Sport
Doping

«99 Prozent der Athleten sind gedopt» – ARD-Doku deckt Russlands schockierendes Dopingsystem auf

Schmutzige Siege: Olympiasiegerin Marija Sawinowa (l.) berichtet über Dopingpraktiken im russischen Sport .
Schmutzige Siege: Olympiasiegerin Marija Sawinowa (l.) berichtet über Dopingpraktiken im russischen Sport .Bild: Getty Images Europe
Doping, Betrug und Korruption

«99 Prozent der Athleten sind gedopt» – ARD-Doku deckt Russlands schockierendes Dopingsystem auf

Die Sportnation Russland ist offenbar auf systematischem Doping, Betrug und Korruption aufgebaut. In einem aufwändig und gut recherchierten ARD-Film enthüllen Sportler und Insider beklemmende Details.
04.12.2014, 08:1404.12.2014, 14:59
Mehr «Sport»

Der ARD-Film mit dem Titel Geheimsache Doping – Wie Russland seine Sieger macht kratzt schwer an der Glaubwürdigkeit einer grossen Sportnation. «Die Kombination all dieser Dinge ist fürchterlich schockierend», erklärte David Howman, Generaldirektor der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA), zu den Enthüllungen.

Entsetzt reagierte auch WADA-Gründungsdirektor Richard Pound auf den Film von Hajo Seppelt, in dem Insider und Sportler über ein nahezu flächendeckendes Dopingsystem auspacken: «Das ist ein extrem alarmierender Fall.» Die 60-minütige Dokumentation präsentierte geheime Aufzeichnungen in Bild, Ton und Schrift mit Hinweisen zu einem staatlich unterstützten Doping sowie zu einem offenbar im Hintergrund wirkenden Betrugs- und Vertuschungs-Apparat. 

Die Dokumentation beginnt mit Witali Stepanow, der bei der Anti-Doping-Agentur Russlands (RUSADA) gearbeitet und sich in die hoffnungsvolle Läuferin Julia Rusanowa, seiner späteren Frau, verliebt hat. Sie berichtet ihm, dass sie von ihren Trainern mit Dopingmitteln versorgt wird. Julia Stepanowa liefert der ARD mehrere heimlich aufgenommen Audio- und Videodateien.

Julia Stepanowa (3.v.l.) bricht den Bann und spricht über das Tabu-Thema.
Julia Stepanowa (3.v.l.) bricht den Bann und spricht über das Tabu-Thema.Bild: Bongarts

Es seien beliebige Mädchen von Trainern ausgesucht worden, um sie mit verbotenen Tabletten zu füttern. «Und morgen wird sie gesperrt und dann sagen sie, wir finden ein neues. Und wenn einer erwischt wird, schmeissen sie den Sportler weg und nehmen einen neuen.» Bestätigt wird das auch vom russischen Wurfdisziplintrainer Oleg Popow: «Der Sportler hat keine Wahl.» Die Diskuswerferin Jewgenia Pecherina behauptet sogar, «der grösste Teil der Athleten dopen, 99 Prozent». 

In einem in der Sendung gezeigten Handyvideo berichtet auch die 800-Meter-Olympiasiegerin von London 2012, Marija Sawinowa, über ihre Dopingpraktiken – etwa die Einnahme des Anabolikums Oxandrolon. Der Sportmediziner Sergej Portugalow und Leichtathletik-Cheftrainer Alexej Melnikow könnten demnach mutmasslich in Dopingvergabe und die Vertuschung positiver Tests verstrickt sein, beide beantworteten Fragen der ARD dazu nicht. 

Der Film von Hajo Seppelt birgt Diskussionsstoff.
Der Film von Hajo Seppelt birgt Diskussionsstoff.bild: hajoseppelt.de

Wurden positive Tests vertuscht?

Laut RUSADA-Statistik von 2013 habe es 23'110 Kontrollen gegeben, hiess es in der ARD-Doku. 2,2 Prozent davon seine positiv gewesen, das sind über 500 Fälle. Aber nicht genug, wenn tatsächlich systematisches Doping betrieben wird. Witali Stepanow – er war drei Jahre für die RUSADA tätig – berichtet zudem von Vertuschungspraktiken: «Ich bekam ganz klar mit, dass Offizielle versucht haben sicherzustellen, dass Athleten erst gar nicht getestet wurden.» Davon betroffen seien etwa Athleten der Sportarten Schwimmen, Radfahren, Biathlon, Leichtathletik, Gewichtheben und Ski nordisch. 

