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Du willst nur das Beste? Voilà:
Vielleicht ist meine Beziehung zur Champions League nach über 20 Jahren mittlerweile einfach etwas zu abgestumpft und wir geben uns beide nicht mehr so Mühe. Sie will immer noch mehr und nur das Allerbeste ist ihr gut genug. Ich hingegen erfreue mich öfters auch an anderem. Regionalfussball natürlich, aber auch Biken oder Wandern.
Damals, als wir neu zusammen kamen, war ich natürlich über beide Ohren verliebt. Ich habe den Final der ersten Austragung 1993 noch heute präsent. Es war sowas wie unser erster Kuss. Marseille und Milan standen sich im Münchner Olympiastadion gegenüber. Zwei meiner absoluten Lieblingsteams.
Das grosse Milan mit den drei Holländern und Jean-Pierre Papin, OM mit Jocelyn Angloma, Marcel Desailly und vor allem Abédi Pelé. Was für ein Fussballer, dieser Pelé! Hatte ein lustiges Zöpfli im Haar – was ich an der Schwelle zum Teenager unfassbar cool fand –, hiess wie der Grösste aller Zeiten, war aber Ghanaer. Später wechselte er einst zu 1860 München, weil er meinte, das seien die Bayern – herrlich.
Ich konnte mich fast nicht entscheiden. Für mich das Beste vom Besten auf einem Fussballfeld. Besser wäre nur noch gewesen, wenn irgendwie drei Teams im Finale gleichzeitig gespielt hätten. Liverpool hätte das Trio komplettiert. Hui, war ich aufgeregt! Ein bisschen mehr schlug mein Herz für die Franzosen. Wegen Pelé und auch wegen Basile Boli, dem knallharten Verteidiger. Und dann kurz vor der Pause: Eckball Pelé, wuchtiger Kopfball Boli. 1:0. Spiel entschieden. Gefühlsexplosion.
Die Liebe packte mich danach endgültig und hielt mich eng umschlungen. Während Jahren hätte um mich herum die Welt untergehen können, Hauptsache ich konnte Champions League gucken. Was anderes machen ab 20.45 Uhr? Völlig undenkbar. Ich war hin und weg.
Blind vor Liebe blendete ich aus, dass die Königsklasse damals nur aus acht Teams bestand und all die wirklich grossen Teams selten zu Gast waren. In der Saison 1992/1993 kam es in der Gruppenphase zu Partien wie Brügge gegen ZSKA Moskau (1:0 und 1:2) oder IFK Göteborg gegen den PSV Eindhoven (3:0 und 3:1).
Heute könnte die Champions League in den heissesten Hauch von Nichts von Victoria's Secret schlüpfen. Ich würde mir niemals eine Partie zwischen Brügge und ZSKA oder Göteborg und Eindhoven anschauen. Oder übersetzt auf die Ausgabe 2016/17: Porto gegen Kopenhagen oder Lyon gegen Dinamo Zagreb.
Noch schlimmer sind allerdings Partien wie Bayern gegen das völlig überforderte Rostov (5:0). Barcelonas Gala gegen Celtic (7:0) oder Dortmunds Machtdemonstration bei Legia Warschau (6:0) und eigentlich auch Gladbachs Offenbarung bei Manchester City (0:4). Da frag ich mich: Und was hat das jetzt genau mit Königsklasse zu tun? Wem macht denn das noch Freude? Rostov vielleicht, weil sie einmal im Leben gegen Bayern München spielen dürfen. Oder Legia Warschau, weil für einmal der Glamour von Borussia Dortmund zu Besuch kommt. Noch in 50 Jahren werden sich die Fans das erzählen.
Legia Warsaw display at home to Dortmund tonight 😨 pic.twitter.com/N7Koj36nRH
— The Away Fans (@theawayfans) 14. September 2016
Es ist ein wenig wie in den ersten Runden im Schweizer Cup. Wenn der FC Bazenheid das grosse St.Gallen empfängt oder Herrliberg für das Gastspiel des FCZ eine provisorische Tribüne auf den heimischen Sportplatz stellt: Für den Underdog ist es das Spiel des Lebens, das Regional-TV besucht vor dem Spiel den Goalie des Amateurklubs bei der Arbeit auf dem Bau, die Lokalzeitung interviewt den ehrenamtlichen Finanzchef, der sich schon diebisch über die Rekordumsätze am Bratwurst-Stand freut und der Radiosender der Gegend war beim D-Junioren-Training und hat den Kids befohlen, sie sollen jetzt dreimal «Hopp Herrliberg!» in sein Mikrofon schreien.
Aber für alle anderen (Weltbürger minus Herrliberg minus Südkurve) sind die Spiele einfach nur langweilige Pflicht, bis der Wettbewerb endlich in die entscheidende Phase kommt.
So geht es mir mit der Champions League momentan auch. Wer will schon diese eindeutigen Angelegenheiten in der Gruppenphase sehen? Klar freue ich mich auch, wenn Barça genialen Fussball zelebriert. Aber andererseits: Will ich ein 7:0 sehen? Logisch kann es mal sein, dass Real Madrid sich mit einem Underdog abmüht. Aber kommen die Topteams am Ende nicht sowieso weiter?
Als ich das erste Mal von den kursierenden Plänen einer Super-Liga mit nur allerbesten Klubs hörte, fand ich die Idee doof. Egal ob zusätzlich zur Champions League oder gar als Konkurrenz und auch die Reform mit vier fixen Plätzen für die vier besten Ligen – es geht nur um noch mehr Einnahmen, noch mehr TV-Präsenz für die eh schon Reichsten.
Aber mittlerweile muss ich sagen: Macht das doch! Nennt sie Supermegagiga-Liga, oder von mir aus auch Supermegagigagaga-Liga. Ich schaue lieber zehn Mal Real Madrid gegen Borussia Dortmund, Manchester United gegen Barcelona und Juventus Turin gegen Bayern München. Diese Teams begegnen sich wenigstens auf Augenhöhe und sind wirklich «die Beeeeesten!»
Bis es soweit ist, klinke ich mich wohl sowieso aus und mache es wie beim Eishockey: Spielt meinetwegen 100 Partien in der Regular Season, ich schaue mir dann die Playoffs an. Oder im Falle der Champions League: Ich schalte mich ab den Viertelfinals wieder zu. Bis dahin nutze ich meine Zeit anders.
Gestern zum Beispiel war ich im Senioren-Training. 22 mehr oder (vor allem) weniger talentierte und noch weniger fitte Männer. Das Training musste aufgrund zweier E-Junioren-Partien auf dem Spielfeld auf 20.15 Uhr verschoben werden. Um 21.45 Uhr gingen wir duschen. Unser Portugiese freute sich, dass Sporting gegen Real 1:0 führte. Dortmund lag schon 3:0, ManCity 2:0 vorne. Schön für sie. Meine Liebe ist erloschen.
>>> Wer trotzdem alle Tore der gestrigen Partien sehen will: Hier geht's lang!