Alex Frei, vor sechs Jahren warf der
FC Basel Manchester United aus der
Champions League. Ein Team mit Ihnen,
Streller, Stocker, Xhaka, Shaqiri
und vielen mehr. Für die Fans ist diese
Mannschaft das Mass geblieben.
Können Sie das nachvollziehen?
Alex Frei: Der Quervergleich von Teams
über die Zeit ist extrem schwierig, finde
ich. Eigentlich habe ich mich immer dagegen
gewehrt. Denn letztlich hat jede
Mannschaft ihre eigene Art, ihren eigenen
Charakter. Und für den Erfolg
braucht es immer alle. Trotzdem wage
ich zu behaupten, dass die FCB-Mannschaft
von 2010/11 und 2011/12 die beste
Schweizer Mannschaft ist, die je in der
Champions League gespielt hat.
Damit haben Sie dem heutigen Team
eine ordentliche Bürde aufgeladen.
Es muss doch für jede Mannschaft ein
Antrieb sein, die Vergangenheit vergessen
zu machen. Ich war ein solcher Typ
Spieler. Das hat man mir dann immer
wieder zum Vorwurf gemacht. Es hiess,
ich möchte geliebt werden, suche Anerkennung.
Nur damit das klar ist: Es ging
mir nie darum, dass in der Zeitung steht,
ich sei ein toller Typ. Aber natürlich
spielte ich um Anerkennung. Das ist
doch nichts anderes, als das Leistungsoptimum
anzustreben.
Wie meinen Sie das?
80 Prozent der Fussballer spielen wegen
der Kohle. Die rennen von links nach
rechts und von oben nach unten, wechseln
von Aserbaidschan nach China, von
dort in die Bundesliga und wieder zurück.
So war ich nie. Mir war es viel
wichtiger, in den Klubs, in denen ich
spielte, meine Spuren zu hinterlassen.
Nicht nur eine Randnotiz im Geschichtsbuch
des Vereins sein, sondern eine ganze
Seite zu kriegen. Das meine ich mit
Anerkennung – und dieser Ehrgeiz fehlt
mir heute manchmal.
Erklären Sie!
Bei den Profis habe ich heute oft den
Eindruck, dass es ihnen gar keine Rolle
spielt, was sie mit einem Klub erreicht
haben. Wenn sie irgendwo 500 Franken
mehr im Monat kassieren, wechseln
sie. Der Leistungsgedanke hat sich
ja auch verlagert. Heute hat man reelle
Chancen, einen guten Transfer zu machen
aufgrund von Facebook-Likes
und Twitter-Followern. Das ist doch
verrückt.
An was für einen Transfer denken
Sie, wenn Sie das sagen?
Das hört man doch einfach raus, wenn
ein Spieler vorgestellt wird und es heisst,
der hat noch 25'000 Follower. Die kaufen
dann vielleicht ein Trikot, aber den
Spieler machen sie nicht besser. Und ich
glaube einfach, dass man sich immer
noch an diese Mannschaft von damals
erinnert, weil das Gesamtpaket stimmte.
Aus Identifikation, aus Jugendlichkeit, einem
gewissen Leichtsinn, aus Erfahrung,
aus Basel und Umgebung. Es war
einfach die perfekte FCB-Mannschaft
War Ihnen das damals bewusst?
Thorsten Fink stiess 2009 zum FCB, ich
ebenfalls. Uns – und da meine ich vor allem
Beni (Huggel, d. Red) und Strelli
(Marco Streller) – war schnell klar, dass
das eine spezielle Konstellation ist, ein
Gefüge von Charakteren und Qualitäten,
das einfach passte. Spieler von aussen
und Spieler von hier. Dragovic kam aus
Österreich, Shaq aus der U21. Jeder kannte
seine Rolle. Man spürte, dass das einmalig
ist. Das wollten wir geniessen. Den
Moment, jedes Spiel, jedes Training.
Denn es war klar, dass ein Element ums
andere wegbrechen wird. Aber in diesem
Augenblick passte es und irgendwann
war unser Selbstbewusstsein so gross,
dass in der Meisterschaft oft bloss noch
zu klären war, ab welchem Zeitpunkt unser
Gegner aufgibt.
Gingen Sie mit diesem Selbstvertrauen
auch in Manchester in die Partie?
Wir gingen ohne grosse Erwartungen
nach England. Niemand hat gesagt, wir
müssten dort gewinnen. Und in der Pause
stand es dann 2:0. Thorsten Fink kam
in die Kabine und fragte uns, ob wir noch
ganz normal seien, so ängstlich aufzutreten.
Er meinte, wir könnten diesen Match
gewinnen. Da sagte ich zu Strelli: «Was
erzählt denn der hier? Die könnten uns
die Hütte vollschiessen.»
Das Selbstbewusstsein eines
ehemaligen Bayern-Spielers.
Das war eine der grossen Qualitäten von
Thorsten. Selbstvertrauen an der Schwelle
zum Grössenwahnsinn. Es war aber
keine Überheblichkeit, sondern ging ihm
immer darum, uns maximales Selbstbewusstsein
zu vermitteln. Und oft hatte er
recht. Auch in Manchester.
