, Hauptdarsteller Jon Hamm in der Rolle des Werbegurus Don Draper wurde mehrfach unter die attraktivsten Männer der Welt gewählt, und die schöne Christina Hendricks als Joan wurde zur neuen Galionsfigur vollschlanker Frauen. 

«Mad Men» gilt als das ästhetischste TV-Ereignis weltweit. Grund genug, zu recherchieren, wie viel «Mad Men» denn eigentlich in der Schweiz von damals steckte. Wie viel weltläufige Ästhetik. Wie viel Amerika. Und siehe da: Die Schweiz macht sich gar nicht mal so schlecht. 

Sleep pink – Liebeshöhle made in Zürich

Diese pinke Schlafzimmer von Maerki-Bapst war auch in 100 weiteren Farben zu haben.
Diese pinke Schlafzimmer von Maerki-Bapst war auch in 100 weiteren Farben zu haben.Bild/ via Zeitschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich

Die sechste Staffel von «Mad Men» endete an Thanksgiving 1968. Zu diesem Zeitpunkt konnte es in der Schweiz nur gerade der britische Thronfolger Prinz Charles an Popularität mit amerikanischen Themen aufnehmen. Charles hatte damals ein Hobby, es hiess: bürgerliche Blondinen aufreissen. Aber viel lieber war dem Schweizer Publikum die amerikanische Polit-Aristokratie, besonders die Witwen von Martin Luther King, John F. und Robert Kennedy, alle drei waren vor den Augen ihrer Frauen erschossen worden, das Magazin «sie + er» kümmerte sich in Serie um ihre Tragödien.  

Das wichtigste Ereignis der Jahreswende 1968/69 liefert jedoch kein Polit- und auch kein Sport-, sondern ein Filmstar: Sophia Loren bringt am 29. Dezember 1968 in einer Genfer Klinik Carlo Ponti Junior zur Welt. Zehn Jahre lang haben sie und ihr Mann Carlo Ponti vergeblich versucht, ein Kind zu bekommen, erst der Genfer Fruchtbarkeitsprofessor Hubert de Wattville löst das Problem. 

Im ersten Rausch der Vaterschaftshormone verspricht Carlo Ponti, in Genf drei Häuser zu kaufen und eine riesige Fruchtbarkeitsklinik zu gründen. Im Lauf des Jahres 1969 erwischen Schweizer Paparazzi mehrere prominente Damen bei Besuchen von Hubert de Wattvilles Praxis, darunter Soraya, die traurige persische Kaiserin. Der letzte Schah hat sich 1958 von ihr scheiden lassen, weil sie ihm keinen Thronfolger schenkte. Sie bleibt trotz Hubert de Wattville für immer kinderlos.

Sophia Loren und ihr Baby des Jahres 1969

Am 4. Januar 1969 zeigt Sophia Loren ihr Baby der Presse. Der Mann, der hinter dem Bett steht, ist der Genfer Wunderdoktor Professor Hubert de Wattville. 
Am 4. Januar 1969 zeigt Sophia Loren ihr Baby der Presse. Der Mann, der hinter dem Bett steht, ist der Genfer Wunderdoktor Professor Hubert de Wattville. Bild: KEYSTONE

Don und Megan Draper: «Mad Men» und das Drama der modernen Frau

Geht es hier um eine Trennung oder bloss um einen Abschied? Don Draper (Jon Hamm) und seine zweite Frau Megan Draper (Jessica Paré) am Flughafen.Bild: Frank Ockenfels 3/AMC
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Bild: via Zeitschriftenabteilung der ZB Zürich

Auch wenn Don Draper seine zweite Gattin Megan nicht so richtig versteht, weil sie aus einer andern Generation kommt, weil sie die schwierigsten Beatles-Songs am liebsten mag (vor allem «Tomorrow Never Knows») und weil sie selbständig arbeiten will, so sind die beiden doch das schönste Paar, das sich das Fernsehen in den letzten Jahren ausgedacht hat. Der heimliche Macker-Patriarch und die emanzipierte junge Frau, die französische Bücher liest – darunter sicher auch Simone de Beauvoirs «Le Deuxième Sexe».

Megan ist Schauspielerin, keine besonders gute, aber für Werbe- und Soap-Engagements reicht es immer und im Gegensatz zu Joan, deren Kostüme klar in die 50er-Jahre verweisen, führt sie die Mode der Moderne in «Mad Men» ein. Eine knabenhafte Silhouette, kurze Röcke und lange Beine, untaillierte, bequeme Kleider. Die Schuhe von Bally aus dem Frühling 1969, die selbstverständlich nur an schmalen Beinen und Füssen gut aussehen, hätten optimal zu Megans Outfits gepasst. 

