Die wahrscheinlich talentierteste Mannschaft der Liga rockt einfach nicht auf der Resultatanzeige. Oder vielleicht besser: Sie findet ihre Identität nicht. Die ZSC Lions sind so gut, dass sie alles können. Tanzen, rumpeln, das Spiel in die Breite kombinieren oder direkt vors gegnerische Tor tragen. Eine Partie kontrollieren, verwalten, managen oder leidenschaftlich einen Rückstand aufholen. Taktische Fallen stellen und mit tiefem Forechecking die beste helvetische Verteidigung aushebeln. Das Problem ist bloss: all das ist zwar in jedem Spiel in lichten Momenten zu sehen. Beispielsweise soeben in Bern.
Die Zürcher kontrollierten das Spiel, sie führten 1:0. Sie reagierten sofort mit dem Ausgleich auf das 1:2. Sie holten auch das 2:3 auf. Sie spielten mutig vorwärts und dominierten leicht mit 31:29 Torschüssen. Sie erzielten in der Verlängerung den vermeintlichen Siegestreffer, der ihnen nach Video-Konsultation wegen Behinderung des Torhüters wieder aberkannt wurde.
Wie die TV-Aufnahmen zeigen, sind beide Entscheide der Schiris in der Verlängerung richtig. Also auch die Anerkennung des Siegestreffers von Eric Blum nach einer Video-Konsultation.
Die Schiedsrichter (Micha Hebeisen und Marc Wiegand) entscheiden auf Tor (4:3 für die ZSC Lions) und konsultieren das Video. Sie dürfen den Treffer nur aberkennen, wenn sie auf dem Video eindeutig eine Regelwidrigkeit erkennen. Die TV-Bilder beweisen zweifelsfrei, dass Patrick Geering Torhüter Leonardo Genoni im Torraum berührt und irritiert.
Die Annullierung des ZSC-Siegestreffers ist korrekt. Die Schiedsrichter hatten Patrick Geerings Regelwidrigkeit übersehen, deshalb das Tor gegeben und keine Strafe ausgesprochen. Sie erkennen diese Regelwidrigkeit erst auf dem Video. Sie müssen das Tor annullieren, dürfen aber aufgrund des Videos keine Strafe verhängen.
Befassen wir uns nun noch mit dem Siegestreffer der Berner.
Die Schiedsrichter entscheiden auf Tor und konsultieren nun das Video. Sie dürfen den Treffer nur aberkennen, wenn auf den TV-Bildern eindeutig zu erkennen ist, dass Gaëtan Haas bei seinem Sturmlauf Torhüter Lukas Flüeler im Torraum berührt hat. Die TV-Bilder liefern diesen eindeutigen Beweis nicht. Das Tor zum 4:3 muss gegeben werden.
In beiden Fällen handelt es sich um nicht anfechtbare Tatsachenentscheide. Die Diskussion erübrigt sich.
Die ZSC Lions haben also nach einem grossen Auftritt in Bern mit viel Drama verloren. Wer also Argumente sucht, um den Trainer im Amt zu halten, findet einige. Alleine aus der Partie in Bern liesse sich aus den vielen guten Szenen ein tolles Werbevideo für Trainer Hans Wallson produzieren. Und den Spielern kann keinesfalls mangelnde Leidenschaft vorgeworfen werden. Auch nicht Weichheit.
Es wäre sehr einfach, als Verteidiger vor dem hohen Hockeygericht ein Plädoyer für den ZSC-Trainer zu halten. Wenn nur die Richterinnen Tabelle und Resultattafel nicht so ungnädig wären!
Das Problem ist und bleibt seit Wochen das gleiche: Die klare Linie, die Konstanz, die Verlässlichkeit fehlen immer noch. Und so heisst es am Ende des Spiels viel zu oft: Gut gespielt, eigentlich besser gespielt – und doch verloren. Wie in Bern. Das bedeutet: Die Zürcher haben bisher alle Spiele gegen die Grossen (Davos, Lugano, Bern) verloren. Die vermeintlich «Kleinen» (wie Kloten, Ambri, Lausanne, Langnau) sind zwar besiegt worden. Aber die müssten die ZSC Lions auch mit General Manager Peter Zahner an der Bande vom Eis fegen. Er hat ja immerhin sieben Jahre Erfahrung als Cheftrainer in der 1. Liga bei Winterthur und Dübendorf.
Der Trainer hat in Zürich die Aufgabe, viele talentierte Spieler zu einer Einheit zusammenzuführen und sie dazu zu bringen, seine taktischen Vorstellungen umzusetzen. Als freundlicher Pädagoge oder als strenger Bandengeneral. Das ist ihm nach wie vor nicht gelungen. Also ist der Trainer in Zürich ein Thema.
Wie heikel diese ganze Sache ist, zeigt die Reaktion von General Manager Peter Zahner auf die unvermeidliche Frage zum Thema. Ohne seine Zustimmung gibt es im Hallenstadion keine Amtsenthebung.
In ruhigen Zeiten würde Peter Zahner auf die Frage, ob der Trainer ein Thema sei, sagen: «Ja natürlich, morgen ist Krisensitzung und dann beschliessen wir seine Entlassung». Und er hätte die Lacher auf seiner Seite. Jetzt aber sagt er: «Da Sie alles Mögliche in meine Antwort hineininterpretieren, äussere ich mich zu diesem Thema nicht.»
Eigentlich ist es ganz einfach: Es gibt genügend positive Anzeichen, die dafür sprechen, Cheftrainer Hans Wallson noch ein wenig Zeit zu geben. Obwohl ein Trainer seiner Gehalts- und Prestigeklasse diese Mannschaft schon lange im Griff haben müsste. Die ZSC Lions sind so gut, dass wir sagen können: Bis zu den Playoffs sind wir da.
Was könnte helfen? Wir finden die Antwort in der Geschichte. Die ZSC Lions brauchten ein «Advents-Erlebnis».
Im Dezember 2011 steht NHL-Bandengeneral und Stanley-Cup-Sieger Bob Hartley vor der Entlassung. Seine ZSC Lions haben hintereinander gegen Ambri (2:3 n. V.), die Lakers (1:3) und Gottéron (3:4 n. P.) verloren und sind auf den 8. Platz abgerutscht. Am 23. Dezember müssen sie nach Genf reisen. Servette steht auf Rang 9. Eine Niederlage wird Bob Hartley den Job kosten.
Einer der dramatischsten Siege der Neuzeit bringt die Wende. Bei drei gegen fünf Feldspielern gelingt Mathias Seger der Ausgleich zum 3:4 und im Penalty-Schiessen holen die Zürcher den Sieg.
Dieses «Advents-Erlebnis» ist die Wende. Bob Hartley darf bleiben. Im nächsten Spiel wird Tabellenführer Zug gebodigt (2:1). Am Ende der Saison werden die Zürcher am 17. April 2012 Meister. Dramatisch. Im 7. Spiel in Bern. Durch einen Treffer von Steve McCarthy zum 2:1 nach 59:28 Minuten.
Remember 2012! Hans Wallson wie Bob Hartley? Warum nicht? Aber was, wenn der Schwede den Weg in die Köpfe und Herzen der Spieler doch nicht findet? Dann droht in den Playoffs zum dritten Mal hintereinander schmähliches Scheitern in den Viertelfinals. Dann werden Kritiker sagen: Warum hat man denn nicht spätestens im November reagiert und den Trainer gewechselt?