Lukas Biry ist auf einer Mission: Er will die Kola-Nuss von Kamerun mit dem Velo in die Schweiz bringen. Rund 10'000 Kilometer legt er dabei in 100 Tagen zurück. Am 8. April möchte der 31-Jährige beim Urban Bike Festival in Zürich einrollen. Wir haben ihn kurz vor dem spanischen Party-Mekka Lloret de Mar erreicht.
Lukas, wir fangen grad mit dem schlimmsten Erlebnis an: Du wurdest in Guinea-Bissau zwei Tage ins Gefängnis gesteckt. Was geschah?
Lukas Biry: Ich wollte von Guinea nach Guinea-Bissau. An der zweiten Barriere beim Grenzübergang hatte es dubiose Typen, die wollten mein Gepäck durchsuchen. Sie waren auf Geld aus. Ich wollte kein Schmiergeld bezahlen. Da haben sie mich zu fünft überwältigt und in einen Knast mit Bambusgitter gesteckt.
Wie kamst du aus der Situation raus?
In der zweiten Nacht konnte ich die Wächter überzeugen, dass ich draussen am Feuer schlafen möchte. Im Knast lag überall Abfall herum und es stank schlimm – auch weil meine Vorgänger und ich die Notdurft in einer Ecke verrichten mussten. Ich schlief am Feuer, wachte um 4 Uhr auf und merkte, dass die Wächter auch eingeschlafen waren. Da nutzte ich die Situation und ich rannte durch den Dschungel ins gut sieben Kilometer entfernte Quebo.
Und dann?
Ich suchte meinen Taxifahrer, der bis zur Kontrolle mit mir war und mein Velo aufgeladen hatte. Er hatte alles Gepäck von mir und konnte an der Grenze abhauen. Es war ein «Scheissgefühl», das wünsche ich niemandem. Aber ich habe es überlebt und habe alles noch.
Wolltest du die Reise dann abbrechen?
Nein, das nicht. Aber ich machte mir natürlich schon Gedanken. Mauretanien und die West-Sahara liess ich danach aus. Auch weil die Sicherheit da nicht gewährleistet ist. Ich flog von Senegal nach Marokko.
Die Sicherheit ist in deinen bereisten Gegenden Afrikas für «Otto Normalbürger» eh nicht gewährleistet.
Ich habe mich über jedes Land auf der Website des EDA informiert und das Ganze mit einem Sicherheitsexperten angeschaut. Zudem habe ich einen viermonatigen Selbstverteidigungs-Kurs besucht, bei welchem ich auch lernte, mich mit einem Holzschlagstock zu verteidigen. Der gilt nicht als Waffe und ich habe ihn immer dabei. Er hilft auch, wenn Hunde mir nachrennen – denn Tollwut wäre das Letzte gewesen, was ich brauchen konnte. Aber ich musste den Stock zum Glück nie einsetzen. Grundsätzlich hilft es am meisten, wenn ich mit den Einheimischen spreche. Wenn es für sie sicher ist, fühle ich mich auch sicher.
Hattest du nie Angst?
Ich wurde in Kambodscha einst überfallen und landete jetzt in Guinea-Bissau im Knast. Aber Angst habe ich deswegen nicht. Ich habe grundsätzlich kein Misstrauen gegenüber Fremden und versuche immer, das Gute in den Leuten zu sehen. Natürlich gibt es den einen oder anderen «Arsch» auf der Welt, was auch immer sein Motiv ist. Darum fordere ich das Risiko auch nicht heraus.
Wie meinst du das?
Ich vertraue den Menschen zwar grundsätzlich, aber wenn ich hier jeweils im Zelt übernachtete – was ich so alle vier bis fünf Tage machte – dann versuchte ich, das meist versteckt zu tun und ich mache die Leute nicht noch darauf aufmerksam, dass hier ein Europäer mit Velo und technischen Geräten schläft.
Welches war dein speziellstes Erlebnis?
Da gibt es sehr viele. Einmalig war mein Coiffeurbesuch auf der offenen Strasse im Senegal. Der war ca. eine Stunde mit mir beschäftigt, weil er wohl noch nie «europäische Haare» geschnitten hatte. Und dann, als der Muezzin zu singen anfing, kniete er sich wortlos gegen Mekka und betete ca. 15 Minuten lang. Auch die anderen Mitarbeiter und Kunden machten mit. Ich sass einfach auf meinem Stuhl, schloss die Augen und genoss den Moment.
