Mathias Seger wird im Dezember 40 Jahre alt. Er hat in seiner Karriere alles gewonnen, was sich ein Schweizer Spieler erträumen kann. Er ist WM-Silberheld, er gewann mit den ZSC Lions nicht nur fünf Meisterschaften (2000, 2001, 2008, 2012, 2014), er triumphierte mit den Zürchern auch in der Champions League (2009) und holte im selben Jahr den Victorias Cup gegen Chicago. Plus den Schweizer Cup 2016.
Mehr ist nicht möglich. Zeit für den Ruhestand? Der punktbeste Verteidiger der Champions League hat diese Saison in 50 Qualifikationspartien «nur» noch 10 Punkte gesammelt.
Nein, es ist noch nicht Zeit für den Ruhestand. Mathias Seger ist eine der grössten Persönlichkeiten unseres Hockeys geworden, weil Hockey mehr als sein Beruf ist. Es ist seine Leidenschaft. Es gibt keinen Grund, warum jemand seine Leidenschaft freiwillig aufgeben sollte.
Ein gewöhnlicher Spieler mit dem gleichen Leistungsvermögen hätte bei den ZSC Lions keinen neuen Vertrag bekommen. Manager Peter Zahner, Sportchef Edgar Salis und Trainer Hans Wallson waren sich einig: keine Vertragsverlängerung für Mathias Seger. Edgar Salis hat mit Biels Nationalverteidiger Dave Sutter auch bereits einen jungen Ersatz für den alten Leitwolf verpflichtet. Das «System ZSC» ist auf zwei Ziele ausgerichtet: Titelgewinne und Nachwuchsförderung. Die Vertragsverlängerung mit einem 39-jährigen Nationalverteidiger ist in diesem System nicht vorgesehen. Denn der «Saurier» nimmt einem jungen Spieler den Platz weg und widerspricht der Philosophie des Systems.
Aber zum ersten Mal seit der Gründung der ZSC Lions (1997) ist ein Mann stärker als das System. Präsident Walter Frey hat ein Machtwort gesprochen. Mathias Seger darf noch eine Saison spielen.
Nein, niemand bestätigt offiziell meine polemische Behauptung über die Einmischung von Walter Frey. Niemand wird es je zitierbar bestätigen. Und doch ist es so. Die Behauptung lässt sich sehr einfach untermauern: Wären sich alle einig gewesen, den Vertrag zu verlängern, dann wäre der Vertrag schon vor Monaten prolongiert worden. Die «Causa Seger» wäre nicht zu einem Politikum geworden, das sich über Monate hingezogen und Peter Zahner und Edgar Salis in grösste Verlegenheit gebracht hat.
In Davos hat Reto von Arx in einer vergleichbaren Situation keinen neuen Vertrag mehr bekommen. Er war gleich alt wie jetzt Mathias Seger und hatte, welch reizvolle Parallele, in seiner letzten Saison während der Qualifikation fast gleich viele Punkte (11) gebucht. In Davos setzte sich der Trainer, der Sport durch.
Die ZSC Lions haben einen Mäzen. Einen Mann, der dafür sorgt, dass jedes Jahr das Minus in der Betriebsrechnung beglichen wird. Walter Frey. Für ihn gibt es Werte, die über den Sport hinausgehen. Beispielsweise Dankbarkeit.
Nun ist es nicht so, dass die ZSC Lions Mathias Seger etwas schulden. Sie haben ihn seit 1999 Monat für Monat gut entlöhnt. Aber ihm noch eine Saison Hockey zu ermöglichen, ist so etwas wie ein Abschiedsgeschenk. Er hat es verdient.
Ist es klug, über den Kopf des Managers, des Sportchefs und des Trainers einem Spieler den Vertrag zu verlängern? In der Regel nicht. Aber Mathias Seger ist die Ausnahme auch von dieser Regel. Er ist zwar ein charismatisches Alphatier. Aber er ist auch ein aussergewöhnliches Alphatier. Nämlich eines, das für sich nicht mehr den obersten Platz in der Hierarchie beansprucht und sich ins Team integrieren kann.
Ja, die Vertragsverlängerung um ein Jahr könnte sich noch als kluger Schachzug erweisen. Trainer Hans Wallson und sein Assistent Lars Johansson sind mit ziemlicher Sicherheit in der Kabine, bei den Spielern also, die unbeliebtesten Trainer in der Geschichte der ZSC Lions.
Eine erfahrene, grosse Spielerpersönlichkeit wie Mathias Seger ist für die Wahrung des Friedens in der Kabine, als Hüter der Leistungskultur, als Mediator in heiklen Situationen, als Schlichter zwischen Trainer und Mannschaft für die ZSC Lions von unschätzbarem Wert.
Da ich behaupte, Walter Frey habe diese Vertragsverlängerung durchgesetzt, sage ich auch: Walter Frey weiss schon, weiss besser als Peter Zahner, Edgar Salis und Hans Wallson, warum die ZSC Lions noch nicht auf Mathias Seger verzichten können. Der «Fall Seger» ist zu wichtig, um ihn der Sportabteilung zu überlassen.