Es ist vollbracht: Nach dem 1:6 auf eigenem Eis gegen Fribourg-Gottéron wird Ambri der Liga-Qualifikation nicht mehr entrinnen. Dort warten wohl die SCRJ Lakers. Ein alter Angstgegner. Ambri steht mit einem Bein in der NLB. Wie konnte es nur soweit kommen?
Gerne reden sich die Verantwortlichen mit den Veränderungen der Zeit aus der Verantwortung. Und sehen sich als Opfer von Entwicklungen, die sie nicht zu beeinflussen vermochten. So wird es auch Ambris Präsident Filippo Lombardi tun. Der CVP-Ständerat. Das charismatische «animal politique».
Aber Ambri ist nicht das Opfer der Zeiten und Umstände. Ambris Krise ist hausgemacht. Selbst verschuldet. Ja, wir können ein grandioses Buch lesen und erahnen, warum Ambri am Abgrund steht. «Dead Bank Walking» von Lawrence G. McDonald. Darin schildert er den Zusammenbruch der Bank Lehman Brothers. Er beschreibt meisterhaft, wie ein traditionsreiches, politisch bestens vernetztes Unternehmen nach und nach seine Identität verlor, wie die Führung nicht auf die Mahner hörte, arrogant alle Warnsignale ignorierte, und blind in den Abgrund steuerte.
Die Bank wurde nicht, wie man glauben könnte, einfach ein Opfer der Entwicklungen im internationalen Finanzmarkt. Gut geführt und gemanagt hätte sie noch im letzten Moment gerettet werden können. Es war Führungsversagen. Das alles erinnert uns an Ambris Krise.
Auch Ambri ist eines der traditionsreichsten Unternehmen. Auch Ambri hat durch Führungsfehler seine Identität verloren und steckt nun in der grössten Krise seiner Geschichte. Auch in Ambri werden seit Jahren die Mahner ignoriert. Wo aber liegt das Versagen? Wir können die Erklärung, warum Ambri in diese Lage geraten ist, auf drei Punkte reduzieren.
Nun können wir einwenden, das Kommen und Gehen der Trainer gehöre seit Jahren zur Leventina wie eine fünfte Jahreszeit. Aber diesmal ist es ein wenig anders.
Ambri verliert am Freitag, dem 28. Januar, in Langnau 1:2. Im Gang vor der Ambri-Kabine ist unter den Chronisten und Polemikern der Trainer das grosse Thema. Auf die Frage, warum denn eine Trainerentlassung notwendig sei, sagt einer der Polemiker aus dem Tessin: «Weil er weg muss.» Aber warum? Was sind die fachlichen Gründe? «Er muss jetzt einfach weg». Bald wird mir klar, warum: Der betreffende Polemiker ist eng mit den Spielern verbandelt. Die Spieler wollen den Zuchtmeister weghaben. Am Montag wird Hans Kossmann gefeuert und durch den freundlichen, antiautoritären Spielerversteher Gordie Dwyer ersetzt.
Es ist der Anfang vom sportlichen Ende. Hans Kossmann ist ein «Schmirgelpapier-Psychologe.» Also kein Diplomat. Er hatte erkannt, dass der Mangel an Talent nur durch Disziplin in allen Bereichen und Leidenschaft zu kompensieren ist. Und Disziplin lässt sich nun mal nicht mit gnädigem Training und ein bisschen «Voodoo» durchsetzen. Die Spieler wollten den gestrengen Meister nicht mehr – und am Tag der Entlassung von Hans Kossmann fängt der sportliche Zerfall an, der inzwischen besorgniserregende Dimensionen angenommen hat.
Anfang Oktober haben uns die ZSC Lions mit einem Schwank aus dem Hockeyleben bestens unterhalten. Inti Pestoni, der König der Leventina, der beste Skorer Ambris, wechselte im letzten Sommer nach Zürich. Bereits nach ein paar Spielen wird er in Zürich aus der Mannschaft genommen und zum Konditionstraining abkommandiert. Der beste Spieler Ambris ist in einer so miserablen Verfassung, dass er erst einmal die konditionellen Hausaufgaben nachholen muss.
Auf spektakuläre Weise wird bestätigt, was kluge Mahner wie der legendäre Roland von Mentlen seit langer Zeit erkannt haben: Der Trainingsbetrieb in Ambri ist seit Jahren nicht mehr zeitgemäss, es gibt keine Leistungskultur. Gerade ein Team mit so wenig Talent müsse zumindest konditionell zu den besten der Liga gehören.
Aber die Führung lässt es zu, dass zu viele im Sommertraining zu sich selber zu gnädig sind. Zum Zerfall der Leistungskultur kommt der Verlust der Loyalität. Torhüter Sandro Zurkirchen, der Ambri seine Karriere verdankt, unterschreibt schon vor Weihnachten für nächste Saison in Lausanne. Seine aktuelle Fangquote in den Playouts: 73,33 Prozent.
Ambri hatte einst das beste Beziehungsnetz aller Schweizer Hockeyunternehmen. Weil das Hockeywissen von Generation zu Genration weitergegeben, weil zu allen, die einmal in Ambri waren, weiterhin Kontakte gepflegt wurden. Kluge Männer aus dem Tal mit viel Hockeywissen kümmerten sich um die Verpflichtung guter ausländischer Spieler.
Jahrzehntelang hatte Ambri exzellentes ausländisches Personal in seinen Reihen, zeitweise sogar das beste der Liga. Lang ist die Liste der grossen Söldner. Sie beginnt in den 1970er-Jahren mit dem NHL-Star Andy Bathgate, sie enthält Namen wie Dave Gardner, Dale McCourt, Igor Tschibirew, Peter Malkow, Oleg Petrow, die Gebrüder Lebeau, Paul DiPietro, Hnat Domenichelli oder Jean-Guy Trudel.
Heute ist Ambri nicht mehr am Stromkreis des Hockeys angeschlossen, die während Jahrzehnten sorgsam gepflegte Kultur des Bewahrens des Hockeywissens ist verloren gegangen. Ausgerechnet in diesen schwierigen Zeiten leistet sich das Unternehmen mit Ivano Zanatta den schwächsten Sportchef seiner Geschichte. So ist es nur logisch, dass Ambris Ausländer inzwischen die schwächsten der Liga sind.
Richtig geführt und gemanagt hätte Ambri in der NLA keine existenziellen Sorgen. Richtig geführt und gemanagt kann Ambri das Langnau des Südens sein, schliesslich gilt das obere Emmental wirtschaftlich als die Leventina der Deutschschweiz. Richtig geführt und gemanagt könnte Ambri selbst nach einem Abstieg geläutert in die NLA zurückkehren wie die SCL Tigers.
Ist Ambri unter Präsident Filippo Lombardi richtig geführt und gemanagt? Nein. Er riskiert, als Ruinierer Ambris in die helvetische Hockeygeschichte einzugehen.