Von der Hölle in den siebten Himmel – vielleicht ist diese Formulierung etwas zu pointiert. Und doch: Noch vor ein paar Wochen war Valentin Stockers Welt eine düstere. Zur EM nicht mitgenommen und beim Bundesligastart wie gehabt auf der Bank: Für einen Berufsfussballer gibt es schönere Zeiten.
Am späten Freitagabend aber steht der 27-Jährige frisch geduscht vor dem Stadion in Budapest und lässt sein Herz sprechen: «Innerhalb eines Monats diese Wende zu erleben, dafür empfinde ich tiefe Dankbarkeit. Man fühlt sich, als ob man fliegen kann.»
Eine knappe Stunde zuvor hatte er, gerade erst eingewechselt, mit der ersten Ballberührung die Schweiz zum 3:2-Sieg geschossen. «Ein einziges Mal am Ball und gleich ein Tor. Was für eine Quote!», schmunzelt der Torschütze, der auch bei Hertha aufblüht, seit er wieder gebraucht wird. In vier Einsätzen in der Bundesliga hat er ein Tor erzielt und zwei vorbereitet. «Plötzlich passen alle Puzzleteile wieder zusammen», staunt er selber über die positive Entwicklung.
Die Schweizer Nati und Valentin Stocker, das ist eigentlich eine ambivalente Geschichte. Er sei einige Male überzogen kritisiert worden, sagt der Krienser, der bei der WM in Brasilien nur die ersten 45 Minuten im Startspiel gegen Ecuador zum Zuge gekommen war, danach keine Minute mehr. Ob das Tor gegen Ungarn sein schönster Moment in der Nati sei? «Nein, das würde ich nicht sagen. Vielleicht steht es auf der gleichen Stufe wie die beiden Tore gegen Wales und der Ausgleichstreffer bei der unglaublichen Aufholjagd gegen Slowenien.»
Stocker ist inzwischen erfahren genug, um zu wissen, wie der Hase läuft. «Es kann schnell wieder in die andere Richtung gehen. Deshalb will ich den Moment geniessen.» Noch eine letzte Frage: Wie beurteilen Sie die Entwicklung der Nati? «Dieses Team ist unglaublich talentiert. Es hat Spass gemacht, ihm zuzuschauen», sagt Stocker. Zuzuschauen? «Auf dem Platz zu stehen, würde natürlich noch mehr Spass machen.»
Haris Seferovic hat zuerst nicht reden wollen. Der Stürmer ist nach dem Duschen gleich in den Bus gestiegen und hat telefoniert. Dann ist er doch noch einmal rausgekommen, um auch andere an seiner Gefühlswelt teilhaben zu lassen. Denn er hat harte Zeiten hinter sich. Bei Eintracht Frankfurt wartet er in der Bundesliga seit Ende November 2015 auf ein Tor, in der Nati hat er sogar noch ein klein bisschen länger warten müssen.
Bis zum Freitag. «Ich sah Shaqiri aufs Tor laufen und bin ihm nachgerannt. Plötzlich lag der Ball vor mir. Ehrlich, ich weiss nicht, wie ich ihn genau reingemacht habe», sagt der 24-Jährige. «Es ist ein gutes Gefühl, wieder einmal ein Tor erzielt zu haben.»
Der Surseer, der vor sieben Jahren die Schweizer U17-Nati in Nigeria zum WM-Titel geschossen hatte, in seinem dritten Länderspiel als 21-jähriger Joker im WM-Ausscheidungsspiel gegen Zypern in der 90. Minute das kapitale 1:0 schoss und ein Jahr später bei der WM gegen Ecuador in der Nachspielzeit das 2:1, hat schon viel erlebt in seiner Karriere. Unstet vor allem ist sie verlaufen: GC, Florenz, Xamax, Lecce, Novara, San Sebastian und nun Frankfurt.
Die Eintracht hat er in der letzten Saison im Relegationsspiel gegen Nürnberg zum Klassenerhalt geschossen, bei der EM hat er viele Chancen versiebt. Vielleicht auch, weil ihm kein Weg zu weit ist und er sich so sehr verausgabt, dass ihm dann die Konzentration beim Torschuss fehlt. Aber die Trainer, ob Ottmar Hitzfeld, Vladimir Petkovic oder Niko Kovac, mögen ihn wegen seiner Generosität. «Natürlich würde ich am Montag gegen Andorra gerne wieder ein Tor erzielen. Im Moment weiss ich aber noch nicht, ob ich spielen werde», sagt Seferovic bescheiden.
Nach dem Spiel hat Ricardo Rodriguez noch nicht sprechen wollen. Er ist ja bekannt dafür, dass er dies lieber Taten überlässt. Wie beim grossartigen Volley zum 2:1. Dem lang ersehnten ersten Länderspieltor im 43. Anlauf.
Am Samstagmorgen aber kommt er nicht mehr darum herum, auch einmal etwas zu sagen. Nach der Regenerationseinheit im Trainingszentrum von Ferencvaros stellt er sich vor die Kameras und Mikrofone. «Ich bin überglücklich über mein erstes Tor. Es war höchste Zeit.» Nun gibt es zwar Aussenverteidiger, die in ihrer ganzen Karriere nie treffen, doch Rodriguez ist ein anderes Kaliber. In 131 Bundesligaspielen hat er eine sagenhafte Bilanz von 14 Toren und 23 Assists. Der Penaltyspezialist besass auch in der Nati schon mal die Chance vom Punkt aus, scheiterte aber gegen San Marino.
Beim VfL hat er lange auf einem so hohen Niveau gespielt, dass ihn die europäischen Topklubs auf dem Zettel hatten. In der letzten Saison aber ist es nicht mehr so gut gelaufen. Der Tod seiner Mutter hat ihn schwer belastet. In der Nati aber stellt er seinen Mann. Ricardo, warum hat es so lange gedauert bis zum ersten Tor? «Ich bekomme ja auch nicht oft solche Bälle wie diesmal von Valon», sagt Rodriguez. «Aber wenn wir am Montag gegen Andorra einen Penalty kriegen, hau ich ihn rein.»