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Wenden wir uns zuerst dem Fussball zu, um den Unterschied zwischen den Kulturen der beiden Sportarten zu verstehen. Und nehmen ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit. «Die Zeit», ein seriöses teutonisches Printmedium rühmte kürzlich die Schwalbe mit dem Titel: «Eine Schwalbe, bravo!».
Es lohnt sich in aller Ruhe zu lesen, wie hier Betrug im Fussball beurteilt wird. Es geht um die Schwalbe von Luis Suarez, die Barcelona den Weg zum «Wunder» gegen Paris St-Germain ebnete:
Wie gesagt, der ganze Artikel ist sehr lesenswert. Darum hier lang!
So ist das also im Fussball. Es ist eine deutsche Einschätzung. Wir müssen uns nicht einmal auf das Glatteis der politischen Unkorrektheit begeben und von einem anderen Verständnis für Fairplay in fremdländischen Kulturen fabulieren.
Typisch Fussball auch, dass Diego Maradona, einer der Grössten aller Zeiten, sein berühmtestes Tor (das 1:0 im WM-Viertelfinale von 1986 gegen England) mit der Hand erzielt hat. Erst 2005 gab er zu, getrickst zu haben. In der gleichen Partie zelebrierte er auf sportliche Art und Weise einen weiteren Treffer (zum 2:0), der als Jahrhundert-Tor gilt (Schlussresultat 2:1 für Argentinien). Aber davon spricht kaum mehr jemand. Beklatscht gehören die Gerissenen. Nicht die Tüchtigen, die Tapferen, die Ehrlichen.
Und gibt es nicht auch einen Unterschied zwischen Sepp Blatter und René Fasel, den beiden höchstdekorierten helvetischen Funktionären im Fussball und Eishockey? Aber das nur nebenbei.
Eishockey ist ein ehrlicher Sport. Ambris Sven Berger ist soeben nachträglich für sein Vortäuschen einer Verletzung im dritten Spiel des Playout-Finals gegen Gottéron mit 900 Franken gebüsst worden. Er hatte sich die Hand gehalten und Schmerzen vorgetäuscht, nachdem ihn ein Gegenspieler – angeblich – mit dem Stock getroffen hatte. Die TV-Kameras haben ihn als Betrüger entlarvt.
Der Verband schreibt dazu: «Das Vortäuschen von Verletzungen, Fouls oder gefährlichen Aktionen, sind unfaire Handlungen, die das Spiel verfälschen. Solche Aktionen werden im Eishockey nicht toleriert und dementsprechend sanktioniert.»
Im letzten, entscheidenden Halbfinalspiel gegen Davos krümmte sich Zugs Johann Morant am Samstag nach einem zweifelsfreien (und bestraften) Stockstich von Gregory Sciaroni vor Schmerzen – und beteiligte sich dann sogleich quicklebendig am Torjubel. Eine Szene, die für heftige Diskussionen sorgte.
Im Eishockey gibt es in unserer Liga seit 20 Jahren den Video-Beweis. Es wird also alles darangesetzt, dass nur regulär, ehrlich erzielte Treffer zählen. Zudem ist die Bestrafung von «Schwalben» im Regelwerk des Eishockeys festgeschrieben und zieht nebst einer Strafe auch eine Busse nach sich.
Im Fussball sträuben sich die Macher auf allen Ebenen gegen die Einführung des Video-Beweises. Also gegen die Einführung von Transparenz und Ehrlichkeit. Obwohl die technischen Hilfsmittel seit Jahrzehnten zur Verfügung stehen. Denn im Fussball gilt: Beklatscht gehören die Gerissenen. Niemand scheint ein Interesse zu haben, den Gerissenen das Handwerk zu legen und die Ehrlichen zu belohnen.
Im Eishockey werden «Betrüger» auch nachträglich durch die TV-Bilder entlarvt (wie das jüngste Beispiel von Sven Berger) und bestraft. Im Fussball immer noch weitgehend undenkbar.
Aber warum ist das so? Geld spielt nicht die entscheidende Rolle. Gewiss: Im Vergleich zum Fussball ist Eishockey weltweit betrachtet bloss «Monkey Business». Aber in Nordamerika mit der NHL trotzdem ein Milliarden-Business. Die NHL funktioniert nach den gleichen Grundsätzen wie unsere Nationalliga. Die Gerissenen werden nicht beklatscht. Sie werden bestraft.
Der wahre Grund ist nicht das Geld. Eishockey ist ganz einfach ein anderes Spiel als Fussball und ist deshalb ehrlicher. Das Eishockey setzt sich mit der Kombination von Eleganz und Gewalt, mit dem Widerspruch zwischen Gut und Böse im Spiel auseinander. Es ist genau das, was Kanadas Nationaldichter Al Purdy (1918 – 2000) schon im letzten Jahrhundert zur martialischen und doch so treffenden Definition inspiriert hat: Eishockey sei eine Mischung aus Ballett und Mord. Der «Gotthelf des Eishockeys» schrieb in seinem Gedicht «Hockey Players» die Zeilen: «And how do the players feel about it/this combination of ballet and murder?»
Einerseits fasziniert die Kunst. Die Beweglichkeit und das Tempo der Spieler mahnen durchaus an Ballett. Aber ebenso lebt Eishockey von der Faszination des Bösen, der Gefahr, der Gewalt und der Provokation. Von der Wucht und Härte der Zweikämpfe, den Versuchen, eben diese Kunst zu «zerstören».
Im Eishockey ist der direkte Körperangriff zwecks Eroberung des Pucks und Einschüchterung des Gegenspielers ein erlaubtes, ja zentrales Element. Erst recht in Zeiten der Playoffs. Zu den TV-Highlights gehören krachende Checks genauso wie elegant herausgespielte Tore. Und wenn erst noch die Handschuhe fallen und richtig geboxt wird, braust Begeisterung durch die Arena.
Der Fussball kennt diese Härte nicht. Die Regelwerke erlauben sie nicht. Also wird die offene, ehrliche Härte durch Gerissenheit ersetzt, und wer gerissen ist, riskiert keine Bestrafung durch Gegenspieler oder Schiedsrichter. Ganz im Gegenteil. Im Fussball gilt: Beklatscht gehören die Gerissenen.
Das von Härte in den Zweikämpfen geprägte Eishockey könnte bei einem Sittenzerfall wie im Fussball gar nicht mehr funktionieren. Würden die Spieler so betrügen und simulieren wie im Fussball, wäre es für die Schiedsrichter nicht mehr möglich, die Übersicht zu bewahren. Denn Eishockey wird viel schneller, viel intensiver und auf einer viel kleineren Fläche gespielt als Fussball.
Es gehört zu den vornehmsten Aufgaben des Verbandes (also der Gralshüter des Eishockeys), dafür zu sorgen, dass die Kultur der Ehrlichkeit erhalten bleibt. Indem sie weiterhin die Betrüger, die Gerissenen, bestraft.
Eine Busse für Zugs Johann Morant müsste daher im Interesse der Hockeykultur selbstverständlich sein. Damit Eishockey ehrlicher bleibt als Fussball.