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Colognas Arzt über Doping: «Lege für keinen Athleten die Hand ins Feuer»

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Colognas Teamarzt über Doping: «Ich lege für keinen Athleten die Hand ins Feuer»

Vor dem Weltcupstart erklärt Patrik Noack, der Teamarzt von Dario Cologna, seine Sicht auf die aktuelle Doping-Diskussion. Und über seine Erwartungshaltungen an das Schweizer Langlauf-Team.
26.11.2016, 10:5426.11.2016, 10:56
Rainer Sommerhalder / Nordwestschweiz
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Sportarzt Patrik Noack (l.) zusammen mit Dario Cologna bei der Dopingkontrolle nach dessen Olympiasieg in Sotschi.
Sportarzt Patrik Noack (l.) zusammen mit Dario Cologna bei der Dopingkontrolle nach dessen Olympiasieg in Sotschi.Bild: ho

Am Samstag starten die Schweizer Langläufer mit Teamleader Dario Cologna in den Weltcupwinter. Vor der Saison drehten sich die Diskussionen vor allem um die norwegischen Klassenbesten Martin Johnsrud Sundby und Therese Johaug, die sich Ärger mit Dopingtests einfingen, und um die russischen Staatsdoper bei den Winterspielen in Sotschi. Grund genug, um das Scheinwerferlicht vor dem Start für einmal auf den Schweizer Teamarzt Patrik Noack zu richten. Der Ostschweizer hat die Fälle in Norwegen und Russland verfolgt und vertritt eine klare Meinung.

In Norwegens Langlaufteam standen zuletzt zwei Sportärzte im Scheinwerferlicht, welche jeweils die Verantwortung für eine positive Dopingprobe von Martin Johnsrud Sundby und Therese Johaug übernahmen. Wie haben Sie die beiden Fälle erlebt?
Patrik Noack: Beginnen wir bei Sundby. Da ging es um den Asthmawirkstoff Salbutamol, dessen Grenzwert man nicht überschreiten soll. Die aufgenommene Dosis darf nicht höher als 1600 Microgramm innerhalb von 24 Stunden sein. Bei Sundby waren es 15 000 mcg. Ich glaube, ich habe weder in der Hausarztmedizin noch im Spital derart hohe Dosen erlebt. Sagen wir es deshalb so: Ich finde den Fall etwas speziell. Auch im Schweizer Team haben wir bei einem Asthma, das sich nicht beherrschen lässt, teilweise Nassinhalationen gebraucht. Aber stets in Konzentrationen, die unter den 1600 mcg lagen. Etwas erstaunt war ich, dass danach ein grosses Geschrei über die Nassinhalation gemacht wurde und nicht über die doch sehr hohe Salbutamol-Konzentration bei Sundby. Diese Diskussion geht am eigentlichen Thema vorbei!

Und bei Johaug?
Auf der Verpackung dieser Sonnencreme prangt ein Verbotsschild mit einem Dopinghinweis. Spätestens beim Lesen des Inhaltsstoffes «Clostebol» sollten bei jedem Arzt die Alarmglocken läuten, denn die Endung «ol» deutet auf einen anabolen und damit gemäss Anti-Doping unerlaubten Wirkstoff hin. Erneut ist ein norwegischer Arzt hingestanden und hat die Verantwortung übernommen. Und mit Fredrik Bendiksen nicht irgendein Mediziner, sondern eine geschätzte und hoch dekorierte Kapazität mit viel Erfahrung an diversen Grossanlässen. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass einem Fredrik Bendiksen ein solcher Fehler passiert.

Norwegian three-time Olympic cross-country skiing medalist Therese Johaug reacts during a press conference in Oslo, Thursday, Oct. 13, 2016. Acording to the Norwegian Ski Federation Johaug has tested  ...
Theres Johaug spricht an einer Pressekonferenz über ihre positive Dopingprobe.Bild: AP/NTB scanpix

In beiden Fällen hat ein Arzt die Verantwortung für ein Fehlverhalten des Athleten übernommen. Ist das nun nobel oder irritierend?
Irritierend. Letztlich muss auch dann der Athlet hinstehen, wenn ein Arzt den Fehler auf sich nimmt. Die Verantwortung liegt immer beim Athleten.

Ist ein Fall Johaug auch im Schweizer Team denkbar?
Erstens haben wir im Kader immer einen Koffer mit Medikamenten dabei, den wir selber zusammenstellen. So wissen die Athleten, dass sie im Ausland nicht in einer Apotheke etwas besorgen müssen. Dazu gibt es von Antidoping Schweiz eine internationale Wirkstoffliste, wo jeder genau sieht, ob ein Inhaltsstoff auf der Dopingliste steht. Und wenn einmal der Fall eintrifft, dass ein Athlet ein im Ausland gekauftes Medikament einnehmen muss, dann schickt er mir im Voraus immer ein Foto des entsprechenden Mittels und der Packungsbeilage. Dieses wird wirklich sehr, sehr gut überprüft. Selbstverständlich ist man nie 100 Prozent vor etwas geschützt, aber die Wahrscheinlichkeit ist bei Einhaltung dieses Ablaufs sehr klein.

