Eigentlich sollte es schon längst entschieden sein. Eigentlich sollte Nico Rosberg schon lange als Weltmeister feststehen. Aber weil der 31-jährige Deutsche in den vergangenen drei Rennen darauf bedacht war, seinen Vorsprung in der Gesamtwertung zu verwalten, und weil sein Mercedes-Teamkollege Lewis Hamilton mit einem unermüdlichen Willen versucht, das Unmögliche doch möglich zu machen, bleibt es spannend. Bis zum letzten Rennen der Saison, heute ab 14 Uhr in Abu Dhabi.
Lewis Hamilton konnte gestern im Qualifying überzeugen und startet von der Poleposition. Für Nico Rosberg schaute der zweite Startplatz heraus: Er musste sich um 0.303 Sekunden geschlagen geben. Trotzdem kann der Deutsche optimistisch in das Rennen gehen. Bereits ein dritter Platz reicht ihm für den Titel. Seinem Konkurrenten bleibt also wohl nur noch die Hoffnung auf einen Ausfall von Rosberg. Einzig die Red-Bull-Fahrer könnten Rosberg noch gefährlich werden. Daniel Ricciardo startet aus der dritten Position in das Rennen, Max Verstappen bleibt nur die sechste Startposition.
Es ist symptomatisch für Rosberg, dass er in den letzten drei Rennen nicht konsequent den Sieg, und damit den WM-Titel, gesucht hat. An ihm hängt das Schild des Berechnenden, des Rationalen und das des Taktikers. Er wirft sich nicht ungestüm in ein Rennen, er überlegt und kalkuliert. Und unterscheidet sich damit fundamental von seinem ewigen Konkurrenten Hamilton. Der Brite gilt als Lebemann, als Vollblut-Fahrer, der immer am Limit fährt.
Auch abseits der Rennstrecke pflegen die Rivalen einen unterschiedlichen Lebensstil. Rosberg zeigt sich gern als Familienmensch, als fein geschliffener Musterfahrer. «Wenn Nico gewinnt, ist das gut für ihn und für Mercedes. Aber nicht für unseren Sport», sagt F1-Chef Bernie Ecclestone, der viel lieber Hamilton als Weltmeister sehen würde. Denn der Brite verkörpert einen Typ Fahrer, der immer seltener wird: aufmüpfig, direkt und auch neben der Rennstrecke für eine Schlagzeile gut. Solche Charaktere lassen sich besser vermarkten, weiss Ecclestone.
Rosberg und Hamilton könnten unterschiedlicher nicht sein, und doch teilen sie viele Gemeinsamkeiten. Beide finden den Einstieg im Kartsport, sie wachsen gemeinsam auf, teilen sich das Hotelzimmer und manchmal auch eine Pizza. Das Konkurrenzdenken aber bleibt. «Sie versuchten sogar, die Pizza schneller zu essen als der andere», sagt der spätere Sauber-Fahrer Robert Kubica, der mit ihnen in der Kart-EM fuhr: «Alles war ein Konkurrenzkampf, sie wollten immer gewinnen, den anderen besiegen.»
Ihre Wege trennen sich. Rosberg kommt bei BMW unter, Hamilton findet einen Platz bei Renault. Sie kämpfen sich hoch, Klasse um Klasse. Bis sie den Sprung in die Formel 1 schaffen. Rosberg gelingt der Einstieg in die Königsklasse 2006 bei Williams. Sieben Saisons lang muss er warten, bis er zum ersten Mal auf dem Podest steht. Stetig und mit Fleiss und Hingabe steigt er im Formel-1-Geschäft auf. Bei Hamilton das Gegenteil: Mit 21 Jahren gilt er als das Nachwuchstalent im Rennsport. 2007 debütiert er für McLaren in der Formel 1, den ersten Podestplatz holt er – im ersten Rennen! Rosberg gegen Hamilton: Das ist auch Fleiss gegen Talent.
2012 bei Mercedes treffen sie wieder aufeinander. Es ist das erste Mal, dass sie für das gleiche Team fahren und ihre Freundschaft wird auf die Probe gestellt. Der übereifrige Konkurrenzkampf zeigt sich erstmals 2014 im GP von Belgien. Rosberg schlitzt mit seiner Frontpartie Hamiltons Hinterreifen auf.
Nach dem Rennen beschuldigt Hamilton den Deutschen, es absichtlich gemacht zu haben. Es ist die erste Episode eines Kampfs um Punkte, der oftmals zerstörerische Ausmasse annimmt. Maximale Rivalität. Ein Jahr später erklärt Hamilton: «Wir waren eigentlich gar nie richtig befreundet.»
In dieser Saison haben sich die Streitigkeiten etwas beruhigt. Zumindest gegen aussen. Vermutlich auf Befehl von Mercedes. Nur ein Malheur beim GP von Spanien, als sich die beiden gegenseitig in der zweiten Kurve abschiessen, stört den Teamfrieden.
Sie seien auf einer neutralen Basis angelangt, sagt Rosberg vor dem letzten Rennen: «Es ist ein gegenseitiger Respekt füreinander da.» Er sagt es höflich, wie man ihn kennt. Ganz nach seinem Charakter. Hamilton ist anders. Er sagt: «Wenn Nico tatsächlich das Etikett Weltmeister erhält, dann muss das nicht heissen, dass auch ich ihn so sehe.» Heute gipfelt die Rivalität im Showdown um den Titel.