Ebenfalls frappant ist die Ähnlichkeit von Megans floralem Stehkragenkleid und dem Schweizer Modell in der Triumph-Werbung. Das vom Hersteller propagierte Drunterwunder gehört allerdings eher zur Ausstattung von Körperkontrollfreak Joan. Frauen wie Megan wollten frei sein. Auch in der Mode. 

Weil sie so wunderschön ist, gleich noch einmal: Megan Draper.Bild: Frank Ockenfels 3/ABC
Hat Megan dieses Kleid kopiert?
Hat Megan dieses Kleid kopiert?Bild/ via Zeitschriftenabteilung der ZB Zürich
Das Supermodel Elisabeth von Toro.
Das Supermodel Elisabeth von Toro.Bild: via Zeitschriftenabteilung der ZB Zürich
Zürcher Minirock-Versteigerung im Juli 1969.
Zürcher Minirock-Versteigerung im Juli 1969.Bild: KEYSTONE

Abgesehen von der Oberflächenperfektion ist «Mad Men» auch ein Spiegel der Zeitgeschichte von damals, der Politik und gesellschaftliche Entwicklungen exakt und intelligent reflektiert. Die schwarze Bürgerrechtsbewegung und die Emanzipation der Frauen sind Dauerthemen, und auch die Schweiz wird davon bewegt. Im Fall der Schwarzen natürlich nur von ferne: Schwarze Hollywoodschauspieler, Boxer und Models wie die afrikanische Prinzessin Elisabeth von Toro gehören genauso zu den beliebten Exotismus-Motiven wie Reportagen über asiatische Königskinder oder den Kalapalo-Indianer am Amazonas, der Beute wie Frau mit seiner Gemeinschaft teilt. Möbel Pfister verkauft ein grün-gelbes Schlafzimmer namens «zauberhaftes Brasilia».

1969 steht die Schweiz zwei Jahre vor der Einführung des Frauenstimmrechts, Kundgebungen und Protestmärsche häufen sich, und auch die Zürcher Minirock-Versteigerung am 5. Juli 1969 mit Dieter Meier am Megaphon ist Teil davon. Die Aktion heisst «Die traurige Geschichte eines Konsumhuhnes oder Wir existieren, um zu konsumieren». Eine der Hutträgerinnen im Bild hat zuvor eine Miss Wahl auf dem Zürichseeschiff Helvetia gewonnen. Der Erlös aus der Versteigerung soll die Finanzierung eines Antibabypillen-Automaten am Bellevue ermöglichen. 

«Do it yourself» ist ein Slogan, der Ende der 60er-Jahre auch in der Schweiz um sich greift, er gilt genauso für Heimwerker wie auch für die weibliche Selbstermächtigung und Karrieregestaltung. In «Mad Men» ist Peggy Olson (Elisabeth Moss) seine unnachgiebige Vertreterin. Sie beginnt als Sekretärin von Agentur-Chef Don Draper, aber durch ihr Gespür für den richtigen Wortwitz und das gute Bild wird sie selbst zur Werberin. Und während Don Draper, der Mann aus einer andern Zeit, allmählich verglüht, steigt Peggy, die zukunftsorientierte Pragmatikerin, immer höher.

Peggy Olson und der Pragmatismus der Kunstfaser

Busy Business: Peggy Olson (Elisabeth Moss) und ihre Werberkollegen.Bild: Frank Ockenfels 3/AMC

Peggys Stil ist genauso praktisch wie ihr Sinn, sie ist weit weniger erotisch gekleidet als Joan und weit weniger mondän als Megan. Ihr Material ist die praktische Kunstfaser. Sie fliesst nicht so weich wie die edlere Viskose, dafür ist sie unzerknitterbar und unzerstörbar. Es sei denn, sie fängt Feuer. Ende der 60er-Jahre heissen der Schweizer liebste Kunstfasern Nylsuisse, Helanca, Terylene, Crimplene, Dralon oder Diolen und klingen allesamt nach DDR-Produkten. Wer Kunstfasern liebt, der liebt auch Reissverschlüsse und elastische Jersey-Stoffe. Hier sind ein paar Schweizer Design-Vorschläge für Peggy und ihre Freunde:

Schweizer Architektur, was sonst?
Schweizer Architektur, was sonst?Bild: via Zeitschriftenabteilung der ZB Zürich
Hippie-Poster fürs hippe Heim von 1969.
Hippie-Poster fürs hippe Heim von 1969.Bild: via Zeitschriftenabteilung der ZB Zürich

Ein junger Schweizer entwirft futuristische Playboy-Architektur für Paris, die auch Don Draper gefallen würde. Der 32-jährige Bieler Architekt Pascal Häusermann baut Badelandschaften mit individuellen Rückzugsmöglichkeiten und die Franzosen lieben ihn. 

