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EM 2016

Belgiens «Goldene Generation» – die nächste, die unsanft im Altmetall gelandet ist

Belgiens «Goldene Generation» sagt leise «Adieu». Für immer?
Belgiens «Goldene Generation» sagt leise «Adieu». Für immer?Bild: LAURENT DUBRULE/EPA/KEYSTONE

Belgiens «Goldene Generation» – die nächste, die unsanft im Altmetall gelandet ist

Trotz aller Vorschusslorbeeren ist Geheimfavorit Belgien bei der EM in Frankreich im Viertelfinal gegen Aussenseiter Wales sang- und klanglos ausgeschieden. Die «Goldene Generation» hat versagt – und befindet sich damit in bester Gesellschaft.
02.07.2016, 05:2902.07.2016, 09:01
Philipp Reich
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Besser hätte der Viertelfinal gegen Wales nah dem Heimatland für die Belgier eigentlich nicht beginnen können. Von Anfang an drückten sie in Lille – angefeuert von 150'000 belgischen Fans im und rund ums Stadion – auf die frühe Führung. Mit ihrem Tempo und den überfallartigen Angriffen überforderten Hazard, De Bruyne und Co. die walisische Abwehr mal für mal, doch selbst beste Chancen liessen sie zunächst ungenützt. In der 13. Minute klappte es dann doch: Mit einem 106-km/h-Hammer traf Radja Nainggolan zum 1:0. 

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Das frühe 1:0 durch Nainggolan befreite die Belgier nicht vom Druck.
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Zu diesem Zeitpunkt hatte wohl niemand mehr auf ein Aus der Belgier gewettet, zu überlegen und voller Selbstbewusstsein traten sie auf. Doch die Waliser gewöhnten sich in der Folge bald an die belgischen Angriffe und kriegten die «Rode Duivels» immer besser unter Kontrolle. Der Ausgleich nach einer halben Stunde war ein erster Rückschlag, das 1:2 nach der Pause dann ein Schock, das 1:3 in der 86. Minute schliesslich der endgültige K.o.-Schlag.

Damit hat Belgiens hoch gehypte «Goldene Generation» auch die nächste Möglichkeit verpasst, endlich zu zeigen, dass sie wirklich golden ist. Die junge Truppe von Trainer Marc Wilmots muss sich an der eigenen Nase nehmen. Wie schon beim 0:2 gegen Italien im EM-Startspiel konnten die Belgier mit einem Rückschlag nicht umgehen, scheiterten schliesslich am eigenen Unvermögen.

Marc Wilmots hat seine «Zuchthengste» nicht zügeln können.
Marc Wilmots hat seine «Zuchthengste» nicht zügeln können.Bild: Pascal Rossignol/REUTERS

Wenn es nicht nach Plan läuft, wirken diese fantastischen belgischen Einzelkönner schnell wie ein Haufen wilder Pferde, die von keinem Cowboy dieser Welt gezügelt werden können. Vom Talent her könnte Belgien eine ganze Vorrundengruppe mit guten bis sehr guten Offensivspielern ausstatten. Nur gelingt es Wilmots nicht, seine Einzelkönner in ein Konzept einzubetten, das sie ihre individuellen Stärken voll ausspielen lässt.

Es ist keine Strategie, keine taktischen Feinheiten zu erkennen. Da ist nur die Hoffnung, dass es die Spieler mit ihren individuellen Fähigkeiten selbst richten werden. Das kann zwischendurch, gegen deutlich schwächere Gegner (wie gegen Ungarn oder Irland) aufgehen, aber definitiv nicht über ein ganzes Turnier. Auffällig, wie Hazard, De Bruyne oder Lukaku ihr Heil nach dem 1:2 frustriert in Einzelaktionen suchten oder gar komplett untertauchten.

Golden und gescheitert

Einen schwachen Trost gibt es für die Belgier: Sie sind nicht allein! Ja, sie reihen sich in eine lange Liste goldener Generationen ein, die den grossen Coup ebenfalls verpasst haben und schliesslich irgendwann im Altmetall gelandet sind.

