Vor der Partie wird über Langnaus bitterernste sportliche Situation (Schlusslicht) gescherzt. Kevin Schläpfer ist letzte Saison in Biel entlassen worden. Aber Biel muss ihm noch bis im nächsten Frühjahr den Lohn bezahlen. Diese Salärzahlungen laufen über die ordentliche Erfolgsrechnung. Frage also: Wenn Kevin Schläpfer nun im Laufe dieser Saison einen Job findet, was macht Biel dann mit dem freigewordenen Geld?
Spassvögel machen ein paar Vorschläge. Zum Beispiel: Manager Daniel Villard und Sportchef Martin Steinegger dürfen für ihre verdienstvolle Arbeit zwei Wochen auf Klubkosten Luxus-Ferien machen. Oder Sportchef Martin Steinegger versucht, die Rückkehr von Verteidigerhaudegen Dave Sutter von den ZSC Lions einzufädeln. Oder er legt das Geld beiseite. Um Luganos Philippe Furrer eine Offerte zu machen, die der Nationalverteidiger einfach nicht ablehnen kann.
Hätte Langnau gegen Biel verloren, wäre die «parlamentarische Immunität» von Trainer Heinz Ehlers aufgehoben worden. Will heissen: Eine Diskussion um eine Amtsenthebung von Heinz Ehlers, in Langnau nach wie vor so undenkbar wie Bigamie im Vatikan, hätte begonnen. Nicht nur in den Wirtshäusern. Auch intern. Im Verwaltungsrat. Und in der Kabine.
Heimniederlagen gegen Biel haben im Bernbiet halt immer wieder schicksalsschwere Bedeutung. Marc Lüthi feuerte seinen Meistertrainer Antti Törmänen im November 2014 nach einem 1:4 gegen Biel. Und vor einem Jahr entschied der Verwaltungsrat in Langnau nach einem 2:5 gegen Biel Trainer Scott Beattie zu feuern. Der Kanadier wurde noch eine Partie im Amt belassen (die er in Kloten gewann) und dann durch Heinz Ehlers ersetzt.
Nach dem 0:4 in Kloten hätte sich Heinz Ehlers eine Heimniederlage gegen Biel nicht mehr leisten können. Kevin ante portas! Sportchef Jörg Reber hätte auf Geheiss des Verwaltungsrates ins Baselland hinunter telefonieren und sich bei Kevin Schläpfer nach dem Befinden erkundigen müssen. Und die Polemiker hätten die Computer geölt.
Aber die SCL Tigers haben die Partie gegen Biel gewonnen. Warum? Wir können uns eine tiefschürfende Analyse ersparen. Die Statistik liefert uns die Antwort. Hier die Fangquote der Torhüter. Spiel für Spiel. Diese Zahlen sind Gospel. Wahrheit. In Stein gemeisselt.
Wir können nach dem 2:1 gegen Biel, Langnaus erstem Drei-Punkte-Sieg im laufenden Championat, viele Helden feiern. Wie immer nach einem Sieg. Beispielsweise den sanften Riesen Thomas Nüssli, der am Ursprung beider Treffer steht. Mit 7 Punkten Langnaus bester Schweizer Skorer. Im Alter von 35 Jahren. Er dürfte der beste alte Spieler der Liga sein. Im letzten Drittel spielte er defensiv überragend und organisierte echtes «Heinz-Ehlers-Hockey» mit dem zurückhängenden Stürmer. Biel kam nicht mehr zu Überzahlsituationen.
Aber Thomas Nüssli wäre ohne die Paraden von Ivars Punnenovs kein Held geworden. Erst der lettische Nationaltorhüter mit Schweizer Lizenz hat Langnaus Sieg möglich gemacht. Er hielt exakt doppelt so viele Schüsse (40) wie Biels Jonas Hiller (20). Der verdient dafür doppelt so viel wie Ivars Punnenovs.
Niemand weiss besser als Heinz Ehlers, wie viel er in dieser Partie seinem letzten Mann verdankt. Er ist kein Mann des billigen Einzellobes. Aber er rühmte nach der Partie: «Ivars hat unglaublich gespielt.» Für einmal war Heinz Ehlers weder grantig noch zu freundlichen Scherzen aufgelegt. Er war einfach unendlich froh und erleichtert und fast seufzend bilanzierte er: «Lieber schlecht spielen und gewinnen als gut spielen und verlieren.» Wo er recht hat, da hat er recht.
Wir sind damit zu den Ursprüngen des Hockeys zurückgekehrt. Eine mässig talentierte Mannschaft wie Langnau kann ein Spiel nur gewinnen, wenn der Torhüter viel mehr als 90 Prozent der auf ihn hereinprasselnden Pucks abwehrt. Ob ihm die Vorderleute helfen oder ihn im Stich lassen, ist unerheblich. Gute Goalies brauchen für gute Abwehrquoten gute Vorderleute. Grosse Torhüter erreichen unabhängig von ihren Vorderleuten formidable 90er-Abwehrquoten. Ivars Punnenovs war für einmal nicht bloss ein guter, sondern ein grosser Torhüter. Er hat Heinz Ehlers und Sportchef Jörg Reber eine Atempause verschafft.
Der Sieg gegen Biel beschert Heinz Ehlers nun sieben «Ponyhof-Spiele». Es wird also in Bezug auf seine «parlamentarische Immunität» unerheblich sein, ob er die nächsten sieben Partien gegen Lugano, Gottéron, Lausanne, Bern, Davos, die ZSC Lions und Zug gewinnen oder verlieren wird. Sieben Zwerge hinter den sieben Bergen, sieben Tage hat die Woche, sieben Tage dauerte die Erschaffung der Welt, es gibt die sieben Tugenden und die sieben Todsünden, die sieben fetten und die sieben mageren Jahre. Und nun die sieben (Spiel-) Tage Hockeyfrieden für Heinz Ehlers.
Das nächste Spiel, das Langnaus kultiger Trainer unter gar keinen Umständen verlieren darf, folgt erst am 24. Oktober auf eigenem Eis gegen Ambri. Bis dahin ist mit dem 2:1 gegen Biel seine «Unentlassbarkeit», seine «Unkritisierbarkeit», ja, sein «Unfehlbarkeits-Dogma» garantiert. In Stein gemeisselt. Und ganz nebenbei: Bis dahin muss Biel weiterhin das Salär von Kevin Schläpfer bezahlen.