Schweiz gegen Schweiz. Ein Balkan-Graben durch das Team. Fehlende Identifikation. Keine Lust auf Zeit in der Nationalmannschaft.
Ein Jahr ist es her, seit die «Schweiz am Sonntag» die Probleme rund um das Schweizer Nationalteam thematisierte. Ein Jahr, in dem viel geschehen ist. Ein Jahr, das wichtig war für die Zukunft dieser hochtalentierten und hoffnungsvollen Schweizer Fussballgeneration. Ein Jahr, in dem vieles gut gelaufen ist.
Die Schweiz hat an der Europameisterschaft Euphorie entfacht. Sie hat den Schwung in die WM-Qualifikation mitgenommen. Das letzte Spiel des Jahres, heute in Luzern gegen die Färöer-Inseln, ist seit Wochen ausverkauft.
Was ist passiert seit jenen Tagen im November 2015?
Der Blick auf die Wahrheit schmerzt manchmal. Darauf mit Ablehnung und Empörung zu reagieren, ist menschlich. Vor einem Jahr gab es verschiedene Exponenten, die uns «fehlenden Respekt» oder schlicht «Inkompetenz» vorwarfen. Frei nach dem altertümlichen Motto: «Der Überbringer einer schlechten Botschaft ist der Schuldige.»
Doch die Wogen haben sich geglättet. Und vor allem hat sich eines gezeigt: Die Auseinandersetzung mit dem Balkan-Graben hat sich gelohnt. Für alle. Sie hat Diskussionen ausgelöst. Diskussionen, die wichtig waren. Und Brücken bauten. Es gab Gespräche zwischen Spielern, die sich in den letzten Jahren wenig oder gar nie begegneten. Auch Trainer Petkovic schärfte sein Sensorium.
Die ersten reinigenden Gespräche innerhalb des Teams finden noch während des Zusammenzugs in Wien vor dem Testspiel gegen Österreich (2:1) statt. Und so geht es weiter. Der Tenor unter den Direktbeteiligten lautet mittlerweile: Es hat gut getan, dass die Thematik des Balkan-Grabens ein offenes Thema wurde und nicht einfach totgeschwiegen wird.
Die Kommunikation untereinander ist viel besser. Vor allem ist man ehrlich zueinander. Probleme werden offen angesprochen. Das bedeutet nicht, dass die verschiedenen Gruppen nicht weiterhin gerne Zeit «unter sich» verbringen. Aber der Umgang miteinander ist entspannter. Das Misstrauen ist weg.
Neben dem offeneren Zugang zueinander gibt es weitere Faktoren, welche die Entwicklung dieses Schweizer Nationalteams entscheidend beeinflussten. An erster Stelle natürlich den Erfolg. An der EM hat das Team gemerkt: Ja, wenn alle am selben Strang ziehen, können wir wirklich gut sein. Und nicht nur davon sprechen. In einer positiven Dynamik lebt es sich unbeschwerter.
Im März dieses Jahres verzichtete Petkovic erstmals auf Captain Gökhan Inler. Und machte Granit Xhaka zum Spiritus Rector der Mannschaft. Das Fehlen von Inler wirkte sich positiv aufs Teamgefüge aus. Nicht, weil Inler Probleme verursacht hätte. Aber er war eben trotzdem je länger, je mehr irgendwie zwischen den Fronten – und schaffte es nicht, die verschiedenen Gruppen für sich zu gewinnen. Dazu stand er Xhaka, dem talentiertesten Schweizer, vor der Sonne. Es ist deshalb auch keine Überraschung, dass Petkovic weiterhin auf Inler verzichtet, obwohl dieser nach dem Wechsel von Leicester zu Besiktas Istanbul wieder spielt.
Das Standing von Xherdan Shaqiri in der Nationalmannschaft hat sich in den letzten Monaten verändert. Es ist – auch teamintern – nicht überall gut angekommen, dass er sich öffentlich darüber beklagt hat, nicht in den Rat der Weisen, in den Kreis der Captains, aufgenommen zu werden.
Das Zeichen, das Vladimir Petkovic mit der Wahl von Xhaka ins Captain-Team (Lichtsteiner, Behrami, Xhaka, Sommer) setzte, sorgte für Klarheit. Es war auch ein Signal. Shaqiri ist wichtig, aber nicht unverzichtbar. Der Sieg gegen Portugal gelang auch ohne ihn.
Bevor im Sommer die EM begann, verteilte Vladimir Petkovic im Teamcamp in Montpellier jedem aus dem Kreis der Spieler und des Staffs ein Puzzle-Teil. Seine Message: Jeder muss seinen Teil dazu beitragen, dass etwas Grosses entstehen kann.
Der Prozess ist nicht abgeschlossen. Aber die vergangenen Monate machen Hoffnung, dass diese Generation den Schweizer Fussball in neue Höhen treibt. Es ist eindeutig: Das Puzzle nimmt Formen an.
Hätten wir die EM gewonnen, die Herrschaften der Schweiz am Sonntag hätten den Triumph für sich reklamiert. ;-)