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>>> Wir tickern die Partie Zug – Davos heute ab 19.45 Uhr!
Der alte Spruch von der dicken Dame hat seinen Ursprung in der Oper und bedeutet eigentlich, dass das Stück erst vorbei ist, wenn der Vorhang fällt. Das ist etwa bei der weltberühmten Oper «Ring der Nibelungen» erst der Fall, wenn eine der einst meist übergewichtigen Sopranistinnen die finale «Götterdämmerung» besungen hat.
Der amerikanische TV-Reporter Dan Cook ist der Erfinder dieser Phrase im Sport. Er beschwor die «fat lady» 1976 in den NBA-Playoffs zwischen San Antonio und Washington. Um den Zuschauern eindringlich vor Augen zu führen, dass die Serie nach dem ersten Sieg von San Antonio noch keineswegs entschieden sei. Und nun können wir sagen, dass in der Serie zwischen Zug und Davos die dicke Frau nach der 2:0-Führung der Zuger noch nicht gesungen hat. Warum müssen die talentierteren, auf dem Papier besseren Zuger zittern?
Nehmen wir an, die beiden Teams wären aus Lego-Steinen zusammengesetzt. Wir wären also dazu in der Lage, jedes einzelne Stück zu vergleichen. Die Torhüter, die Verteidiger links und rechts, die Stürmer auf den rechten und linken Aussenbahnen und die Mittelstürmer im ersten, im zweiten, im dritten und im vierten Block. Das Resultat wäre eindeutig: Der EV Zug wäre klarer Sieger und der HCD Aussenseiter. Das sagt übrigens auch die unparteiische Tabelle. Zug (3.) hat in der Qualifikation 23 Punkte (!) mehr geholt als Davos (5.).
Dieser «Lego-Theorie» widerspricht Arno Del Curto natürlich nicht. Er mag alles, was den Gegner gross und stark macht. Er bestätigt: «Zug ist ein sehr, sehr starker Gegner. Die Zuger haben alles. Einen sehr guten Torhüter, sehr gute Verteidiger, vorne Sniper und sie spielen mit vier Linien.» Sniper sind im Hockey abschlussstarke Stürmer. Der Ausdruck kommt aus dem Englischen und bedeutet «Heckenschütze».
Wie ist es dann möglich, dass ein Team, das im «Lego-Vergleich» zweifelsfrei Verlierer ist, in einem Spiel ein 1:3 und in der Serie ein 0:2 aufzuholen vermag und weiterhin Chancen hat, das Finale zu erreichen?
Solche Comebacks in einzelnen Spielen und Serien gehören zwar seit Anbeginn der Zeiten (seit 1986) zu unseren Playoffs. Aber meistens ist es so, dass ein Titan sich endlich zusammenreisst und dann einen Aussenseiter doch noch überwindet. Beispiel: Lugano lag gegen Ambri 2006 in den Viertelfinals gegen Ambri 0:3 zurück, gewann die Serie doch noch und wurde unter Nothelfer Harold Kreis Meister. Auch die Zuger haben gegen die Lakers im Frühjahr 2007 ein 0:3 im Viertelfinale noch gewendet.
Es gibt einen ganz bestimmten Grund, warum Davos mit weniger Talent Zug doch in Bedrängnis bringt: Energie.
Die Davoser trainieren im Sommer intensiver, und härter als die Konkurrenz im Unterland. Deshalb laufen sie länger und oft schneller als ihre Gegenspieler («Duracell-Effekt»). Für diese höhere Belastung zahlen sie einen Preis: Der angesehene NHL-Scout Thomas Roost hat sich die Mühe genommen, die verletzungsbedingten Ausfälle aller NLA-Teams der letzten Jahre zu erfassen. Das Resultat ist eindeutig: Der HCD hat am meisten verletzungsbedingte Ausfälle («Man-Games Lost») aller NLA-Teams.
Playoffs werden gelegentlich als «Fortsetzung des Eishockeys mit anderen Mitteln» charakterisiert. «Krieg auf dem Eis» wird inzwischen dank sehr guten Schiedsrichtern und entlarvenden TV-Bildern kaum mehr geführt. Auch deshalb erreichen die Partien immer wieder ein erstaunliches Niveau. Es wird ausserhalb der NHL nicht oft so hochklassiges, schnelles, spektakuläres Hockey geboten wie in der Serie zwischen Zug und Davos.
