Der Satz ist von entwaffnender Ehrlichkeit. Er entweicht ihm leicht. Jetzt, wo alles so viel einfacher ist. Jetzt, wo die Beziehung endlich zwischen ihm und der Nationalmannschaft nicht mehr so kompliziert ist. Blerim Dzemaili sitzt in einem Sessel des Schweizer Teamhotels. Er lacht sein schelmisches Lachen. Und sagt: «Wir Spieler sollten halt schon lieber einmal den Fehler bei uns selbst suchen. Aber so ist es eben: Wenn wir nicht spielen, dann ist der Trainer schuld. Immer.»
Es ist der entspannte Rückblick auf seine eigene Karriere im Nationalteam. Getätigt mit der Weisheit eines Mannes, der erste graue Haare trägt. Und dank seinem Sohn Luan noch einmal ein Stück erwachsener geworden ist.
Dzemaili musste viele Jahre warten, ehe er eine echte Chance erhielt. Er stand im Schatten von Gökhan Inler und Valon Behrami. Mal durfte er spielen – doch dann: «Wieder Ersatzbank. Ich hatte den Eindruck: Ein Fehler reicht und ich bin wieder draussen.» Manchmal wirkt es nun fast so, als würde der erwachsene Dzemaili den jungen Dzemaili von einst für dessen Ungeduld tadeln. Einmal, im Juni 2013, wäre Dzemaili fast aus dem Nationalteam zurückgetreten. Er tat es nicht. Weil sein Manager ihn überzeugen konnte. «‹Wenn du jetzt gehst, werden alle nur einen Verlierer sehen: dich selbst›, sagte er zu mir.»
Mit dem Wechsel von Ottmar Hitzfeld zu Vladimir Petkovic als Nationaltrainer begann auch der leise Aufstieg für Dzemaili. Petkovic vertraut ihm. «Auch dann, wenn ich einen Fehler mache.» In der Tat. Es ist beileibe nicht so, dass Dzemaili jede sich bietende Chance genutzt hätte. Aber plötzlich wurde er immer wichtiger für das Team. In den letzten Vorbereitungsspielen zur EM traf er zweimal. In Frankreich war er Stammspieler. Er füllte dabei eine Rolle aus, die sich seit Hakan Yakins Rücktritt zur Schweizer Achillesferse entwickelt hatte. Jene des Spielmachers.
«Im Rückblick darf ich sagen: Die EM gibt mir eine gewisse Genugtuung», sagt Dzemaili. Er war nun echter Teil eines grossen Bilds. An der WM 2014 blieb er vor allem in Erinnerung, weil er als Einwechselspieler im Achtelfinal gegen Argentinien kurz vor Ende der Verlängerung den Pfosten statt das Tor traf. «Diese Szene spiegelt die Beziehung zwischen mir und dem Nationalteam von früher ziemlich gut», sagt er.
Wenn die Schweiz nun morgen in Ungarn den perfekten Start in die WM-Qualifikation anstrebt, deutet sich für Dzemaili abermals eine wichtige Rolle an. Er könnte den gesperrten Granit Xhaka auf der Sechserposition ersetzen. Anstatt Ersatzspieler zu sein, ist er nun plötzlich unverzichtbar.
Das 2:0 gegen Europameister Portugal wertet Dzemaili als erneute Bestätigung für die laufende gute Entwicklung des Teams. «Der Sieg ist das eine. Wichtiger ist mir aber, dass wir über eine klare Identität verfügen.» Dzemaili appelliert daran, den ersten Exploit nun beiseitezuschieben. «Die Partie in Ungarn ist die wichtigste der gesamten WM-Qualifikation!», sagt er. Bei einem Sieg wäre der morgige Gegner bereits um fünf Punkte distanziert. «Und dann folgen sechs Spiele, die wir alle gewinnen müssen.» Je zweimal gegen Andorra, die Färöer Inseln und Lettland.
Die Fussball-Heimat des 30-Jährigen liegt längst in Italien. Er hat für fünf verschiedene Klubs in der Serie A gespielt. Für Torino, Parma, Napoli, Genua und nun seit Sommer für Bologna. «Ich habe mich vom ersten Moment an in den italienischen Fussball verliebt. Egal, wo man ist: Man merkt den Menschen von Montag bis Sonntag an, welch grosse Bedeutung der ‹Calcio› hat.»
Nachdem Dzemaili im Sommer hätte nach Istanbul zu Galatasaray zurückkehren sollen, gelang es ihm, die Verantwortlichen davon zu überzeugen, ihn ziehen zu lassen. Nun hat er mit dem Besitzer von Bologna einen 3½-Jahres-Vertrag ausgehandelt. Dieser ist gleichzeitig auch Eigentümer des MLS-Teams Montreal Impact. Es ist geplant, dass Dzemaili im Sommer 2017 oder 2018 nach Montreal übersiedelt. «Wenn ich Chancen sehe, bei der WM 2018 eine wichtige Rolle einnehmen zu können, bleibe ich länger als bis Saisonende in Italien», stellt Dzemaili klar.
Seine Karriere wird er aber wohl in Montreal ausklingen lassen. Und danach? «Ich möchte dem Fussball verbunden bleiben», sagt er, «am liebsten als Sportchef.» Vielleicht einmal beim FC Zürich, der noch immer sein Herzensverein ist.