Woran erinnern Sie sich?
Dass ein Ruck durch die Mannschaft ging.
Und die Qualität des Teams war damals
wirklich unglaublich gut. Wir konnten
das Spiel drehen, gingen 3:2 in Führung.
Am Schluss stand es 3:3 und wir waren
enttäuscht. Denn eigentlich hätten wir
gewinnen müssen.
Wie war das möglich?
Sie haben uns unterschätzt. Vor allem im
Old Trafford. Ein eindrückliches Stadion.
Aber ich war enttäuscht von der Vielfältigkeit
des Publikums. Keine Choreos,
keine Kurve. Ein Event-Publikum, keine
wirklichen Fans.
Und dann verliert United das Rückspiel
im Joggeli. Wie konnte denn
das passieren?
Die Ausgangslage war einfach: Wer die
nötigen Punkte holt, kommt weiter. Als
ich sah, wie sie damals einliefen in Basel,
dieses halbstündige Warm-up, ging ich in
die Kabine und sagte: «Jungs, wenn wir
an unsere Leistungsgrenze gehen, dann
gewinnen wir.» Sie traten genauso überheblich
auf wie im Hinspiel.
Warum passiert so etwas?
Sie machten den Eindruck, als fragten
sie sich, warum sie überhaupt noch um
die Achtelfinalqualifikation zittern müssen.
Da gehört United einfach hin, so ihr
Selbstverständnis. Wenn es ihnen gelungen
wäre, den Hebel umzuschalten, wäre alles klar gewesen. Dann sind sie besser
als wir. Weil die Liga besser ist, sie
viel mehr finanzielle Mittel haben als
wir. Aber auf dem Platz spielt das keine
Rolle, wenn der Kopf nicht mitmacht.
Ist das wieder möglich? Kann Basel
Manchester United noch einmal
schlagen?
Es muss wirklich alles passen. Der Gegner
muss dich unterschätzen. Dazu müssen
vielleicht drei von elf Superstars nicht auf
ihrem üblichen Level spielen, aus welchem
Grund auch immer. Wenn man
dann noch zur richtigen Zeit die Tore
schiesst, kann es klappen. Aber es ist sicher
nicht einfacher geworden. Die Schere
zwischen grossen und kleineren Klubs ist
weiter aufgegangen. Man muss aufpassen,
dass man nicht zu sehr in der Vergangenheit
schwelgt und irgendwelche Vergleiche
zieht zwischen damals und heute.
Aber glauben Sie, dass der FCB in
einer Gruppe mit United, Benfica
und ZSKA Moskau bestehen kann?
Ja, das glaube ich. Die Rechnung ist ziemlich
einfach: Das Heimspiel gegen den vermeintlich
schwächsten Gegner – aufgrund
des Lostopfs und nichts sonst – muss man
gewinnen. Und in Moskau muss mindestens
ein Punkt her. Wenn dann in einem
der vier weiteren Spiele ein Exploit gelingt,
überwintert man international.
Wie nah sind Sie eigentlich noch an
der ersten Mannschaft dran?
Nicht nah. Höchstens dann, wenn Spieler
von mir aus der U18 in der ersten Mannschaft
trainieren oder ein Freundschaftsspiel
mit ihnen machen. Wie zum Beispiel
jetzt während der Natipause. Sonst habe
ich eigentlich sehr wenige Berührungspunkte
mit der ersten Mannschaft.
Wie gefällt Ihnen Ihre neue Rolle als
Trainer eigentlich?
Sagen wir es so: Ich habe meinen Weg
über Umwege gefunden. Ich bin mit Leib
und Seele Fussball-Trainer, geniesse es, die
Ausbildung zu machen, von ganz unten nach ganz oben. Ich lerne täglich etwas
dazu. Es ist eine unglaublich herausfordernde
Aufgabe.
Inwiefern?
Für mich zählt nicht nur das nackte Resultat,
sondern vor allem die Entwicklung
der Mannschaft. Ich bin sehr zufrieden mit
dem spielerischen Bereich. Aber im Bereich
Einstellung, Mentalität bin ich sehr
kritisch.
Weil diese Punkte wichtig waren für
Ihre Karriere?
Die Einstellung ist im Fussball ganz allgemein
zentral. Aber schauen Sie, als ich Junior
war, machte mir mein Mami ein
Sandwich für nach dem Spiel. Wenn meine
Jungs heute auf den Campus kommen,
dann ist dafür gesorgt. Es warten perfekt
gepflegte Plätze, gute Bälle, Trikots, Material
– alles ist bereit. Sie müssen nur
noch denken, wenn sie auf dem Platz
sind.
Nimmt der Klub den Jungen zu viel ab?
Ja, das sehe ich so. Aber man muss ihnen
auch etwas zugutehalten. Sie sind mit 19
viel weiter und besser ausgebildet, als wir
das je waren. Weil die Trainer immer besser
werden, die Methoden, die Möglichkeiten.
