Unnahbar, dominant, arrogant? Für einmal nicht. Für einmal zeigt sich Christian Constantin von der sanften Seite und gewährt tiefe Einblicke in seine Privatsphäre.
Der Präsident des FC Sion zeigt kurz vor seinem 60. Geburtstag Gefühle. Constantin spricht vom Tod seiner Mutter, ist sichtlich gerührt und wischt sich eine Träne aus dem Gesicht. Mich packt das Mitleid. Grotesk: Ich habe Mitleid mit dem Mann, der kaum Kompromisse kennt und knallhart ist, wenn es um seine Vorteile geht. Ich habe Mitleid mit dem Mann, für den fast jedes Mittel recht ist, um Erfolg zu haben.
Constantins Mutter Charlotte erkrankt im zarten Alter von 26 Jahren an Leukämie. Sie stirbt nach einer siebenjährigen Leidenszeit. Ihr Tod schüttelt den kleinen Christian durch. «Sie war eine wunderschöne, positive und lebenslustige Frau», blickt er mit finsterem Blick und traurigen Augen zurück.
«Ich war sechs Jahre alt, als sie krank wurde. Ich musste als kleiner Bub mitansehen, wie ihr Körper auseinanderfiel. Sie blickte dem Tod ins Auge und konnte nichts dagegen tun. Es war eine schlimme Zeit. Kurz vor ihrem Tod wog sie gerade mal noch vierzig Kilogramm. Auf eine solche Art und Weise zu sterben muss grausam sein.»
Für Constantin ist der Verlust der 33-jährigen Mutter eine Tragödie. Ihr Tod stellt sein Leben auf den Kopf. Von einem Augenblick auf den andern fehlt ihm die Bezugsperson. Statt wohl behütet aufzuwachsen und die Zuneigung eines geliebten Menschen zu spüren, ist der kleine Christian plötzlich allein. «Ich verlor damals nicht nur meine Mutter, sondern auch den Glauben an das Gute», erinnert er sich.
«Mein Vater war Bauunternehmer und hatte sechzig Angestellte. Er hatte kaum Zeit für mich. Ich war meistens allein und wusste lange Zeit nicht, wie es weitergeht. Dann aber lehnte ich mich gegen das Schicksal auf. Ich kämpfte. Ich wehrte mich. Ich setzte mich durch. Dass ich in meiner frühesten Jugend zur Selbstständigkeit gezwungen wurde, war einerseits hart, hat mich aber anderseits stark gemacht. Heute fürchte ich mich vor nichts, vor gar nichts.»
Constantin ging seinen Weg. Eigensinnig, ja stur und vor allem ohne Rücksicht auf Verluste! So wie es typisch ist für einen im Zeichen des Steinbocks geborenen Menschen. Die Schule und die Lehre als Bauzeichner waren für ihn nicht mehr als Pflichtaufgaben.
Die Kür des Lebens war die Welt des Sports. In der Freizeit fuhr er Ski und spielte Fussball. «Ich war ein guter Skifahrer», erinnert er sich. «Meine Paradedisziplin war die Abfahrt. Nach einem schlimmen Beinbruch entschied ich mich allerdings, auf die Karte Fussball zu setzen. Ich wollte eine Profikarriere einschlagen. Um jeden Preis! Was ich mir in den Kopf setze, das ziehe ich durch.»
Nach der Zeit als Junior beim FC Martigny erhielt Constantin von Xamax-Präsident und Bauunternehmer Gilbert Facchinetti Mitte der 1970er-Jahre einen Profivertrag. Mit der Auflage allerdings, auch noch im Büro des Präsidenten als Bauzeichner zu arbeiten. Und so spielte Constantin als 19-Jähriger in der ersten Mannschaft, arbeitete nebenbei noch einige Stunden und frönte in seiner Freizeit in Neuenburg dem süssen Nichtstun.
