Es ist wieder CSI in Zürich, eine der grössten Springkonkurrenzen der Schweiz, bei der die Weltspitze mitreitet und tausende Zuschauer ins Hallenstadion zieht. Natürlich wird auch im Sportpanorama ein Beitrag gezeigt und der Weltcup am Sonntag Live im Fernsehen übertragen. Wahrscheinlich gehörst du zu der Mehrheit, die genervt weiterzappt und froh ist, wenn das vorbei ist und endlich wieder «richtiger Sport», also Fussballspiele oder Ski-Abfahrten gezeigt werden.
Du hast keine Ahnung.
Ich bin Springreiterin und ich lebe für diesen Sport. Ja, genau: S.P.O.R.T. Das begreifen viele nicht so richtig, glauben zu wissen, dass die ganze Arbeit doch nur beim Pferd liege, wir Reiter uns nur tragen liessen. Nur weil du als Kind auf der Herbstmesse einmal zwei Runden auf einem Pony geführt wurdest, kannst du dir noch lange kein Urteil zu diesem Sport erlauben.
Vielleicht stehst du ja auf Autos, fährst den neusten BMW oder Audi oder was auch immer es da noch gibt an teuren Autos, liebst deine Karre und lässt jedesmal den Motor aufheulen, wenn ein paar schöne Frauen am Strassenrand entlangwackeln. Jeden Sonntag polierst du die Motorhaube, obwohl sie gar nicht dreckig ist.
Ich kann die Liebe zu einem Stück Metall auf vier Gummirädern ungefähr so wenig verstehen, wie du jene zu einem Pferd. Aber wenn ich es mir so überlege, haben wir zwei eigentlich ziemlich viel gemeinsam. Pass auf:
Während du deinen Freunden alle Extras im Auto erklärst, halte ich ihnen Videos meines Lieblings im Freispringen (also ohne Reite) über gigantische Hindernisse unter die Nase. Dein spezieller Lack, der die Farbe ändert, wenn die Sonne drauf scheint, macht dich genauso stolz wie mich das graue Fell meines Wallachs.
Ich putze mein Pferd Duc öfter als du dein Auto. Nämlich jeden Tag. Manchmal auch zweimal. Ich beeindrucke damit zwar keine hübschen Mädchen, aber dafür geniesse ich die bewundernden Blicke, wenn mein kleiner Showman mit erhobenem Kopf über das Turniergelände schreitet und sich von seiner schönsten Seite präsentiert.
Damit dein Auto noch ein bisschen schneller fährt, hast du den Motor getuned. Im Vergleich; ich trainiere jeden Tag, damit mein Pferd irgendwann mal die Kraft, den Mut und die Kondition hat, über hohe Hindernisse zu springen. Du siehst, wir sind uns ähnlicher als wir uns vielleicht beide wünschten.
Ja, dein Auto mag vielleicht mehr PS haben. Der Punkt geht an dich. Dafür hat mein Pferd ein Herz. Ein richtiges Herz aus Fleisch und Blut, nicht einfach einen Motor aus Stahl, der anspringt, wenn du den Schlüssel im Zündschloss drehst.
Und genau hier liegt der grösste Unterschied zwischen deiner Leidenschaft und meiner. Ein Pferd hat keinen An- und Ausknopf, Fehler lassen sich nicht in einer Werkstatt beheben, sondern bedeuten Rückschritte, das Ausprobieren anderer Methoden oder eine komplette Trainingsumstellung. Dein Auto ist dir nicht böse, wenn du es mal zwei, drei Tage in der Garage stehen lässt. Duc hingegen muss jeden Tag aus der Box geholt, geritten, gefüttert und gepflegt werden ...
Ein Pferd ist unberechenbar. Klar, ein Auto auch irgendwie, aber anders. Wenn ich im Sattel sitze, muss ich jederzeit auf etwas Überraschendes vorbereitet sein, etwas, das mein Pferd irritiert oder erschreckt. Die tägliche Arbeit, die Fortschritte sind ungefähr so unvorhersehbar wie der Stau auf der A3. So auch im Parcours: Mit dem Sieg in Reichweite, kann sich das Blatt bis zum allerletzten Sprung noch um 180 Grad wenden – Sieg und Niederlage liegen so nah beieinander, wie bei kaum einem anderen Sport.
Was im TV so einfach und leichtfüssig aussieht, bedeutet ein Höchstmass an Perfektion. Jeder Galoppsprung wird vor dem Start genauestens geplant, nichts wird dem Zufall überlassen und doch muss man sich in kürzester Zeit immer wieder auf neue Situationen einlassen können. Aber genau diese Unberechenbarkeit fasziniert mich so sehr.
Und dann das Risiko: Für viele ein Grund, sich niemals auf ein Pferd zu setzen. Für mich der Kick, den ich manchmal sogar – zum Beispiel beim Training mit ganz jungen Pferden – bewusst suche. Ich weiss nicht, wie viele Male ich schon im Dreck gelegen habe, wie oft ich nach einem Sturz an Krücken gegangen bin oder am Turnier haarscharf am Sieg vorbeischrammte. Aber nach jeder Niederlage, nach jedem Sturz wurde mir klarer, wie sehr ich an all dem hänge.
Ich bin ein begeisterungsfähiger Mensch, liebe es, neue Sachen auszuprobieren. So habe ich mich in meinem bisherigen Leben schon in einigen Sportarten versucht, nach anfänglicher Begeisterung das Interesse aber meist schnell wieder verloren: Beim Fussballspielen habe ich keine Tore geschossen, beim Schwimmen bin ich immer nass geworden, im Ballett haben sie mir gesagt, ich sei zu tollpatschig und auch das Joggen war meistens mehr Qual als Vergnügen ...
Anders beim Reiten. Dieser Sport hat mich vom ersten Moment an gepackt. Nein, als ich mit vier Jahren zum ersten Mal aufs Pferd geworfen wurde, wusste ich noch nicht, wohin mich die Reise führen wird. Heute, auf der Tribüne des CSI weiss ich: Das will ich auch machen.
Es ist schwierig, die Faszination Pferd in Worte zu fassen. Vielleicht ist es von jemandem, der lieber ein schnelles Auto in der Garage stehen hat, auch zu viel verlangt. Vielleicht muss man es selber erleben, um es fühlen zu können und das ist irgendwie auch gut so.
Aber lieber Macho im BMW i8, bevor du uns ReiterInnen und den Sport das nächste Mal herablassend belächelst, denk dran ... du bist gar nicht so anders als wir!