Im Sog der Asthma-Problematik bei Sundby musste sich auch Cologna erklären und detailliert Auskunft über seine Verwendung eines Asthma-Sprays geben. Finden Sie diese öffentliche Einsicht quasi in die Patientenakte okay oder geht das zu weit?
Die Entscheidung liegt beim Sportler. Wenn jemand im Rampenlicht steht, gehört ein gewisser Wille zu Transparenz dazu. Man sieht ja teilweise auch, dass die Athleten einen Asthmaspray benutzen. So etwas müssen sie nicht vor der Öffentlichkeit verstecken.

Mit den beiden Beispielen der norwegischen Langlauf-Dominatoren kommt die Frage auf, wie weit der Einfluss respektive die Verantwortung eines Sportarztes geht?
Die Verantwortung liegt in der Prävention. Die Aufklärung über Themen wie Antidoping gehört hier dazu. Immer wenn es Neuerungen oder Änderungen gibt, orientiere ich die Athleten und auch die Trainer. Deshalb begrüsse ich es, wenn die jährlich stattfindende sportärztliche Untersuchung möglichst weit in den Jugendbereich hineingeht.

Hat sich die Arbeit eines Mediziners im Spitzensport in den letzten 20 Jahren gewandelt?
Die Arbeit des Arztes an und für sich hat sich verändert. Jeder Patient kann sich heute ungleich mehr und vielfältiger informieren. Man kann heute als Arzt nicht mehr einfach sagen: So ist es, so machst du es und gut! Damit kommt man bei keinem Athleten mehr durch. Gegenüber dem Athlet nimmt man als Arzt immer mehr eine beratende Rolle ein. Entscheiden tut der Sportler.

Patrik Noack
Der 42-Jährige aus Rorschach war bereits an fünf Olympischen Spielen als Arzt im Schweizer Medical Team dabei, zuletzt in Rio als stellvertretender Leiter. Für die Winterspiele 2018 in Pyeongchang ist der ehemalige Mittelstreckenläufer erstmals als «Chief Medical Officer» vorgesehen. Noack praktiziert am Medbase-Zentrum für Medizin und Sport beim Säntis-park in Abtwil. Daneben engagiert er sich als Team- und Stützpunktarzt bei verschiedenen Schweizer Sportverbänden: Triathlon (seit 2005), Langlauf (2007), Bob (2012), Mountainbike (2014) und Leichtathletik (2015). (rs)

Wie weit ist Doping ein Thema in Ihrer Arbeit?
Bei der Aufklärung ist es ein Thema. Dass ein Athlet mit konkreten Fragen zu Dopingpraktiken an mich herantritt, ist mir persönlich noch nie passiert. Dies hat vielleicht auch mit meinem Ruf zu tun. Es ist bekannt, dass ich mit Antidoping Schweiz zusammenarbeite. Man kennt meine Prinzipien.

In Russland sollen Teamärzte im Auftrag des Staates Sportler gezielt gedopt haben. Waren die Enthüllungen rund um die Spiele von Sotschi auch für Sie ein Schock?
Es kam nicht ganz unerwartet. Die Athleten reden ja viel. Und ich selber war ja auch in Sotschi, sass bei Dopingkontrollen, habe während Vorbereitungen oder nach Wettkämpfen mit den Sportlern diskutiert. Man erhält bisweilen schon vor Ort einen gewissen Nebengeschmack, der nicht so toll ist. Wenn beim 50-Kilometer-Langlauf gleich drei Russen mit Abstand vor allen anderen Nationen ins Ziel kommen, dann denkt man zuerst an einen Vorteil beim Material, aber die Diskussionen gehen dann halt weiter. Man muss auf der einen Seite aufpassen, dass man niemanden vorverurteilt. Auf der anderen Seite gibt es durchaus Details, welche das Bild für uneingeschränktes Vertrauen verzerren. Zum Beispiel das nicht optimale Testing der Athleten in Sotschi. Wenn sich Fehler beim Testing summieren, hinterlässt das bei mir ein ungutes Gefühl.

Pflegen die Teamärzte bei internationalen Grossanlässen eigentlich einen Austausch?
Das ist so. Wir haben zum Beispiel den «Club of Five» mit der Schweiz, Norwegen, Schweden, Holland und Belgien. Hier kooperieren sowohl die jeweiligen Chefs de Mission wie auch die Teamärzte. Nach Sotschi hat dieser Club of Five ein gemeinsames Statement verfasst, dass man in vielen Punkten mit den Dopingkontrollen an den Spielen nicht einverstanden war. Dieses Schreiben ging auch ans IOC. Die Resonanz ist aber ernüchternd, vieles verläuft im Sand.

Patrick Noack an den Olympischen Spielen in Rio im Gespräch mit Jolanda Neff.
Patrick Noack an den Olympischen Spielen in Rio im Gespräch mit Jolanda Neff.