«Es war eine schöne Zeit», sagt Constantin. «Der Fussball war damals mein Ein und Alles. Ich verdiente 8000 Franken im Monat und bekam zweimal im Jahr eine Prämie von 25'000 Franken. Das war für die damalige Zeit ganz schön viel Geld.»
Nach seiner zweiten Profistation FC Lugano baute Constantin im Alter von 22 Jahren ein Architekturunternehmen auf. 1992 übernahm er das Präsidium des FC Sion. Fünf Jahre später gewann er mit den Wallisern das Double (Meisterschaft und Cup). Ausgerechnet in den Zeiten des grossen sportlichen Erfolgs stürzte Constantin ab.
Der Grund: Eine viel zu teure Mannschaft führte zu einem Schuldenberg in Millionenhöhe und beinahe zum Konkurs. 2003 gab er sein Comeback als Präsident und verhinderte auf juristischem Weg die Zwangsrelegierung Sions in die 1. Liga (siehe Artikel rechts). Danach ging es mit dem FC Sion wieder steil bergauf.
Constantin konnte mit den Wallisern bis zum heutigen Tag einen Meistertitel und sieben Cup-Erfolge feiern. Für den FC Sion ist er bereit, die ganz grosse Kohle auszugeben. Sein Geld verdient er einerseits mit seiner Tätigkeit als Architekt, andererseits mit dem Handel von Immobilien.
«Ich kaufe und verkaufe», sagt er mit einem schelmischen Lächeln. Weil die Geschäfte gut laufen, buttert er Jahr für Jahr rund fünf Millionen Franken aus dem eigenen Portemonnaie in den Profibetrieb der ersten Mannschaft. Das ist mehr als ein Fünftel des gesamten Budgets.
Bei aller Liebe zum Fussball kann sich der Unternehmer mit einem geschätzten Vermögen von 300 Millionen Franken auch noch das eine oder andere Luxusgut leisten. Seit 1982 wird ihm jeweils das neueste Modell der Marke Ferrari direkt vor die Haustüre geliefert. «Mein erster Ferrari war der Testa Rossa», sagt Constantin.
Die Luxuskarosse aus Italien ist der eine Farbtupfer, der eigene Privatjet im Wert von rund zehn Millionen Franken der andere: Ob mit dem Ferrari am Boden oder mit dem Jet in der Luft – Constantin ist immer auf der Überholspur!
Der Überflieger tanzt also auf vielen Hochzeiten. Da passt es ganz gut, dass es auch in seinem Privatleben nicht an Turbulenzen fehlte. Seine Bilanz: Zwei Frauen, drei Kinder, eine Freundin! Besonders stolz ist Constantin auf seine älteste Tochter Amelle, die ihm vor einem Jahr einen Enkel geschenkt hat.
«Die Rolle des Grossvaters ist wie auf mich zugeschnitten», sagt Constantin mit einem schelmischen Lächeln. «Der kleine Alois und ich verstehen uns ausgezeichnet.» Ein gutes Verhältnis hat Constantin auch mit seinem einzigen Sohn Barthélémy, der seinen Vater in der Arbeit zum Wohl des FC Sion so gut es geht unterstützt und im Idealfall selbst einmal das Präsidentenamt übernehmen wird.
Zurück zu Christian Constantin, der heute seinen 60. Geburtstag feiern darf. Sein Spruch «Ich werde zwar schon sechzig Jahre alt, fühle mich aber wie zwanzig» passt zum erfolgreichen Unternehmer und Lebemann. Da stellt sich zwangsläufig die Frage nach weiteren Zielen des kleinen Walliser Fussballgotts? «Ziele habe ich viele», sagt er. «Aber ich habe vor allem eine Vision. Ich möchte für den FC Sion den Bau eines neuen Stadions realisieren.
Um das zu erreichen, braucht es im Wallis allerdings ein grosses Sportprojekt.» Und? Hat er schon eine Idee? «Natürlich», gerät Constantin ins Schwärmen. «Ich werde alle Register ziehen, um die Olympischen Winterspiele 2026 ins Wallis zu holen.»