Es kommt auch im Eishockey meistens anders als erwartet. Vor der Saison hat ein Kumpel HCD-Trainer Arno Del Curto per SMS wissen lassen, dass es nicht gut komme und die Playoff-Qualifikation, ja der Liga-Erhalt in Gefahr sei. Weil Torhüter Gilles Senn an Nando Wieser mahne.
Nando Wieser? Ja, richtig: Nando Wieser stand im Finale von 1998 im HCD-Tor. Seine Fehlgriffe wiesen den Zuger den Weg zum bisher einzigen Titel. Er wurde gar als «Fliegenfängers» geschmäht – zu Unrecht. Er ist bloss für diese Finalserie in die Geschichte eingegangen – und nicht als erster Goalie, der den HCD nach dem Wiederaufstieg ins Final gebracht hatte.
Schon damals stand Arno Del Curto an der HCD-Bande. Er weiss sehr wohl um die Sensibilität und die Bedeutung der «letzten Männer» in diesem Spiel.
Gilles Senn wie Nando Wieser? Kein Schelm, wer vor der Saison so dachte und so fragte. Ja, die ganze Saison liess sich im letzten Herbst auf eine einzige Frage reduzieren: wie gut sind die beiden jungen HCD-Goalies?
Arno Del Curto hatte in der Vergangenheit schon zweimal mit hochriskanten Torhüter-Experimenten durchschlagenden Erfolg erzielt. Im Frühjahr 2005 hexte Jonas Hiller, zuvor in Lausanne nicht einmal die Nummer 1, den HCD gleich zur Meisterschaft.
Im Sommer 2007 legte Arno Del Curto das HCD-Schicksal in die Fanghandschuhe von zwei 20-jähirgen «Nobodies», die noch nie zuvor in der NLA die Nummer 1 waren: Leonardo Genoni und Reto Berra. Im Frühjahr 2009 waren beide Meister. Und nun also der grosse Goalie-Poker mit Gilles Senn (21) und Joren van Pottelberghe (19).
Erneut hat Arno Del Curto auf Anraten von Marcel Kull alles auf «namenlose» Torhüter gesetzt, die in der höchsten Liga noch nie eine Rolle gespielt haben. Marcel Kull ist einer der meistunterschätzten Männer der Liga. Der erfolgreichste Torhütertrainer im Land. Der «Macher» von Jonas Hiller, Reto Berra, Leonardo Genoni – und nun Gilles Senn.
Die Rechnung ist aufgegangen. Gilles Senn hat sich zur Nummer 1 entwickelt, ist im Februar Nationaltorhüter geworden und war beim Viertelfinal-Sieg gegen Lausanne ein wichtiger Faktor. Der Playoff-Frischling war auch statistisch (Fangquote 91,74 Prozent) besser als der Playoff-Veteran und Stanley-Cup-Held Cristobal Huet (90,85 Prozent), der schon mehr Playoff-Partien bestritten hat als Gilles Senn NLA-Spiele. Mit Lausanne (154:139 Tore in der Qualifikation) kippte Davos im Viertelfinale ein offensiv wesentlich stärkeres Team aus den Playoffs als Zug mit Servette (135:140).
Als Besonderheit hat Arno Del Curto seinem Torhüter diese Saison ein absolutes Interviewverbot auferlegt um ihn vor jeder Ablenkung zu bewahren – so hat er das in der Vergangenheit auch bei Senns Vorgänger gemacht und sagt: «Das ziehen wir bis Saisonende durch.» Der sanfte Riese Gilles Senn (195 cm) mahnt inzwischen sogar ein wenig an Zugs Tobias Stephan (192 cm).
Wieder ist also ein riskantes Goalie-Experiment geglückt. Und Arno Del Curto hat nun seinem Kumpel eine SMS zukommen lassen. «Halbfinale erreicht – sind in Abstiegsgefahr».
