Die Kleinen hängt man, die Grossen lässt man laufen. Das gilt nur zu oft, im Sport wie auch im «richtigen» Leben.
Peter Sagan ist einer der Allergrössten des modernen Radsports. Gerade deshalb ist es umso erstaunlicher, dass die Rennjury der Tour de France einen mutigen Entscheid gefällt hat. Sie hat den amtierenden Strassen-Weltmeister ausgeschlossen, nachdem er im Zielsprint der 4. Etappe in Vittel den Sturz von Gegner Mark Cavendish provoziert hatte. Zunächst wurde Sagan hinter dem Franzosen Arnaud Démare Zweiter.
Auf der Zielgeraden setzte der Brite Cavendish dazu an, Sagan zu überholen. Viel Platz hatte er nicht: Links der Slowake, rechts die Absperrung. Und in die krachte Cavendish auch mit rund 60 km/h. Weil Sagan, so befand es die Rennjury, ihm mit einem Ellbogencheck den entscheidenden Stoss versetzte, der ihn aus dem Gleichgewicht brachte. In der Folge fuhren, wie es bei einem Sturz in einem Massensprint kaum zu vermeiden ist, zwei Gegner über den am Boden liegenden Cavendish.
Der Ex-Weltmeister von der Isle of Man wurde ins Spital gebracht, noch ist nicht bekannt, wie schwer er sich verletzt hat. Eine Schulter jedenfalls war dick bandagiert, als er abtransportiert wurde. «Ich bin kein Arzt, aber optimistisch bin ich nicht», sagte Cavendish, dessen rechter Zeigefinger genäht werden musste. Weiter sagte er, dass er mit Peter Sagan eigentlich gut auskomme. «Wenn er im Sprint so auf eine Seite kommt, ist das eine Sache, Stürze können passieren. Aber den Ellbogen so einzusetzen ... Wie gesagt, ich habe keine Probleme mit ihm, aber ich bin kein Fan seiner Ellbogen.»
Vom Slowaken ist noch keine Reaktion auf den Ausschluss überliefert. Nach der Zieldurchfahrt zeigten TV-Bilder, wie er sich bei Cavendishs Team entschuldigte. Sagan erklärte: «Mark kam sehr schnell von hinten. Ich konnte nicht rechtzeitig reagieren und nach links ausweichen. Er fuhr auf mich auf und prallte in die Abschrankung.»
Peter Sagan ist der Rockstar im Zirkus, von den meisten Fans geliebt, von vielen Konkurrenten weniger gemocht. «Nur weil er das Weltmeister-Trikot anhat, kann er sich nicht alles erlauben», schimpfte zum Beispiel André Greipel, der deutsche Sprinter.
Nur einen Tag nach seinem in grosser Manier errungenen Etappensieg in Longwy ist die Tour de France für Sagan vorbei. Er trat mit dem Ziel an, zum sechsten Mal in Folge das grüne Trikot für den besten Sprinter zu gewinnen. Nun wird in zweieinhalb Wochen in Paris ein anderer Fahrer in seine Fussstapfen treten.
Ihr Urteil gab die Jury rund zwei Stunden nach dem Ende der Etappe bekannt. Bis dahin rechneten wohl die wenigsten mit einem Ausschluss, der Höchststrafe. Einer wie Sagan, ein derart prominentes Aushängeschild der Sportart und auch der Frankreich-Rundfahrt, würde doch wohl kaum derart gravierend bestraft werden.
Falsch gedacht, es kam anders. Formel-1-Star Sebastian Vettel kam für sein «Foul» an Lewis Hamilton unlängst mit einer Verwarnung davon. Dem ebenso prominenten Sagan kam keine Milde zu Gute: Für einmal wurde der Grosse nicht laufen gelassen. Das ist nach Sagans Tätlichkeit im Zielsprint nicht nur der richtige Entscheid. Er ist auch einer, der den Glauben an die Gerechtigkeit im Sport festigt. Zumindest ein kleines bisschen.