  • Holland – Ende der 00er-Jahre: Viele grosse Fussballer, viele grosse Egos: Arjen Robben, Wesley Sneijder, Robin van Persie, Rafael van der Vaart, Klaas-Jan Huntelaar hätten Holland den ersten Titel seit 1988 bescheren sollen. Doch ausser bei der WM 2010 in Südafrika, als sie im Final unglücklich gegen Spanien verloren, konnten sie spielerisch nie voll und ganz überzeugen.
Wesley Sneijder am Boden zerstört.
Wesley Sneijder am Boden zerstört.Bild: AP
  • England – Mitte der 00er-Jahre: Dank Stars wie Michael Owen, David Beckham, Frank Lampard, John Terry und Steven Gerrard träumen die «Three Lions» Turnier für Turnier vom grossen Coup. Doch die Superstars funktionieren nicht als Team und so kommen die Engländer nie über einen Viertelfinal hinaus. Mittlerweile warten sie seit 50 Jahren auf einen Titel.
Ausser Spesen nix gewesen.
Ausser Spesen nix gewesen.Bild: AP
  • Portugal – Anfang der 00er-Jahre: Zweimal hintereinander wurden die Portugiesen Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre U20-Weltmeister. Schnell war klar: Hier wächst ein «Goldene Generation heran». Luis Figo, Rui Costa, Fernando Conceicao, Joao Pinto, Nuno Gomes und wie sie alle hiessen, verpassten es allerdings, den ersten grossen Titel nach Portugal zu holen. Die zu magere Ausbeute: EM-Halbfinal 2000, EM-Final 2004, WM-Halbfinal 2006.
Kein Titel für Portugals grosse Hoffnungsträger.
Kein Titel für Portugals grosse Hoffnungsträger.
Bild: EPA
  • Belgien – Anfang bis Mitte der 80er-Jahre: Jean-Marie Pfaff, Eric Gerets, Enzo Scifo, Jan Ceulemans – sie sind die Vorgänger von Hazard, De Bruyne und Co. Schon damals galt Belgien bei fast jedem Turnier als Geheimfavorit. Kein Wunder: 1980 standen sie im EM-Final, 1986 wurden sie WM-Dritter. Doch die Krönung blieb auch ihnen versagt.
Diego Maradona zerstört 1986 im WM-Halbfinal den belgischen Traum.
Diego Maradona zerstört 1986 im WM-Halbfinal den belgischen Traum.Bild: AP
  • Polen – Mitte der 70er-Jahre: 1972 gewannen die «Weiss-Roten» die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen. Zwei Jahre später wurden sie an der WM von Gastgeber Deutschland erst im Halbfinal in der skandalösen «Wasserschlacht von Frankfurt» gestoppt. Die Stars von damals: Grzegorz Lato, Andrzej Szarmach und Kazimierz Deyna.
Sieht nicht so aus, aber das Terrain war damals wirklich kaum bespielbar.
Sieht nicht so aus, aber das Terrain war damals wirklich kaum bespielbar.
Bild: AP NY
  • Ungarn – Mitte der 50er-Jahre: Nach dem Zweiten Weltkrieg dominierte Ungarns «goldene Elf» den Weltfussball. Vom 1950 bis 1954 blieb sie in 31 offiziellen Länderspielen unbesiegt. An der WM 1954 in der Schweiz traten Ferenc Puskas, Sandor Kocsis und Co. deshalb als grosse Favoriten an, scheiterten im Final aber völlig überraschend an Deutschland. Nach der bitteren Final-Niederlage blieb Ungarn zwei weitere Jahre ungeschlagen. Der Volksaufstand von 1956 und die damit verbundene Auswanderung vieler Talente beendete schliesslich Ungarns Dominanz.
Als haushoher Favorit führt Ferenc Puskas seine Ungarn 1954 auf den Rasen des Wankdorfs.
Als haushoher Favorit führt Ferenc Puskas seine Ungarn 1954 auf den Rasen des Wankdorfs.
Bild: PHOTOPRESS-ARCHIV

Nun aber nochmals zurück zu den Belgiern. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt und diese ist bei den «Rode Duivels» noch immer angebracht: Die Teamstützen der «Goldenen Generation» sind noch jung: Hazard ist 25, Lukaku 23 und De Bruyne 24. Sie werden weitere Titelchancen bekommen. Dringend benötigt wird jetzt allerdings ein Trainer, der aus den hervorragenden Einzelkönnern eine funktionierende Mannschaft formt. Wie das geht? Vielleicht mal bei den Walisern nachfragen ...

P.S. Nicht alle «Goldenen Generationen» endeten übrigens im Altmetall. Die Deutschen (EM 1972, WM 1974), die Franzosen (WM 1998, EM 2000) und die Spanier (EM 2008, WM 2010, EM 2012) haben eindrucksvoll bewiesen, dass es auch anders geht.

Alle EM-Torschützenkönige seit 1980

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Alle EM-Torschützenkönige seit 1980
2016 in Frankreich: Antoine Griezmann (Frankreich), 6 Tore.
quelle: x01095 / christian hartmann
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