Gestern, 20.40 Uhr, ich sitze mit einem Freund in einem Pub in Alpnach. Auf der Grossleinwand läuft das Spiel der Schweizer Nati gegen Ungarn. Mit uns interessieren sich noch vier andere Personen für den Match. Vor dem Spiel sagt mein Kollege noch zu mir: «Ohne Xhaka im Mittelfeld wird es wohl schwierig. Ungarn ist eine gute Mannschaft.» Ich stimme ihm zu, dann geht's los ...
... 45 Minuten später erwache ich aus meiner fast schon gewohnten Nati-Lethargie: «Wender no öbis z'trinke?» fragt der Barkeeper. Ich überlege kurz und bestelle mir ein koffeinhaltiges Getränk, damit ich die zweite Halbzeit nicht total verschlafe.
Noch bevor die Akteure in Budapest wieder auf dem Feld stehen, frage ich: «Hast du eigentlich schon mal so ein wirklich spektakuläres Spiel der Schweizer Nati gesehen?» «Kann mich grad nicht erinnern, aber ich habe auch das Spiel gegen Portugal nicht gesehen», ist seine Antwort. Ok, gegen Portugal hat die Nati schon angedeutet, dass sie mich begeistern kann. Aber wahrscheinlich war das nur ein Strohfeuer und gegen Ungarn folgt die Ernüchterung, dachte ich.
Dann beginnt die zweite Halbzeit. Wir bekommen noch knapp zehn Minuten Vorbereitungszeit auf das, was dann passiert. Shaqiri drischt den Ball aus guter Position direkt auf den Torwart. «NEIIIII!». Aber Seferovic trifft nach dem Abpraller ins Netz. «JAAAA!». Der viel kritisierte Stürmer macht also sein Tor, er kann es noch.
So, das war's dann. Wieder ein Nati-Spiel mehr hinter mir, aber immerhin 1:0 gewonnen. Ich drehe mich um, und schaue, ob im Raucherabteil auch jemand jubelt. Naja, nicht wirklich, doch auf dem kleinen Screen hinter der Bar sehe ich plötzlich, wie Ungarn den Ausgleich feiert. Nach dem ersten kurzen Frust sage ich: «Das kann halt mal passieren. Konzentration nach einem Torerfolg und soo ...»
15 Minuten später wiederholt sich dieses Prozedere auf dem Rasen und es steht innert wenigen Minuten plötzlich 2:2. Der Frust ist etwas intensiver. Kurze Zeit später weicht der Ärger einer gewissen Ironie und Gleichgültigkeit: «Ein Punkt auswärts in Ungarn ist doch auch gut. Da wird mir Alain Sutter nach dem Spiel sicher zustimmen.»
Die letzten Minuten des Spiels laufen, mein Getränk ist inzwischen leer. Valentin Stocker wird noch eingewechselt und es folgt der Gänsehaut-Moment: Einwurf Lichtsteiner – Derdiyok mit dem Kopf – Dzemaili mit dem Kopf – Stocker schiesst – TOR! Meine Jubelschreie hallen durch das Pub. Unfassbar!
Es war diese zweite Halbzeit und dieser letzte Moment, der die Beziehung zwischen der Schweizer Nati und mir verändert hat. Trainer Vladimir Petkovic – dem ich bis jetzt nie wirklich viel Kredit gegeben habe – jubelt ausgelassen, zeigt seine Freude und Genugtuung. Es war längst nicht alles perfekt, aber es hat mich mitgerissen.
Ich bin von der aktuellen WM-Quali der Schweizer begeistert. Es geht nicht nur um die Stars wie Granit Xhaka oder Xherdan Shaqiri. Es geht um die Einheit, um die Schweiz. Sturmtalent Embolo trifft gegen Portugal, dass ohne ihren Starspieler Ronaldo keine Chance hat gegen die Schweiz. Gestern erhält auch der junge Verteidiger Nico Elvedi seine Chance – solide Leistung. Valon Behrami ackert mit seinen 31 Jahren gewohnt leidenschaftlich und Stephan Lichtsteiner führt das Team, trotz seiner schwierigen Situation im Verein, vorbildlich als Captain an. Zum Schluss wird noch Valentin Stocker zum goldenen Torschützen – sensationell!
Liebe Schweizer Nati, das Zündholz ist angezündet. Lieferst du die Bestätigung gegen Andorra, die Färöer Inseln und Lettland, so kann daraus sogar ein Feuer werden.