Gibt es auch Austausch mit russischen Medizinern?
Eher nicht. Das Problem ist die Sprache. In Sotschi musste ich zum Beispiel mit einer Athletin ins Spital. Der behandelnde Arzt verstand kein Wort Englisch. Das hat mich ein wenig erstaunt, schliesslich ist die medizinische Literatur grösstenteils in englischer Sprache.

Dieses Wochenende beginnt die Weltcupsaison im Langlauf. Mit den russischen Athleten, die vielleicht betrogen haben und noch immer betrügen. Mit Teambetreuern, die das Ganze orchestriert haben. Eine unbefriedigende Vorstellung.
Es ist eine Katastrophe. Da publiziert man vor Rio die Erkenntnisse der Nach-Analysen zu den Winterspielen von Sotschi und vor der Saison Ende November sind noch immer keine Namen bekannt. Für mich ein absolutes No-Go! Hier muss man sowohl das IOC wie auch die FIS, die meines Erachtens zu wenig Druck gemacht hat, scharf kritisieren. Es verzerrt unter Umständen die ganze Saison. Was passiert, wenn einige Athleten nachträglich gesperrt und deren Resultate dieses Winters aberkannt werden? Für den Sport ein katastrophales Szenario.

Jetzt auf

Zurück zum Schweizer Team: Was erwarten Sie in dieser Saison von Dario Cologna und Co.?
Vor allem auch Co.! Wenn man die Leistungstests betrachtet, haben sehr viele junge Athleten eine verheissungsvolle Entwicklung gemacht. Bei Dario ist nach der letzten Saison klar, dass eine gewisse Nervosität spürbar ist und eine kleine Verunsicherung zuerst durch Resultate eliminiert werden muss. Ich hoffe auf einen guten Saisonstart.

Können Sie die Hand ins Feuer legen, dass Dario Cologna seine Leistungen ausschliesslich mit legalen Mitteln erbringt?
Aufgrund der Leistungstests und der Kontrollen habe ich ein sehr gutes Gefühl, aber die Hand ins Feuer lege ich für keinen Athleten. (aargauerzeitung.ch)

Der Schweizer Langlaeufer Dario Cologna, aufgenommen waehrend eines Trainings, am Donnerstag, 10. November 2016, auf der Flueelaloipe in Davos. (KEYSTONE/Gian Ehrenzeller)
Dario Cologna blickt dem Weltcup-Winter zuversichtlich entgegen.Bild: KEYSTONE
Bei Dario Cologna ist alles auf die Weltmeisterschaften ausgerichtet
Dario Cologna hat bei internationalen Grossanlässen bewiesen, dass er es versteht, sich just zum richtigen Zeitpunkt in Topform zu bringen. Sechs Medaillen – davon viermal Gold – gewann der 30-Jährige seit 2010 bei Olympia und WM. An den Weltmeisterschaften vom 22. Februar bis 5. März 2017 im finnischen Lahti soll das nächste Edelmetall dazukommen. «Wenn ich in Topform bin, kann ich alle schlagen», macht der Bündner Ausnahmeathlet schon mal eine satte Ansage an die Konkurrenz.

Etwas vorsichtiger sind seine Prognosen, wenn es um zwei weitere Trophäen in diesem Winter geht – die Tour de Ski und den Gesamtweltcup. Beide hat Cologna bereits viermal gewonnen. Seine Zielsetzung bei der Tour de Ski macht der Münstertaler vom Auftakt abhängig. «Grundsätzlich bin ich eher vorsichtig, weil die Belastung von sieben Rennen in neun Tagen für meine Wade ein Risiko darstellt», sagt der Schweizer Teamleader.

Er will die WM nicht durch eine an der Tour de Ski aufgelesene Verletzung oder Krankheit gefährden. Andererseits könne sich die Ausgangslage je nach Verlauf der Tour doch noch ändern. «Wenn ich sehe, dass ein Gesamtsieg möglich wird, dann strebe ich ihn auch an. Aber nicht um jeden Preis.»

Auch punkto fünftem Gesamtsieg in seiner elften Weltcupsaison kommuniziert Dario Cologna defensiv. Einerseits sei bekannt, dass er Anfang Saison jeweils einige Rennen brauche, um den Rhythmus zu finden. Andererseits verzichtet er wegen der WM bewusst auf die vorolympischen Rennen Anfang Februar in Pyeongchang. Der Reisestress mit der Zeitumstellung rauben zu viel Energie, meint er. Stattdessen wird sich Cologna in seiner Heimat Davos mit einem Trainingsblock in der Höhe gezielt auf die WM vorbereiten.

Im Schweizer Langlaufteam hegt mit der Berner Oberländerin Nathalie von Siebenthal eine weitere Athletin leise Hoffnungen auf einen Podestplatz im Weltcup. Nach drei siebten Rängen in der zweiten Hälfte des Vorwinters träumt die 23-Jährige vom Exploit. Erste Priorität hat aber die Bestätigung ihrer bisher stärksten Saison. (rs)
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