Wie bist du eigentlich auf die Idee für die verrückte Velofahrt gekommen?
Eigentlich wollte ich Afrika schon auf meiner ersten langen Velofahrt besuchen, doch dann ergab sich ein Projekt in der Schweiz und ich kehrte zurück. Dann suchte die Getränkefirma «Vivi Kola» jemanden, der die Kola-Nuss, die in Kamerun sehr verbreitet ist, in die Schweiz holt.
Und, hast du die Nuss noch dabei?
Ja. Allerdings ist sie mittlerweile schwarz und klein geschrumpft. Aber ich hab mir im Senegal noch weitere besorgt. Die ist frisch und knackig. Und ich habe auch schon eine Nuss gepflanzt. Bisher gedeiht das Bäumchen.
Du kanntest Afrika vorher nicht. Wie hast du dich vorbereitet?
Neben dem EDA-Check und dem Sicherheitsbeauftragten nicht gross. Ich las auch keine Bücher von Leuten, die schon Ähnliches machten. Das beeinflusst zu sehr und ist dann ein bisschen wie «Lonely-Planet-Reisen». Ich gehe lieber vor Ort und rede mit den Einheimischen, die wissen alles. Zudem ist es schwierig, sich über die besuchten Regionen im Internet zu informieren. Da findest du praktisch nichts. Ich war hier in absoluten Traumlodges, aber im Internet hätte ich die niemals gefunden.
Das hat immer geklappt?
Nun, umdrehen musste ich nie, weil eine Strasse plötzlich aufhörte. Aber geflucht habe ich manchmal natürlich schon.
Die Strässchen führten also immer irgendwo hin.
Ja, eigentlich schon. Allerdings gab es auch schräge Augenblicke. An der Grenze von der Elfenbeinküste nach Guinea zeigte mein Garmin ein Dorf an. Aber da war alles ausgestorben. Das war im ersten Moment etwas doof, weil ich da auf Verpflegung gehofft hatte. Vielleicht war die Ebola-Epidemie vor ein paar Jahren schuld, ich fand auf jeden Fall nicht heraus, warum niemand mehr da war.
Gab es nie einen Moment, in dem du dich fragtest: Was mache ich hier eigentlich?
Doch, im Flugzeug von Zürich nach Kamerun (lacht). Auf dem Velo hatte ich gar keine Zeit, mir zu viele Gedanken zu machen. Du bist die ganze Zeit mit Staunen und Erleben beschäftigt. Und sowieso: Ich wusste, die Schweiz liegt vor mir, anders als mit weiterfahren würde ich eh nie ankommen. Den «Anschiss» hatte ich nie.
Was macht das Velofahren für dich aus?
Du bist mittendrin. Keine Autoscheibe, die dich von der Umwelt trennt. Du hörst die Umgebung, du riechst sie und du erarbeitest dir das Ziel. Das ist ein super Gefühl. Dieses «Ich habe es geschafft», so ein bisschen das Höhlenmensch-Gefühl – das ist unbezahlbar. Ich hatte manchmal Tränen des Glücks in den Augen und konnte nicht aufhören zu smilen.
Und was nimmst du von der Reise für dein Leben mit?
Was mich schon bei der letzten Reise massiv nachhaltig
geprägt hat, ist die Ruhe, die ich in mir drin habe. Wir haben in der Schweiz immer Angst um die Sicherheit. Aber ich weiss, es kommt schon gut.
Hast du keine Bedenken, dass du zurück in der Schweiz in ein Loch fällst?
Nein. Ich habe eine Arbeit, die mir Spass macht und ich habe mich in den letzten Jahren etwas aus dem Hamsterrad befreit, das sich immer um Geld, Besitztum und Ansehen dreht. Klar habe ich noch immer eine Wohnung und so, aber seit ich reise, mache ich mir nie mehr einen Stress oder Angst. Ich nehme mir Zeit, mein Leben zu organiseren und das zu machen, was ich will.
Würdest du eine solche Reise zur Nachahmung empfehlen?
Vermutlich nicht jedermann. Aber es muss ja nicht gleich so etwas Grosses sein. Eine Velotour für zwei bis drei Wochen kann ich allen ans Herz legen.