Eine alte Weisheit der Berge sagt: Die Menschen verlassen diese Erde vor allem dann, wenn das Laub in die Bäume zurückkehrt und wenn das Laub von den Bäumen fällt.
Diese Schicksalshaftigkeit des irdischen Daseins lässt sich auf Ambri übertragen, den Klub aus dem kargen Bergtal am Fusse des Gotthards, dieser steinernen Seele der Schweiz.
Auch die Leventiner Hockeykultur kennt schicksalshafte Wendezeiten: die Zeit des Aufbruchs, der Hoffnung, der Tapferkeit. Sie beginnt im Mai, wenn die Depression der vergangenen Saison überwunden ist und Präsident Filippo Lombardi seine Bettelaktionen beendet, die Sündenböcke geschmäht und die Aktienkapitalerhöhung vorbereitet hat. Dann kommt mit den warmen Frühlingswinden die Hoffnung ins Tal, nächste Saison werde alles besser. Wenn sich dann im November abzeichnet, dass es wieder nicht für die Playoffs reicht, beginnt die Zeit der Resignation, der Enttäuschung, der sportlichen Depression.
Dieser hockeytechnische Jahreszeiten-Wechsel zwischen Tapferkeit und Resignation ist für den Trainer so schicksalshaft wie für die Menschen das Kommen und Gehen des Laubes. Wenn die Schatten im Herbst länger werden und kein Sonnenstrahl mehr die Valascia erreicht, fällt Jahr für Jahr der Grundsatzentscheid: Wollen wir den Trainer aus dem Tal jagen oder bleiben wir vernünftig und sehen ein, dass wir nicht besser sind und es nicht am Trainer liegt?
Hans Kossmann ist im Spätherbst 2015, am 25. Oktober, während dieses Jahreszeiten-Wechsels als Nothelfer für den gefeuerten Serge Pelletier Trainer geworden. Damals war tatsächlich der Trainer das Problem. Wahrscheinlich hätte Ambri im letzten Frühjahr die Playoffs erreicht, wenn Hans Kossmann die Mannschaft schon beim Saisonstart geführt hätte.
Nun ist der kanadisch-schweizerische Doppelbürger schon mehr als ein Jahr in Amt und Würden und hat die ersten kritischen Jahreszeiten-Wechsel überstanden. Zeitweise stand er auf dünnem Eis. Als Filippo Lombardi sich im November leichtsinnigerweise in Bern zu einem Gespräch mit Lars Leuenberger traf, machte die Meldung die Runde, der arbeitslose SCB-Meisterheld sei Ambris neuer Trainer. «Es stimmt, ich habe mich mit Filippo getroffen», bestätigt Leuenberger. «Wir haben über dies und das geplaudert.»
Aber Hans Kossmann ist geblieben. Obwohl Ambri inzwischen am Tabellenende steht und der Ligaqualifikation näher ist als den Playoffs. Es gibt eben gute Gründe, die für den Trainer sprechen.
Es gibt eine Statistik der heldenhaften Resignation als Beweis, dass die Mannschaft nach wie vor intakt ist und die Autorität des Trainers auch: Von 41 Spielen in dieser Saison endeten 22 mit bloss einem Tor Unterschied – und 13 davon hat Ambri gewonnen. Ambris Reise durch die Saison gleicht einer Gratwanderung zwischen Tapferkeit und Resignation.
«Ich kann meinen Jungs keinen Vorwurf machen» sagt Hans Kossmann. «Sie versuchen alles.» Er tobe deshalb in der Kabine nicht. In Fribourg musste er im Herbst 2015 nicht nur gehen, weil sich die Niederlagen häuften. Er musste auch gehen, weil er es mit Toben übertrieben hatte. «Aber das war eine ganz andere Situation. Wir waren damals nicht in der Lage, hohe Erwartungen zu erfüllen. Aber jetzt ist einfach nicht mehr möglich. Was soll ich dann ausflippen?»
Wie nahe war das tapfere Ambri diese Saison an grossen Siegen! Typisch: Die Saison begann mit zwei heroischen Niederlagen gegen die Titanen ZSC (1:2 n.V) und Davos (2:3 n.V). Spiele gegen Bern, Davos und Zug gingen im Herbst nur mit einem Treffer Differenz verloren. Hans Kossmann sagt: «Anfang hielt uns Sandro Zurkirchen im Spiel und wir waren nicht dazu in der Lage, vorne die Tore zu machen. Inzwischen kassieren wir auch zu viele Gegentreffer…» Dass Zurkirchens Konstanz arg nachgelassen haben, seit er vorzeitig für nächste Saison in Lausanne unterschrieben hat, sagt der Trainer wohlweislich nicht.