Kein Wunder also sitzt der eigenwillige Feuerkopf entspannt am Gartentisch und blinzelt in die Sonne. Wir erleben ihn gerade in seiner besten Rolle: Nun ist er tatsächlich Aussenseiter. So sieht er sich zwar immer seit er 1996 beim HCD Bandengeneral geworden ist. Aber jetzt ist er es gegen Zug tatsächlich - und wenn er ins Finale kommt auch dort. Also muss er nicht, wie sonst, die Aussenseiterrolle vorspielen. Er kann sie leben.
Er hat sich intensiv mit den Stärken und Schwächen der Zuger auseinandergesetzt. Oder besser: eigentlich nur mit den Stärken. Er pflegt stets den Gegner starkzureden. Und schildert in lebhaften Worten beispielsweise gestenreich die Qualität des Zuger Powerplays. Tatsächlich hatte der EVZ in den Viertelfinals das beste Überzahlspiel (24,24 % Erfolgsquote).
Dagegen setzt Arno Del Curto nun die Stabilität seines Unterzahlspiels. Es ist das beste der Viertelfinals – und mit Daniel Rahimi (diese Saison 48 Spiele, null Tore, vier Assists) steht ihm der beste Box-Play-Spieler der Liga zur Verfügung. Der schwedische Defensiv-Verteidiger hat diese Saison fast 115 Minuten in Unterzahl verteidigt und dabei nur vier Gegentreffer kassiert – den letzten Anfang Januar.
Hinten dichthalten und die gegnerische Abwehr sturmreif laufen. So spektakulär einfach und wirkungsvoll ist die HCD-Strategie. Sorgen macht Arno Del Curto eigentlich nur die fehlende Effizienz. Die Laufkilometer werden zu wenig in Tore umgemünzt.
Aber das Wort «Sorgen» ist falsch. Arno Del Curto mahnt mit seiner Energie, seinem Charisma und seinem Nonkonformismus mehr denn je an einen Hockey-Rockstar. Als Nonkonformismus bezeichnen wir eine persönliche Haltung oder eine Philosophie, die nicht mit den allgemein anerkannten Ansichten, der gültigen Etikette, dem vorherrschenden Lebensstil oder dem kulturellen Mainstream stehen.
Arno Del Curto lebt Hockey. Wenn er über seine Mannschaft spricht, in lebhaften Gesten die Spielweise erklärt, Chancen und Risiken abwägt, dann personifiziert er die Lust, die Freude an diesem Spiel als stehe er vor den ersten Playoffs seiner Karriere. Dabei hat er in den letzten Tagen die 43. Playoffserie vorbereitet.
Was den Reiz dieser Halbfinalserie erhöht. Auf der anderen Seite steht Harold Kreis (58) an der Bande. Auch er ist bereits eine Legende, auch er besessen von diesem Sport. Der deutsch-kanadische Doppelbürger personifiziert einen anderen, ja einen gegensätzlichen Führungsstil.
Wenn wir Arno Del Curto als «Hockey-Rockstar» bezeichnen, dann ist Harold Kreis der Manager und Buchhalter einer Rockband. Der Pragmatiker, der dafür schaut, dass beim Konzert alles tipptopp organisiert ist, die Instrumente auf der Bühne exakt an ihrem Platz stehen und die Soundanlage funktioniert.
Harold Kreis, der Hockey-Konformist, würde kein Torhüter-Experiment eingehen wie Arno Del Curto. Die jungen Spieler, die Arno Del Curto fordert und fördert, würden bei ihm nicht zum Zuge kommen. Er verwaltet clever das ihm anvertraute Talent. Ein Beruhiger, der schwierige Situationen kraft seiner Gelassenheit und Selbstironie ordnet und in Lugano (2006) und in Zürich (2008) auf seine Weise auch zwei Titel geholt hat.
Zug oder Davos im Finale? Wäre ich bei der Beurteilung in allen Hockeydingen nicht so sachlich, vorurteilslos, unvoreingenommen, unbefangen, nüchtern, unparteiisch, unbeeinflussbar, unverblendet, gerecht, frei von Emotionen, objektiv und neutral, dann würde ich auf den HCD wetten. Kommt Davos ins Finale, ist gar der Titel möglich.