Sie sagten, dass Sie über Umwege
Ihren Weg gefunden hätten. Sie waren
zuvor Sportchef beim FC Luzern.
Ist dieses Thema abgeschlossen?
Ich kann kategorisch ausschliessen, dass
ich je wieder als Sportchef arbeite.
Warum?
Weil ich gemerkt habe, dass die Themen,
mit denen man sich rumschlägt, nicht
meine Themen sind. In der Schweiz geht
es um optimieren, sparen, Sicherheitskosten.
Und man hat 27 Sitzungen für einen
Spieler, der 80'000 Franken kostet.
Da habe ich irgendwann resigniert und
mit der Gesundheit bezahlt.
War es denn nun eigentlich ein Burnout
oder nicht?
Ich habe es nie diagnostizieren lassen.
Aber ja, es war ein Burnout. Spätestens,
wenn man zweimal in der Woche irgendwo
auf einer Raststätte anhält und anderthalb
Stunden schlafen muss, weiss
man, dass fünf vor zwölf vorbei ist.
Was hat diese Erfahrung mit Ihnen
als Mensch gemacht?
Sie hat mich unglaublich demütig gemacht
und als Mensch zum Guten verändert.
Dafür bin ich dankbar.
Wie haben Sie sich denn verändert?
Ich kann nachvollziehen, warum ich als
Spieler oft angeeckt bin. Oder warum
die Leute mich in eine gewisse Schublade
gesteckt haben. Aber so war ich einfach.
Und es hat mir sicher geholfen,
Karriere zu machen. Jetzt stimmt es für
mich, wie es ist. Ich bin dankbar für die
Erfahrung. Gleichzeitig glaube ich, dass
ich mit anderthalb Jahren als Sportchef
beim FC Luzern fast einen Eintrag ins
Guinness-Buch der Rekorde bekomme
(lacht).
Sie scherzen. Bereuen Sie nichts?
Nein, ich würde es wieder gleich machen.
Weil die Chance enorm gross war.
Und der FCL eigentlich ein toller Verein
wäre mit grossem Potenzial.
Wie meinen Sie das?
Das auszuführen, würde den Rahmen
dieses Interview sprengen.
Sie sind ja nicht nur Trainer der U18,
sondern auch Verwaltungsrat, sitzen
in der Transferkommission.
Das ist eine Arbeit, die ich sehr schätze.
Da sind ja nicht nur Strelli, Cecca und
ich, sondern auch Brigger, Gaugler und
Zbinden. Ziemlich viel Fussball-Sachverstand,
würde ich meinen. Wenn wir
über Fussball diskutieren, kommt nicht
nur Müll raus, behaupte ich jetzt mal.
Zugleich sitzen Sie im Verwaltungsrat.
Zusammen mit Marco Streller
und Massimo Ceccaroni. Drei Alphatiere,
sagt man. Kann das überhaupt
funktionieren?
Was heisst schon Alphatiere? Es ist ganz
klar, wer der Chef ist: Strelli. Und ich
bin gottenfroh, dass er dort vorne steht
im operativen Geschäft. Aber ja, wir
können kontrovers diskutieren. Wir
sind selten einer Meinung, wenn es um
Fussball geht. Das war schon früher so.
Aber wir sind intelligent genug, um Geschäftliches
und Privates trennen zu
können.
Was heisst das?
Wenn wir zusammen in Grächen in den
Skiferien sind, dann geht es darum, was
für ein Raclette wir essen, was für einen
Weisswein wir bestellen, wie es den Kindern
geht und wie das Schlitteln war.
Nicht um den Fussball. Da ist Harmonie.
Aber in der Transferkommission geht es
nicht darum, dass wir uns gegenseitig mit
Rosenblättern bewerfen. Im Gegenteil.
Letztlich jedoch kommen wir zu einem
gemeinsamen Entscheid.
Haben Sie Marco Streller aufgrund
Ihrer Erfahrungen eigentlich davon
abgeraten, Sportchef zu werden?
Nein, die Voraussetzungen sind bei ihm
anders. Er kommt zu einem gestandenen,
gut organisierten Klub.
Und Sie selbst, werden Sie irgendwann
Trainer der ersten Mannschaft
des FCB?
Wer weiss das schon?
Stand heute habe
ich nicht das Bedürfnis, so schnell wie
möglich Profi-Spieler zu trainieren. Ich
fühle mich in der Situation, wie sie heute
ist, ungemein wohl. Wenn ich 15 Jahre
U18-Trainer bin, dann stellt das für
mich gar kein Problem dar. Aber ich
weiss auch, dass irgendwann dieses
Kribbeln zurückkommt. Das Bedürfnis
auszuloten, wo meine Grenzen sind als
Trainer
Wo sehen Sie die?
Das kann ich Ihnen Stand heute nicht sagen.
Das müsste ich ausprobieren. Aber
ich denke, wenn das Kribbeln wieder da
ist, wäre ich für vieles offen.