In der Szene wird die Frage fortwährend aufgeworfen: Wird inzwischen auf Kosten des Styles zu viel rotiert und geflipt? Oft ist die Anzahl der «Corks» wichtiger als die stilgerechte Ausführung. Derweil sich die Fraktion der Film- und Foto-Ästheten um die Seele der Sportart sorgt, planen ehrgeizige Flugvirtuosen aus dem asiatischen Raum in geschlossenen Trampolin-Hallen abseits der Öffentlichkeit die nächste Dimension der Rotation.
Der Schweizer Guido van Meel beschäftigt sich seit Jahren mit der Entwicklung und bestimmt den Trend als international etablierter Judge zumindest mit. An den Zensuren der Jury orientiert sich die Weltelite. Auch Shaun White legt sein Repertoire nicht in Absprache mit seinem Management fest.
Wenige Tage vor dem Halfpipe-Final äusserte sich der Juror mit klaren Worten zur allgemeinen Freestyle-Lage: «Wir Richter haben langsam etwas genug von reinen Rotations- und Flipshows. Eine weitere Steigerung der Drehzahlen und riskanten Überkopftricks ist eigentlich eher nicht mehr im Interesse der Sportart.»
Anstelle von weiteren reinen Kunstturnelementen wünscht sich Van Meel vermehrt wieder einen grösseren Variantenreichtum: «Ich hoffe, dass wir hier auch kreative Runs sehen werden. Klar ist es gut, einen Double Cork zu zeigen. Aber im Judge-Team hat es bestimmt auch viele, die mal gerne einen Alley Oop in einer fetten Höhe sehen würden.»
Hoch ausgeführt ist dieser Trick sehr schwierig und mit viel Risiko verbunden. Oft werde irrtümlicherweise vergessen, dass auch Manöver mit geringer Rotation anspruchsvoll seien.
Van Meels gilt auch abseits der Schneeparks als innovativer Kopf und sein Wort hat bei den massgeblichen Institutionen – der FIS und der World Snowboard Tour – grosses Gewicht. Im letzten Jahr entwarf der smarte Entwickler für beide Verbände ein einheitliches Punktesystem und neu auch ein relevantes Jahresranking.
Auf Anklang dürfte der Schweizer mit seiner Einschätzung bei Fahrern wie zum Beispiel dem Amerikaner Danny Davis stossen. Der US-Stilist befährt die Pipes der Welt schon immer sehr unkonventionell. Dieser äusserte sich in einem Zeitungsinterview ähnlich wie Van Meel: «Irgendwann werden die Judges den Style stärker mit einfliessen lassen müssen. Wenn alle Doubles und Triples stehen, was hebt einen dann noch ab?»
Zählt der optisch perfekte Eindruck und die schwierige Kombination von Tricks und Improvisation wieder mehr, rücken «Nonkonformisten» wie der wilde US-Boarder Davis noch mehr in den Mittelpunkt. Das Comeback der in jeglicher Hinsicht vielfältigeren Künstler wäre mutmasslich auch ganz nach dem Gusto der Pioniere.
An der Flughöhe dürfte sich trotz unterschiedlicher Interpretation von Snowboard-Kunst wenig ändern – sie ist weiterhin ein zentrales Kriterium. Das steht selbstredend auch für Van Meel ausser Frage. Entsprechend ist kaum mit einem sofortigen Ende der Dominanz von Shaun White zu rechnen.
Verschiebt sich die Gewichtung tatsächlich, sinkt auch bei ihm die Marge, auch wenn Van Maal zu Recht anfügt, «dass Shaun bisher immer auf den Punkt bereit war». Ob Shaun White oder Iouri Podlatchikow Olympiasieger wird, werden also Van Meel und seine von Amtes wegen kritischen Kollegen entscheiden. Und wie immer gilt: Stil ist oft auch eine Frage des Geschmacks. Jeder hat seinen eigenen. (si/syl)