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So viel 2013 wie noch nie bei diesem Turnier – aber gegen die Amerikaner muss es noch ein bisschen mehr sein

Die Schweiz verlor gegen Gastgeber Tschechien erst im Penaltyschiessen.
Die Schweiz verlor gegen Gastgeber Tschechien erst im Penaltyschiessen.Bild: Melanie Duchene
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So viel 2013 wie noch nie bei diesem Turnier – aber gegen die Amerikaner muss es noch ein bisschen mehr sein

Nach dem 1:2 n.P. gegen Tschechien hat Nationaltrainer Glen Hanlon die schwierigste Frage seit seiner Amtsübernahme zu beantworten: Mit Reto Berra oder Leonardo Genoni im Viertelfinale gegen die USA?
13.05.2015, 06:5113.05.2015, 08:17
klaus zaugg, prag
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Die Schweizer haben mit zwei Siegen in sieben Spielen die Viertelfinals erreicht. Die billigsten Viertelfinals aller Zeiten. Aufsteiger Österreich ist mit zwei Siegen in sieben Spielen gleich wieder abgestiegen. Wir sind also statistisch nicht besser als der Absteiger. So knapp liegen Triumph und Tragödie bisweilen auseinander. Glen Hanlon sagt: «Unser ganzes Schicksal hing an einem Schuss. Der Ausgleich von Matthias Bieber gegen Lettland kurz vor Schluss brachte uns im Rückblick den entscheidenden Punkt.»

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Biebers Tor, welches die Viertelfinal-Tür öffnete.gif: srf.ch

Matthias Bieber hatte nach 58:09 Minuten zum 1:1 getroffen und so gewannen wir beim 1:2 n.V. gegen Lettland doch noch einen Punkt. Wir waren dann als einziges «kleines» Team dazu in der Lage, gegen die Grossen (Schweden, Tschechien) zu punkten. Aber zu einem Sieg gegen die Titanen hat es uns in Prag noch nicht gereicht.

Die Torhüterfrage ist neu lanciert

Das ist jetzt alles Geschichte. Glen Hanlon hat nun die Chance, mit einem Sieg gegen die USA im Viertelfinale doch noch zum Helden zu werden. Aber er muss den richtigen Goalie ins Tor stellen.

Reto Berra (Fangquote 87,60 Prozent) oder Leonardo Genoni (Fangquote 95,52 Prozent)? Statistisch scheint die Sache klar. Leonardo Genoni ist inzwischen sogar die Nummer 1 aller Torhüter an dieser WM – vor US-Torhüter Connor Hellebuyck (94,21 Prozent). Reto Berra hingegen bloss die Nummer 18. Noch Fragen?

Reto Berra zeigte gestern eine ausgezeichnete Partie.
Reto Berra zeigte gestern eine ausgezeichnete Partie.Bild: DAVID W CERNY/REUTERS

Ja, es gibt noch Fragen. Die Torhüterfrage ist unverhofft eine äusserst knifflige Angelegenheit geworden. Dieses letzte Gruppenspiel gegen Tschechien (1:2 n.P) hat alles, was klar und eindeutig schien, wieder durcheinander gebracht. 

Denn Reto Berra ist nach dem Untergang gegen Kanada (2:7) auferstanden und hexte gegen die Tschechen wie zu seinen besten Zeiten. Wie 2013 im Halbfinale in Stockholm gegen die USA (3:0). Oder in den Worten von Glen Hanlon: «Er hat sensationell gespielt.» Und so lässt er sich für die Beantwortung der Torhüter-Schicksalsfrage Zeit. «Ich werde mich erst am Mittwochabend entscheiden. Ich muss mit beiden Goalies noch einmal reden.»

Es ist eine jener Schicksalsfragen, die Karrieren ruinieren oder krönen können. Es ist eine jener wegweisenden Entscheidungen, die der Coach vorher treffen muss, der Chronist aber hinterher, wenn das Resultat feststeht, kritisieren darf. Ganz nach dem Grundsatz: Nach dem Krieg ist jeder Soldat ein Napoléon und nach dem Spiel jeder Chronist ein Nationaltrainer.

Bestes Spiel der WM

Glen Hanlon sagt, das Spiel gegen Tschechien sei die bisher beste Partie gewesen. Besser noch als gegen Schweden. «Wir haben nicht nur defensiv gut gespielt. Wir hatten auch viele Chancen und erzielten endlich einen Powerplay-Treffer.» Die Statistik untermauert diese Einschätzung: Das Torschussverhältnis war gegen die Tschechen nahezu ausgeglichen (27:29). Gegen Schweden (1:2 n.V.) waren wir klar unterlegen (16:29 Torschüsse).

Dass Jaromir Jagr nur zwei Einsätze spielte (1:55 Minuten), ist ein Schönheitsfehler, der die Leistung der Tschechen nicht schmälert. Cheftrainer Wladimir Ruzucka sagte auf die Frage nach dem Befinden seines wichtigsten Einzelspielers: «Er hat nur zwei Einsätze gespielt. Mehr sage ich dazu nicht.» Meinungsverschiedenheiten? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Angeblich schonte sich Jaromir Jagr wegen einer Muskelverspannung im Gesäss.