Aber nach wie vor spielen Leidensfähigkeit und eben grössere Energiereserven eine ganz andere Rolle als im Alltag der Qualifikation zwischen September und Februar. Das Klischee der kräftigen, robusten «Bergler», das einst von den 1920ern bis in die 1960er Jahre hinein die erdrückende Überlegenheit der Teams aus den Bergen (Arosa, Davos) erklärte, gilt dank Arno Del Curto im 21. Jahrhundert erneut.
Der HCD ist auch die einzige Mannschaft unserer Hockey-Geschichte, die bis zum Titelgewinn über die Maximaldistanz von 21 Partien gehen musste und in jeder Serie Rückstände aufgeholt hat. Im Frühjahr 2009 geriet der HCD im Viertelfinale gegen Lugano, im Halbfinale gegen Fribourg und im Finale gegen Kloten in Rücklage – und triumphierte jeweils im 7. Spiel. «Marathon-Meister» Davos.
Es sind nicht «weiche» Faktoren wie das vielzitierte Momentum (das immer erst in Nachhinein als Erklärung dient, wenn wir wissen, wie es ausgegangen ist), Coaching-Voodoo, Glück, Pech und sonstige Unabwägbarkeiten eines unberechenbaren Spiels auf einer rutschigen Unterlage, die den HCD zu einer Mannschaft machen, die nie aufgibt und immer wieder aufsteht. Es ist die jahrelange harte Arbeit im Sommer. Sie ist das wichtigste Erfolgsgeheimnis.
Arno Del Curto spielt zwar diesen Faktor herunter und sagt: «Es stimmt: Früher haben wir im Sommer viel mehr gemacht als die anderen. Aber heute ist das nicht mehr der Fall.»
Aber nach wie vor gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen dem Sommertraining in Davos und im Unterland. Und deshalb sind die Sommertrainings in Davos besser. Im Zuge der Professionalisierung erlauben die Klubs im Unterland individuelles Sommertraining ohne permanente Überwachung. «Das gibt es bei uns nicht», sagt Arno Del Curto.
In Davos wird auch im Sommer unter Aufsicht gemeinsam trainiert (und Arno Del Curto ist nie weit). Zwar trainieren im Sommer einzelne Stars im Unterland unter Anleitung von persönlichen Fitness-Trainern – aber nur durch gemeinsames, beaufsichtigtes Sommertraining wird sichergestellt, dass alle die Energietanks gefüllt haben, wenn die Saison beginnt.
Gemeinsames Training während des ganzen Jahres, im Frühjahr, im Sommer, im Herbst und im Winter, ist nur noch auf dem «Hockey-Planeten HCD» oben in den Bergen, nicht aber in den urbanen Zentren des Unterlandes möglich. Dort ist die «Individualisierung des Mannschaftssportes» weiter fortgeschritten. Im Hochtal von Davos hat die wahre Romantik des Mannschaftssportes ein letztes Refugium. Zu dieser Romantik gehören das gemeinsame Sommertraining, der grössere Zusammenhalt, die Energie und die Zuversicht, um immer wieder Rückstände gegen vermeintlich bessere Gegner aufzuholen – und die Wandlung von Perttu Lindgren.
Der Finne kommt im Herbst 2013 nach Davos. Mit dem Ruf, ein Schillerfalter, zu weich zu sein. Nun spielte er bei der Wende in diesem Halbfinale die Schlüsselrolle. Er beisst sich mit einer schmerzhaften Hüftverletzung durch. Arno Del Curto sagt: «Er sollte eigentlich nicht spielen. Aber ich habe ihm gesagt, er solle sich durchbeissen – und er tut es für seine Mitspieler. Nach der Saison muss er sich einer Operation unterziehen.» Fitspritzen sei nicht nötig. «Medikamente gegen die Schmerzen genügen und während des Spiels spürt er die Schmerzen sowieso weniger. Aber nach dem Spiel kann er praktisch nicht mehr gehen.»
Auch solche Heldengeschichten gehören zur HCD-Romantik.