Seppelt geht deshalb auch der Frage nach, ob positive Tests vertuscht werden. Witali Stepanow berichtet von Anrufen bei der RUSADA, die aus dem Ministerium kamen, wonach positive Tests von berühmten Sportler oder Medaillenhoffnungen als «Fehler» abgetan und nicht weiter verfolgt werden sollten. Sportler berichten auch, dass vor grossen internationalen Meisterschaften alle infrage kommenden Athleten getestet werden. Wer nicht sauber ist, werde nicht entsendet.

Nikita Kamajew, der Generaldirektor der RUSADA, betonte in der Dokumentation, dass die Anti-Doping-Agentur sauber arbeite. Ebenso weist Grigori Rodschenkow, der Direktor des Dopingkontrolllabors in Moskau, jede Manipulation zurück. Valentin Balachnitschew, der Präsident des russischen Leichtathletik-Verbandes und zudem auch Schatzmeister des Weltverbandes (IAAF), wollte zu den Dopinganschuldigungen gegenüber ARD nicht Stellung nehmen.

«Ich fand Trainer und Ärzte, die Doping anweisen, Sportler, die es zugeben, einen Erlass des Staates, der Kontrollen behindert, ein Labor, das bei der Vertuschung zu helfen scheint, eine Anti-Doping-Agentur, die offenbar Termine für Kontrollen vergibt. Und eine Führung, die nicht reden will», zog Seppelt in der Dokumentation ein Zwischenfazit.

Schobuchowa musste 450'000 Euro zahlen

Im April wurde bekannt, dass die Weltklasse-Marathonläuferin Lilija Schobuchowa wegen Dopings für zwei Jahre gesperrt worden ist. Die Sperre basiere auf auffälligen Daten aus dem Biologischen Pass, teilte der russische Verband mit. Auffälligkeiten, wie die ARD berichtet, die schon lange bekannt gewesen sein sollen. Der russische Verband kontaktierte Schobuchowa, diese gibt laut ARD an, zuerst 150'000 und später nochmals 300'000 Euro bezahlt zu haben, um weiter an Wettkämpfen teilnehmen zu können. Und stand 2012 bei Olympia in London am Start.

Lilija Schobuchowa ist sicher nicht immer «sauber» gelaufen.
Lilija Schobuchowa ist sicher nicht immer «sauber» gelaufen.Bild: Getty Images Europe

Doch dann soll Schobuchowa doch noch gesperrt werden, sie wird zu Balachnitschew und Melnikow zitiert, soll dort Papiere von der IAAF unterschreiben, wie sie der ARD erzählt. Sie und ihr Mann wollen das nicht, fragen, wofür sie 450'000 Euro bezahlt haben sollen. Woraufhin Balachnitschew angeordnet haben soll, das Geld an sie zurückzuzahlen. 300'000 Dollar werden tatsächlich von einer Firma an Schobuchowa überwiesen. Wie Belege zeigen, soll mutmasslich Balachnitschew in den Vorgang involviert gewesen sein.

«Ich verrate unser Land an die ganze Welt»

Der Film endet damit, dass Julia Stepanowa in einem Trainingslager in Kirgisien von einem Trainer in einem Hotelzimmer Dopingmittel bekommt, gefilmt mit versteckter Kamera. Unter anderem erhielt sie Oxandrolon, das später im Kölner Labor auch als solches analysiert wird.

«Ich werde für Russland vermutlich zum Staatsfeind Nummer 1. Denn ich erzähle von dem System, das wir haben. Ich verrate unser Land an die ganze Welt. Wenn das ausgestrahlt wird und unsere Regierung das mitbekommt, wird Leben in Russland sehr schwierig werden. Ich denke, dass Russland so etwas nicht verzeihen wird», sagte Stepanowa. Die WADA lobte sie laut ARD für «Mut und Einsatz». Witali und Julia Stepanowa haben mit ihrem Sohn Russland mittlerweile verlassen. (pre/si/dpa)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
11 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
mrgoku
04.12.2014 08:30registriert Januar 2014
Wer ist im Hochleistungssport schon nicht gedopt? Vermutlich die, die immer letzte werden oder gar nicht ins Ziel kommen...
241
Melden
Zum Kommentar
11
Dringend gesucht: Ein Stürmer für Murat Yakin
Nach zwei Testspielen und null Gegentoren ist beim Nationalteam das Vertrauen in die Defensive zurück. In der Offensive sucht Trainer Murat Yakin nach Alternativen.

Es sind Worte, die erstaunen. Als Murat Yakin auf die Situation im Angriff angesprochen wird, fallen plötzlich Namen wie Haris Seferovic und Joël Monteiro. «Für Seferovic ist die Tür nicht zu», sagt der Nationaltrainer. Und zu Monteiro, dessen Einbürgerung noch nicht abgeschlossen ist, meint er: «Wir hätten ihn gerne schon jetzt dabei gehabt.»

Zur Story