Rang 8 nach dem ersten Viertel der Super-League-Saison: Das ist bestimmt nicht das, was sich Klub und Fans des FC St.Gallen vorstellen. Zur sportlich ernüchternden Phase kommt hinzu, dass die aktuelle Mannschaft eine austauschbare Ansammlung von Fussballprofis ist. Goalie Daniel Lopar ist die einzige Identifikationsfigur, hinzu kommen mit den talentierten Verteidigern Roy Gelmi und Silvan Hefti zwei Spieler aus dem eigenen Nachwuchs. Der grosse Rest: Söldner samt und sonders.
In dieser tristen Zeit ist der Zuzug von Tranquillo Barnetta per 1. Januar 2017 doppelt Gold wert. Denn der Mittelfeldspieler ist in St.Gallen mehr als bloss ein 75-facher Nationalspieler. Mehr als bloss einer, der zwölf Jahre lang im Ausland spielte. Er ist der verlorene Sohn. An ihn sind Sehnsüchte verknüpft. Erinnerungen an schönere Zeiten im schönen Espenmoos. Barnetta hat in der Ostschweiz den Status eines unantastbaren Fussballgotts, nicht mehr und nicht weniger. Er füllt eine Lücke, die in St.Gallen seit dem Abgang von Marc Zellweger verwaist war.
Als «Zelli» die Ostschweizer kurzzeitig verliess, um sich in Köln zu versuchen, erbte der junge NLA-Debütant Barnetta dessen Rückennummer 17. Nach Zellwegers Rückkehr wird diese beim FC St.Gallen nicht mehr vergeben. «Quillo» wird deshalb bei seiner Rückkehr mit der 85 spielen, seinem Jahrgang.
Als junger Fussballer zog Barnetta 2004 aus, um die Welt zu erobern. Er schaffte es immerhin zum unbestrittenen Bundesliga-Spieler, spielte in der Champions League, war jahrelang eine Stammkraft in der Schweizer Nationalmannschaft. Dabei blieb Barnetta stets am Boden, er trat bescheiden auf und machte keinen Hehl aus seiner Liebe zur Olma, zum St.Galler Openair, zur Stadt, in der er aufwuchs. Geschichten von absolut glaubwürdigen Erzählern bestätigen, dass Barnetta weiss, wie man die St.Galler Feste feiert.
Stets kündigte er an, in der Schweiz nur für einen Klub spielen zu wollen: Für den FCSG. Dass Barnetta nun Wort gehalten hat, ist sehr viel wert in der heutigen Welt, in der Fussballprofis das Image von egoistischen Abzockern haben.
Dass ein einzelner Spieler nicht aus einem Abstiegskandidaten einen Europacup-Teilnehmer machen kann, wissen sie auch in St.Gallen. Trotzdem werden die Erwartungen riesengross sein – und das nicht zu Unrecht. Denn Barnetta ist beileibe kein abgehalfterter Altstar. Er kehrt als 31-Jähriger in die Schweiz zurück, ist noch im Saft, spielt in der MLS eine tragende Rolle. In einer Liga, die von der Spielstärke her vergleichbar mit der Super League scheint. Ein fitter Tranquillo Barnetta hat absolut das Potenzial, ein dominierender Spieler der Schweizer Liga zu sein. So wie es Alex Frei, Marco Streller und Benjamin Huggel waren, als sie aus der Bundesliga zurück zum FC Basel wechselten.
Aber der FCSG profitiert nicht nur sportlich von Barnetta. Der Transfer verspricht noch mehr Zuschauer. Das erste Heimspiel wird wohl ausverkauft sein; jeder Fan ist heiss darauf, den Liebling wieder in Grün-Weiss zu sehen. Zudem bedeutet der Zuzug auch, dass einige Trikots mehr verkauft werden.
Dass Nägel mit Köpfen gemacht wurden, ist aber vor allem auch als ein Zeichen von Klubboss Dölf Früh zu sehen. Er will nicht nur verwalten. Er macht klar: St.Gallen will etwas erreichen. St.Gallen will zu den besten vier, fünf Klubs im Land gehören und nicht mehr primär gegen den Abstieg spielen müssen.
Tranquillo Barnetta bringt neuen Schwung ins St.Galler Spiel. Aber er sorgt in allererster Linie dafür, dass ein farbloses Team endlich wieder ein Gesicht erhält. Er ist die Ostschweizer Antwort auf David Beckham: Der Popstar des englischen Fussballs zog einst aus, um die amerikanische Major League Soccer besser und bekannter zu machen. Tranquillo Barnetta kehrt dieser MLS nun den Rücken, um den FC St.Gallen wieder grösser zu machen. Einen besseren Transfer hätte der Klub nicht tätigen können.