Ab unter die warme Dusche! Als Vladimir Petkovic seine Mannschaft nach der zweitletzten Trainingseinheit vor dem EM-Quali-Showdown gegen Slowenien entlässt, spurten die Spieler rassig in die Kabine. Der Sommer ist vorbei. Ohne Bewegung gerät man auf dem Sportplatz Grünfeld in Jona abends sofort ins Schlottern.
Nur Valentin Stocker und Timm Klose haben keinen Stalldrang. Sie schieben eine Extraschicht. Stocker schlägt Flanken vor das leere Tor – 20, 30, 40 Stück. Klose hält jedes Mal den Schädel hin, donnert die Bälle ins Netz. Der 1,93-Meter-Mann jubelt und flachst nach jedem Treffer wie ein übermütiger Schulbub auf dem Pausenplatz.
Klose hat gut lachen. Endlich wieder. Nicht nur weil er die ersten drei Bundesliga-Partien für Wolfsburg durchgespielt und beim Sieg gegen Schalke zuletzt sogar getroffen hat. Da Dauerbrenner Johan Djourou mit einem Muskelfaserriss ausfällt und Steve von Bergen kriselt, dürfte der 26-jährige Innenverteidiger am Samstag gegen Slowenien an der Seite von Fabian Schär erstmals seit vier Jahren auch bei der Nati wieder in einem Pflichtspiel von Beginn weg zum Handkuss kommen.
Dann will er in seinem zehnten Länderspiel endlich den letzten schwarzen Startelf-Einsatz im Nati-Dress vergessen machen. Im Oktober 2011 verschuldet Klose beim 0:2 gegen Wales mit einem völlig verunsicherten Auftritt einen Penalty. Es ist das Ende der Schweizer Hoffnungen auf die EM 2012 und der Sündenbock wird von den Medien in der Luft zerrissen. Klose erinnert sich: «Da habe ich schon heftig auf den Deckel bekommen. Aber das ist eben manchmal so und man muss einfach neu beginnen.»
Hoffnung, Rückschlag, Wiederauferstehung – ein Muster, das sich durch die ganze bisherige Karriere des deutsch-schweizerischen Doppelbürgers zieht. Beim FC Basel wird Klose als U21-Jungspund erst von Christian Gross und dann von Thorsten Fink als zu leicht befunden. Selbstverschuldet, wie er später zugibt: «Ich war nicht immer der Pünktlichste im Training und hatte einen eher lockeren Lebensstil.» Der Handelsschule-Absolvent jobbt lieber in einem Architekturbüro und überlegt sich, ob er nicht lieber «etwas Vernünftiges» aus seinem Leben machen möchte.
Doch die Abfuhr wird für Klose zur Initialzündung. 2009 wechselt er zu Murat Yakin nach Thun und entschliesst sich, nun wie ein richtiger Profi zu leben. Der Transfer geht gegen den Willen des FC Basel nicht als Leihgeschäft über die Bühne – weil Klose keine halben Sachen mehr machen möchte.
Im Berner Oberland blüht der kopfballstarke Basler auf. Nach zwei Saisons klopft Nürnberg an und erfüllt den Traum von der Bundesliga, den sich Klose bereits als kleiner Bub auf einem Zettel notiert und über das Bett gehängt hat. Auch in Nürnberg läuft es wie geschmiert: 45 Liga-Einsätze später holt ihn Trainer Dieter Hecking für 6 Millionen Euro zu Wolfsburg.
Doch beim Werksklub landet der Innenverteidiger 2013 gleich zu Beginn wieder kolossal auf der Nase. Im zweiten Training erleidet er eine Knieverletzung, im ersten Bundesliga-Spiel für die Wölfe fliegt er mit Gelb-Rot vom Platz. Das nächste halbe Jahr steht der Schweizer nie wieder in der Startelf und muss zusehen, wie sein jüngerer Konkurrent Robin Knoche richtig durchstartet.
Auch während der vergangenen Saison muss Klose lange auf den ersehnten Umschwung warten. Nach 28 Spieltagen hat er erst sechs Einsätze auf dem Konto, ein Klubwechsel im Sommer scheint die einzige Option. Dann wird Wolfsburg im April beim Europa-League-Viertelfinal gegen Napoli mit 1:4 gedemütigt. Wieder sitzt der Schweizer auf der Bank – seither das letzte Mal.
Denn die Chance, die ihm Dieter Hecking anschliessend bietet, lässt sich Klose nicht entgehen. Als Bundesliga-Stammspieler holt er im Saison-Endspurt plötzlich Topnoten ab. Nach weiteren starken Einsätzen im Halbfinal gegen Bielefeld und im Final gegen Dortmund darf er sich im Mai sogar DFB-Pokalsieger nennen. Der Wiederauferstandene erinnert sich: «Ich hatte schwierige Zeiten und musste ewig auf diesen Moment warten. Auch Zweifel sind aufgekommen. Aber als ich den Pokal in der Hand hielt, war ich umso glücklicher.»
Die Aufmerksamkeit um den Pokalsieg bringt auch eine weitere Eigenschaft des Schweizers auf die ganz grosse Bühne. Mit zwei Interviews beweist Klose, dass er ein geborener Spassvogel ist: Erst muss er für Naldo beim «Sportschau»-Termin einspringen. Dort erklärt er vor einem Millionenpublikum bereits sichtlich angetrunken, dass er sich Sorgen um die Dicke der Hotelwände macht. Der Grund: Trainer Hecking habe gesagt, er wolle eine «geile Nacht» erleben und mit fünf Kindern müsse der ja wissen wie das geht. Das Publikum tobt vor Begeisterung.
Tags darauf legt Klose nach. Mit Sonnenbrille und herrlich verkatert beantwortet er auf «Sky» die Frage nach dem Ende der Feier mit dem nächsten Kracher: «Ich habe nicht bis zum Schluss durchgehalten. Ich wollte noch etwas mit meiner Freundin erleben und habe mich um fünf, halb sechs auf die Suche nach einem wohlgefühlten Untergrund gemacht.»
Mit solchen Aussagen wird man blitzschnell zum YouTube-Hit und Klose ist zufrieden damit: «Abgedroschene 08/15-Interviews entsprechen nicht meinem Typ. Ich sage lieber ehrlich, was mir am Herzen liegt. Damit bin ich bisher ganz gut gefahren.»
Den sympathischen Hang für skurrile Auftritte lebt Klose unter seiner Hashtag-Schöpfung #instakräss auch auf Social Media gebührend aus. Zu Beginn der laufenden Nati-Woche sorgt er für Schlagzeilen, weil er um 2 Uhr nachts ein Bild mit Vladimir Petkovic auf Instagram postet, statt zu schlafen. Das eigentliche Highlight seines Accounts sind aber die vielen Videos, in denen Klose sein Talent als Comedian beweist.
Eines ist sicher: Mit Klose steigt der Spassfaktor in der Nati-Startelf gewaltig. Zu wünschen ist ihm gegen Slowenien auch ein sportlicher Volltreffer. Ein Sieg mit zwei Toren Differenz wäre nicht nur die halbe EM-Miete, auch Klose könnte weitere Argumente in eigener Sache liefern. Denn in Wolfsburg wartet nach den Nati-Terminen bereits die nächste Hürde: Mit Neuzugang Dante muss sich Klose der nächsten Herausforderung stellen. Wird er am Ende wieder lachen?
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