Sophia Lorens Kind wird getauft. Omar Sharif spielt Che Guevara. Helmut Bergers erste Filmrolle ist ein depressiver schwuler Nazi, der seine Mutter unter Morphium vergewaltigt und ein jüdisches Mädchen verführt. Der Film heisst «Götterdämmerung» von Luchino Visconti. Romy Schneider sagt, am liebsten möchte sie mal mit Marlon Brando drehen. Die amerikanische Schauspielerin Raquel Welch gilt seit ihrem Auftritt als lendengeschürzte Steinzeitmenschin in «One Million Years B.C.» (1966) noch immer als ungeschlagenes Sexsymbol.

Die Bilder von Judy, dem Wasserski fahrenden Elefanten gehen um die Welt. Ebenso diejenigen von Elefant Elly, der in ein kleines Büsi verliebt ist. Das Schweizer Fernsehen übernimmt vom deutschen Fernsehen die Sendung «Bettys Beat-Box-Haus», in der eine 13-Jährige die heissesten Popstars interviewt: Udo Jürgens, Caterina Valente, France Gall, Gitte. Schweizer Kinder schreiben ans Fernsehen, dass sie sich jetzt endlich verstanden fühlten. 

Der letzte Schrei fürs hippe Heim heisst: Hippie-Poster! Sie werden aus Amerika und England importiert, und die bunte Wellen-und-Blumen-Optik ist bei der Jugend so erfolgreich, dass nicht nur sämtliche Tampons- und Binden-Marken damit werben, sondern auch Möbel-Pfister. 

Hippieposter reloaded.
Hippieposter reloaded.Bild: AMC
Sexiest Frau weltweit: Raquel Welch.
Sexiest Frau weltweit: Raquel Welch.Bild: via Zeitschriftenabteilung der ZB Zürich
Die Fassade in Suhr sieht immer noch gleich aus, allerdings ohne Hippie-Grafik.
Die Fassade in Suhr sieht immer noch gleich aus, allerdings ohne Hippie-Grafik.Bild: via Zeitschriftenabteilung der ZB Zürich

Vier junge Schweizer Jazzmusiker erobern Bangkok, und Jazzer Ueli Staub beschreibt, der Band sei beim Händedruck der thailändischen Ex-Königin ein ganz und gar nicht demokratischer Schauer über den Rücken gelaufen. 

Eine amerikanische Oben-ohne-Band tritt in Zürich auf, der Kontrast zu unserer Paola könnte nicht grösser sein, zu den fünf Herren von den Luzerner Dorados allerdings auch nicht. Miss Schweiz 1969 wird die Aargauerin Liselotte Pauli (die hellblaue Steuerradhalterin). Und die Medien fragen sich leicht besorgt, ob in der blutjungen Ehe von Schauspielerin Senta Berger (mit Steuerwohnsitz Engelberg) und Regisseur Michael Verhoeven wohl alles gut geht, schliesslich ist es ihr Geld, das seine Boheme ermöglicht, Verhoeven ist ursprünglich Arzt. Soviel Emanzipation ist suspekt. Sie sind bis heute glücklich.

Pat Nixon, Amerikas First Lady, erzählt in einem Interview mit der «sie + er», ihr Mann bevorzuge «scharfe mexikanische Speisen», würde aber auch sehr gern Hackbraten essen, weil der so billig sei. Don Draper und seine Freunde haben – das wurde in der sechsten Staffel bereits angekündigt – keine Freude am konservativen Richard Nixon, seiner Pat und seinem Hackbraten. Sie bevorzugen Kennedy, Alkohol und Austern. Und weil das helvetische Pendant zu den amerikanischen Präsidenten nun mal unsere Bundesräte sind, zeigen wir Ihnen zum Schluss dieses herzige Mädchen. Es ist 1969 fünf Jahre alt geworden. Es heisst: Ruth Metzler. 

Hier wächst eine Bundesrätin heran: Ruth Metzler, 1969 in Willisau.
Hier wächst eine Bundesrätin heran: Ruth Metzler, 1969 in Willisau.Bild: KEYSTONE
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