Der SC Bern musste sich in der Ära Marc Lüthi, die 1998 begann, stets den leisen Vorwurf gefallen lassen, dass das finanzielle Ergebnis wichtiger ist als das sportliche Abschneiden. Jahr für Jahr wurden erkleckliche Summen erwirtschaftet. Der Erfolg auf dem Eis hinkte dieser monetären Erfolgsgeschichte aber immer mehr oder weniger hinterher. Klar: Fünf Meistertitel (und zwei weitere Finalteilnahmen) während der Ära Lüthi lesen sich keineswegs schlecht.
Trotzdem existierte da immer der Vorbehalt, dass ein Klub mit den finanziellen Möglichkeiten der Berner eigentlich jedes Jahr um den Titel mitspielen müsste. Oder anders ausgedrückt: Der SC Bern müsste im Eishockey schon längst das sein, was der FC Basel seit Jahren im Schweizer Fussball ist – das Mass aller Dinge.
Nun sind Meistertitel im Eishockey ungleich schwieriger planbar und noch schwieriger zu gewinnen als im Fussball. Das Playoff-Format bringt es mit sich, dass die Karten vor der entscheidenden Phase der Meisterschaft immer wieder neu gemischt werden. In den sechs Wochen, in denen es um das sportliche Sein oder Nichtsein geht, muss alles zusammenpassen, damit es am Ende für den Titelgewinn reicht.
Selbst die nominell am besten besetzten Teams können scheitern, wenn sie auf einen «heissen» Gegner treffen, der im Zenit seines Könnens steht und sein Potenzial voll ausschöpft. Ausgerechnet die Berner machten diese Erfahrung im vergangenen Jahr, als sie die Meisterschaft nach einer völlig verkorksten Qualifikation auf sensationelle Art und Weise doch noch gewannen.
Der SC Bern Jahrgang 2016/2017 macht allerdings einen derart gefestigten Eindruck, dass man sich nur mit Mühe vorstellen kann, wie diese Mannschaft – unter normalen Umständen – auch in Zukunft an ihrer sportlichen Dominanz gehindert werden kann. Dass es dem SCB als erstes Team seit den ZSC Lions im Jahr 2001 gelungen ist, den Meistertitel zu verteidigen, ist kein Zufall. Sportchef Alex Chatelain (und sein Vorgänger Sven Leuenberger) haben diese Mannschaft perfekt zusammengestellt.
Der Schlüsseltransfer war natürlich Goalie Leonardo Genoni, mit dem sich die Berner nach dem verletzungsbedingten Rücktritt von Marco Bührer auf einen Schlag ihres grössten Problems entledigten. Wer einen Mann wie Genoni hinten drin stehen hat, der geht mit einem derartigen Urvertrauen in jedes Spiel, dass Niederlagen zur Ausnahme werden. Bezeichnend ist etwa, dass der SCB in der zu Ende gegangenen Saison inklusive Playoffs nie mehr als zwei Spiele in Serie verloren hat.
Wie wichtig gute Ausländer im Schweizer Eishockey sind, ist hinlänglich bekannt. Auch hier erledigte Chatelain seinen Job sehr gut. Andrew Ebbett wurde mit den Bernern zum zweiten Mal Meister. Er ist der Prototyp des Playoff-Spielers. Des Leaders, der dann am besten ist, wenn es wirklich zählt.
Mark Arcobello war der beste Söldner-Transfer der ganzen Liga. Und als sich die eigentliche «Transfer-Bombe» Kris Versteeg kurz vor Saisonstart auf mysteriöse Art und Weise wieder in Richtung NHL verabschiedete, zauberte der SCB-Sportchef mit Ryan Lasch eine valable Alternative aus dem Hut.
Zudem überliess Alex Chatelain – im Gegensatz etwa zu seinem ZSC-Lions-Konterpart Edgar Salis – im Hinblick auf die Playoffs nichts dem Zufall und sicherte sich auf den Ausländerpositionen mit den nötigen Ersatzteilen ab – für den Fall aller schlechten Fälle.
Womit wir bei der Trainerfrage angelangt wären. Unvergessen ist die Saga um den letztjährigen Meistertrainer Lars Leuenberger, dem bereits vor den Playoffs mitgeteilt wurde, dass man – ungeachtet des Ausgangs der Meisterschaft – in Zukunft auf seine Dienste verzichten werde. Mit dem sensationellen Gewinn des Meistertitels brachte Leuenberger die SCB-Führungsetage in Argumentationsnot. Und bescherte seinem Nachfolger Kari Jalonen eine ungemütliche Ausgangslage.
Doch der routinierte Finne liess sich von diesen Nebengeräuschen nie beeindrucken und führte seine Mannschaft in aller Ruhe erneut auf den Thron. Marc Lüthi, der Leuenbergers Abgang letztlich durchsetzte, erlebte aus seiner Sicht punkto Trainer eine unglaublich langweilige Saison. Es waren keine Garderobenbesuche und Kabinenpredigten nötig. Das ist meist ein untrüglicher Indikator dafür, dass alles rund läuft im Staate SCB.
Wirft man einen Blick in die Zukunft, dann bleiben die Perspektiven des SC Bern mehr als rosig. Zwar wird der Abgang von Routinier und Musterprofi Martin Plüss (40) eine Lücke hinterlassen, doch die Berner haben mit der Verpflichtung von Biels Gaetan Haas (25), einer der vielversprechendsten Schweizer Center, bereits wieder den nächsten Transfernagel eingeschlagen.
Sollte Mark Arcobello von seiner NHL-Ausstiegsklausel Gebrauch machen, steht mit dem Finnen Mika Pyörälä (35) offenbar bereits jetzt ein würdiger Ersatz bereit. Und dann ist da noch die (momentan vage) Aussicht, dass Mega-Talent Nico Hischier (18), der im Sommer möglicherweise als erster Schweizer an erster Stelle in einem NHL-Draft ausgewählt wird, für eine Saison nach Bern zurückkehrt. Man kann es also drehen und wenden wie man will: Der SCB wird aller Voraussicht nach auch in der kommenden Saison das Mass aller Dinge bleiben.