Damit hatte beim Aufsteiger nun wirklich niemand gerechnet, doch der Blick auf die Tabelle ist tatsächlich keine Fata Morgana. Dank des 2:0-Heimerfolgs gegen den Hamburger SV am Freitagabend grüsst Hannover 96 – vor der Saison noch Abstiegskandidat Nummer 1 – für zwei Tage von der Tabellenspitze der Bundesliga. Historisch! Zum ersten Mal seit 48 Jahren steht «96» wieder ganz oben.
Alles paletti also in Hannover? Denkste! Es brodelt beim zweifachen deutschen Meister und Pokalsieger von 1992. Die sogenannte aktive Fanszene hat seit Wochen einen Stimmungsboykott ausgerufen. Wie bereits in den vergangenen Wochen hatten die Ultras während des Spiels immer wieder Protest- und Schmähgesänge gegen den Präsidenten Martin Kind angestimmt.
Der 73-jährige Hörgeräte-Unternehmer steht kurz vor der endgültigen Übernahme der Mehrheit des Traditionsvereins aus Niedersachsen. Er will die totale Entscheidungsgewalt für sich. Wegen seiner langjährigen Tätigkeit kann er eine Lücke der 50+1-Regelung nutzen, was den fanatischsten Anhängern des Klubs nicht in den Kram passt. «Kind muss weg!», skandierten sie am Freitagabend immer wieder. Als die Spieler nach dem Sieg gegen HSV vor der Fankurve die Welle machten, war die Nordkurve schon halbleer. Die Ultras hatten das Stadion geschlossen verlassen.
Das Stadion bejubelt die Führung.
— Dr. Andreas Hüttl (@Dr_Huettl) 15. September 2017
Teile der Nordkurve bleiben ihrer Linie treu.
"Kind muss weg" vs. "Ultras raus" pic.twitter.com/A5pyWIYTkX
Doch der Stimmungsboykott, der den Präsidenten empfindlich treffen sollte, ist wegen des Erfolgs der Mannschaft schon verpufft. Die Mannschaft gewinnt auch ohne ihre Unterstützung und mittlerweile haben sich auch die «normalen» Fans gegen sie gewandt. Pfiffe und «Ultras raus»-Sprechchöre waren während des Spiels immer wieder zu hören.
Es war eine seltsame Atmosphäre: Auf dem Feld machen Pirmin Schwegler und Co. die Tabellenführung klar, auf den Rängen attackieren sich die eigenen Fans gegenseitig und die Verantwortlichen müssen sich öffentlich gegen die eigenen Ultras stellen. «Die Mannschaft macht keine Politik, zerreisst sich und wird von Teilen der Fans im Stich gelassen», sagte Manager Horst Heldt. Natürlich müssten im Verein nicht alle einer Meinung sein, versuchte Heldt die Wogen zu glätten, aber schade sei es schon, dass nicht alle diesen Abend gemeinsam feiern konnten.
Etwas deutlicher wurde Trainer André Breitenreiter: «Was ich echt doof finde, ist, dass die Ultras das Stadion verlassen, bevor die Jungs vor der Fankurve sind.» Das sei ein klares Signal gegen die Mannschaft. «Sie reden von der Liebe zu diesem Verein, dann muss man die Mannschaft auch unterstützen», forderte Kind. «Die Ultras können gerne zu Hause bleiben. Überraschend ist, dass die unorganisierte Mehrheit eine klare Meinung ausgedrückt hat. Wir sollten uns an der Mehrheit orientieren und nicht an der lautstarken Minderheit.»
Kind sieht sich in der Reaktion des restlichen Publikums gestärkt. Die Ultras, die sich selbst als Hüter der Fussballkultur sehen und die glauben, dass es ohne sie keine Stimmung im Stadion gäbe, werden ihre Protestaktion nach den Vorfällen vom Freitag sicherlich nicht einstellen. Für sie ist die Zukunft des Vereins in Gefahr, sie fürchten die totale Kommerzialisierung wie bei einigen Klubs in England. Eine schnelle Lösung des Konflikts scheint so bald jedenfalls nicht in Sicht. Und der Keil zwischen Fans und Ultras droht den Klub endgültig zu spalten.
Und englische Verhältnisse kann kein Fussballfans ernstens wollen.
Darum: Pro Fanprotest.