Der Kölner an sich ist als Frohnatur verschrien. Und wenn der «Effzeh» nach 25 Jahren endlich wieder einmal im Europacup spielen darf, dann wird das zünftig gefeiert. Ein Video, das mehrere Tausend Kölner Fans vor dem Auswärtsspiel bei Arsenal in den Gassen Londons zeigt, ging vor dem Anpfiff um die Welt:
FC Köln fans at Arsenal tonight, class support 👏🏼👏🏼👏🏼 #AFCvCOL #AFC #effzeh pic.twitter.com/OWQnHXo56w
— nathan (@nathanbwfc_) 14. September 2017
Alles sah nach einem friedlichen Fussballfest aus. Bis es vor dem Emirates Stadium zu unschönen Szenen kam. Denn der 1. FC Köln hatte nur ein Kontingent von etwa 3000 Tickets erhalten, die im Reglement vorgeschriebenen fünf Prozent für das Gästeteam. Trotzdem waren je nach Quelle bis zu 20'000 Kölner nach London gereist, um dabei zu sein. Wie der «Spiegel» berichtet, habe Arsenal entsprechende Hinweise aus FC-Kreisen nicht ernst genommen.
Die Kölner deckten sich in ihrer Not mit Billetts für neutrale Sektoren ein, wurden dann aber am Betreten des Stadions gehindert. Zu offensichtlich war, dass es sich um Auswärtsfans handelte – selbst wenn sich einige noch ein Arsenal-Trikot kauften und überstülpten. Zwischen 30 und 50 Anhänger sollen daraufhin einen Blocksturm versucht haben. Der Anpfiff wurde verschoben, auch um eine Panik zu verhindern. Schliesslich kamen die Verantwortlichen zum Schluss, dass es die sicherste Option sei, die Partie stattfinden zu lassen.
Dass man bei Arsenal davon überrascht wurde, dass Fans zu einem Fussballspiel kommen, ist eigentlich erstaunlich. Aber nur, wenn man noch nie da war.
Am vergangenen Samstag war ich selber im Emirates Stadium, beim 3:0-Heimsieg von Arsenal gegen Bournemouth. Das Stadion war eindrücklich und das Niveau der «Gunners» hoch. Doch da war noch etwas. Ein Gefühl. Noch nie kam es mir so sehr vor, als wären all die Anwesenden Kunden und nicht Fans. Und ich war wirklich schon in vielen Fussball- und anderen Sportstadien.
Das Gefühl war vor dem Spiel da, während der 90 Minuten und auch nach dem Sieg. Ohne die vielen rot-weissen Trikots hätten diese Menschen auch Konzertbesucher sein können.
Es sind mittlerweile einige Jahren vergangen, seit ich Nick Hornbys «Fever Pitch» gelesen hatte. In diesem wohl bekanntesten Fussballbuch beschreibt der Londoner sein Leben und Leiden mit dem Arsenal Football Club. Mit einem Klub, der mit dem heutigen vermutlich nicht viel mehr als Name und Logo gemein hat. Eigentlich noch nicht einmal das, das Wappen wurde zuletzt 2002 geändert. Ich habe Arsenal jedenfalls anders in Erinnerung gehabt, als ich es nun erlebt habe.
Gestern gegen Köln war auch Gordon im Stadion. Der junge Mann, Mitte zwanzig, lispelnd wie ein Rasensprenger, arbeitet für Arsenal. Stolz erwähnte er, seine ganze Familie sei schon Fan des Klubs gewesen, schon immer. Aber die Premier League könne er sich nicht leisten. Viel zu teuer. In der Europa League hingegen seien die Tickets auch für einen normalen Fan wie ihn noch bezahlbar.
Ich habe ein bisschen ein schlechtes Gewissen gekriegt, als mir Gordon dies erzählte. Denn als Fussballtourist ohne grossen Bezug zu den «Gunners» bin auch ich mitschuldig an der Entwicklung, dass die «wahren» Fans nicht mehr ins Stadion können. Als Schweizer kann ich mir das teure Vergnügen leisten.
Andererseits habe ich mich bei Klubs wie Fulham, Derby County, Brighton & Hove Albion oder Huddersfield Town nie als Störenfried gefühlt. Überall erlebte ich eine gute, eine gesunde Fankultur: Die Zuschauer litten mit ihren Stolperkönigen, freuten sich über gelungene Tacklings und bejubelten Tore. So wie es sein sollte. Bei Arsenal gegen Bournemouth hörte ich nur die Auswärtsfans.
All das sollte man wissen, wenn man nun die Geschehnisse rund um das Heimspiel gegen Köln beurteilt. Bei Arsenal scheinen sie sich nicht mehr daran gewöhnt zu sein, dass zu einem Fussballspiel auch Fans kommen und nicht einfach Kunden. Dass diese Fans sich nicht immer so verhalten, wie es vorgeschrieben ist. Dass sie sich Tickets kaufen für Sektoren, die nicht für sie vorgesehen sind. Man schätzt, dass letztlich rund 7000 Kölner im Stadion waren. Sie sorgten für eine ausgelassene Stimmung, obwohl die «Geissböcke» mit 1:3 verloren.
Cologne away fans area at Emirates stretching deep into @Arsenal section leaving home fans concerned over lack of segregation @itvfootball pic.twitter.com/xqYffilYDQ
— gabriel clarke (@gabrielclarke05) 14. September 2017
Insgesamt blieb es, soweit man das aus der Ferne beurteilen kann, friedlich. Die Polizei nahm bloss vier Personen fest. Arsenal bedauerte in einem Communiqué, dass so viele Tickets auf dem Schwarzmarkt weiterverkauft worden seien. Man habe sich an die Vorschriften gehalten, habe mit Polizei, UEFA und dem 1. FC Köln zusammengearbeitet und werde die Vorfälle nun untersuchen, um daraus Lehren zu ziehen.
Bei aller Liebe für die Fans muss festgehalten werden: Es hätte wirklich auch wüste Krawalle geben können. Man stelle sich nur kurz vor, was hätte geschehen können, wenn es sich nicht um freudestrunkene Kölner gehandelt hätte. Sondern um berüchtigte polnische, serbische oder russische Anhänger. Am 2. November kommt Roter Stern Belgrad.
Arsenals Coach Arsène Wenger sagte, er habe bisweilen daran geglaubt, dass die Partie abgesagt werde: «Wir leben in einer Gesellschaft, die zu 100 Prozent sicher sein soll, und ich dachte, die Polizei würde bestimmt keine Risiken eingehen.» Er lobte die eigenen Fans, die mit der Situation sehr gut umgegangen seien, dass ihr Heim-Block gekapert wurde. Wenger fragte sich, wie die Kölner zu so vielen Tickets gekommen waren: «Ich weiss nicht, wie sie es angestellt haben. Aber sie waren sehr gut darin.»
In England staunen sie währenddessen darüber, welch leidenschaftliche Anhänger Köln hat. Nicht zum ersten Mal – und sicher nicht zum letzten Mal – blicken sie gerade mit viel Wehmut rüber von der Insel. Denn selbst wenn auch in der Bundesliga viele Entwicklungen in eine Richtung gehen, die von den Fans kritisiert wird: In deutschen Stadien sind sie immer noch das Fundament und mehr als Konsumenten eines Events.
Wer gestern Abend bei Arsenal – Köln im Stadion war, dürfte dieses Erlebnis nicht so schnell vergessen. Und darum sollte es doch beim Fussball gehen.