Ganz unwiderstehlich wirken Glen Hanlon und seine Jungs noch nicht. 
Ganz unwiderstehlich wirken Glen Hanlon und seine Jungs noch nicht. Bild: freshfocus

Diese Steigerung gegen Tschechien war nach der Pleite gegen Kanada von entscheidender Bedeutung. «Wir wussten selber, dass wir gegen Kanada nicht gut gespielt hatten und suchten die Rehabilitation», sagt Roman Josi. «Die Kanadier sind ein sehr gutes Team und haben fast jeden unserer Fehler bestraft. Wir haben gegen Tschechien die Fehlerzahl reduziert und in der neutralen Zone defensiv gut gespielt.» Glen Hanlon ergänzte: «Wir haben gegen Kanada 49 Schüsse zugelassen, das durfte sich einfach nicht wiederholen.» Somit ist das Selbstvertrauen nach dem 1:2 n.P. gegen Tschechien wieder intakt.

Zwei Spiele in der Verlängerung und zwei im Penaltyschiessen verloren – einfach Pech oder mehr? Glen Hanlon sagt: «Ich glaube nicht an Glück oder Pech. Wir haben nur einen von sechs Penaltys verwertet. Das ist ein Spiegelbild unseres Spiels mit fünf gegen fünf.» 

Unsere Penalty-Versager: Andres Ambühl und Romain Loeffel gegen Tschechien sowie Damien Brunner, Reto Suri und Roman Josi gegen Österreich. Getroffen hat bisher nur Kevin Fiala gegen Tschechien. Glen Hanlon erklärt: «Eigentlich hätte Reto Suri gegen Tschechien einen Penalty schiessen sollen. Aber er hat wegen einer leichten Handverletzung verzichtet.» Er sei aber okay und könne gegen die USA spielen.

Schwache Offensiv-Abteilung

Als Motivation wird Glen Hanlon keine Videos vom 3:0-Sieg gegen die Amerikaner im WM-Halbfinale von 2013 vorführen. «Wir haben zwar so viele Spieler wie möglich vom Team von 2013 für Prag aufgeboten. Es sind Spieler, die wissen, wie man gewinnt, und diese Erfahrung ist sehr viel wert. Aber jede WM schreibt eine ganz andere Story und jedes WM-Team ist neu. Deshalb bringt ein Blick zurück nichts.» Elf Silberhelden von Stockholm sind 2015 dabei. Ein Halbfinal-Video von 2013 ist noch aus einem Grund nicht sinnvoll. Darauf wären grosse Paraden von Reto Berra zu sehen. Das wäre keine gute Vorbereitung, wenn am Donnerstag Leonardo Genoni spielen sollte.

Die Schweiz ist mit 12 Treffern von allen acht Viertelfinalisten offensiv mit Abstand am schwächsten. Alle anderen haben 20 oder mehr Tore erzielt. Kanada sogar 49, unser Viertelfinalgegner USA 22. Kein einziger Schweizer hat in sieben WM-Partien mehr als zwei Tore erzielt. Denis Hollenstein und Matthias Bieber sind mit zwei Treffern die besten Torschützen. Deshalb sagt Glen Hanlon: «Das bedeutet, dass wir uns gegen die Amerikaner nicht auf ein Offensivspektakel einlassen dürfen. Wir sind offensichtlich nicht dazu in der Lage, vier oder mehr Tore zu erzielen. Also müssen wir auf eine sorgfältige Defensivarbeit achten. Wir sind läuferisch gut genug, um jeden Gegner in Schach halten zu können.»

Almond, Brunner und Co. müssen noch einen Zacken zulegen. 
Almond, Brunner und Co. müssen noch einen Zacken zulegen. Bild: Melanie Duchene

Die Schweizer haben mit einer Erfolgsquote von 6,06 Prozent auch das schwächste Powerplay aller Viertelfinalisten. Wir waren im Überzahlspiel seit Einführung dieser Statistik noch nie so schwach. Die USA haben eine Erfolgsquote von 18,18 Prozent. Aber auch das sind Zahlen, die nichts mehr sagen. Gegen Tschechien haben wir endlich unser zweites Powerplay-Tor erzielt. Mit Roman Josi und Mark Streit an der blauen Linie. Und sie treffen doch.

Die Schweizer reisen mit der Eisenbahn am Mittwoch von Prag nach Ostrava (Abfahrt 11.44 Uhr, Ankunft 14.44), trainieren um 17.30 Uhr in Ostrava und spielen am Donnerstag um 15.15 Uhr gegen die USA.

Statistisch sind die Schweizer gegen die Amerikaner Aussenseiter. In Tat und Wahrheit stehen die Chancen aber 50:50. Mindestens. Die USA sind für uns der einfachere Gegner als Russland und Finnland.

Gegen Tschechien haben wir so viel 2013 gesehen wie noch nie bei diesem Turnier. Aber gegen die Amerikaner muss es noch ein bisschen mehr 2013 sein als gegen die Tschechen. Sonst beenden wir das Turnier mit sechs Niederlagen aus acht Spielen.

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