Ich mag den FC Chelsea nicht. Im Juli 2003 kaufte der russische Milliardär Roman Abramowitsch den englischen Traditionsklub. Rund zwei Milliarden hat er seither in die «Blues» gesteckt – und Geld schiesst Tore. Abramowitschs Kohle hat dem FC Chelsea vier Meister-, ein Europa-League- und ein Champions-League-Titel beschert. Dafür ist die Seele des Vereins, die Tradition, auf der Strecke geblieben.
Deshalb mag ich auch die anderen neureichen Klubs, die mit Geld nur so um sich schmeissen, nicht. Manchester City ? Wäh! Paris St-Germain? Mon Dieu! Ja, ich mag nicht einmal mehr Manchester United, seit sich dort die Glazer-Family aus den USA eingenistet hat und wahnwitzige Transfers (Stichwort: Angel Di Maria, Paul Pogba) ermöglicht.
Doch am wenigsten mochte ich RB Leipzig. Mochte? Wieso jetzt plötzlich Vergangenheitsform? Ich muss ausholen ...
Ich mochte RB Leipzig vor allem wegen der Skrupellosigkeit des Red-Bull-Konzerns nicht. Da kauft ein milliardenschwerer Brausegetränkehersteller das Liga-Startrecht eines Leipziger Fünftligisten, um sich so Zugang zum noch milliardenschwereren Fussballgeschäft zu erschleichen, um einen Retortenverein mit grossem finanziellen Aufwand an die Bundesliga-Spitze zu hieven.
Klub-Mäzen Dietrich Mateschitz hat seit der Vereinsgründung 2009 unzählige Brause-Millionen in den Verein gebuttert. So konnten vor der Saison rund 50 Millionen Euro in neue Spieler investiert werden. Für einen Aufsteiger eher ungewöhnlich.
An der Legalität des Beginns des beispiellosen Aufstiegs bestehen bis heute berechtigte Zweifel, an der Zielsetzung der Verantwortlichen nicht im Geringsten. RB Leipzig ist ein reiner Werbeverein und dient ausschliesslich dazu das Aufputschgetränk mit dem künstlich-süssen Geschmack noch bekannter zu machen. So was kann man doch nicht mögen! Richtig! Und das mag ich noch immer nicht.
Und trotzdem hat sich in den letzten Wochen bei mir so etwas wie Sympathie für RB Leipzig breit gemacht. Gegen meinen Willen, ich schwör's. Aber den Fussball, den die Leipziger in der Bundesliga momentan zeigen, den muss man irgendwie einfach mögen.
Der flexible, temporeiche, aufsässige, ansteckende Angriffsfussball, den Trainer Ralph Hasenhüttl spielen lässt, erinnert an das Borussia Dortmund von Jürgen Klopp zu dessen besten Zeiten. Ein Haufen junger Wilder verschreibt sich mit Leib und Seele dem zügellosen Offensiv-Fussball. Dabei zuzuschauen macht einfach Spass, Brauseklub hin oder her.
Hinzu kommt, dass Leipzig im Gegensatz zu vielen Traditionsvereinen in Deutschland, England oder sonstwo seriös wirtschaftet. RB hat einen Masterplan, der nichts dem Zufall überlässt. Es wird nicht mit Geld um sich geworfen. Verpflichtet werden ausschliesslich hoffnungsvolle, junge Talente, die allerdings auch ihren Preis haben. Kommt es dabei aber zu einem Wettbieten, macht der Retortenklub nicht mit. Wie bei Breel Embolo, den man im Sommer zu Schalke 04 ziehen liess, weil die Ablösesumme die eigenen Vorstellungen bei Weitem überschritt.
Ist Leipzig also wirklich so viel schlimmer als die Schalkes, Dortmunds oder Liverpools dieser Welt? Ist Red Bull so viel schlimmer als VW, Bayer, Audi, Gazprom oder all die Premier-League-Investoren? Immer wieder erwische ich mich in letzter Zeit, wie ich mir diese Fragen stelle. Die Antwort lautet: Jein. Einerseits haben sich die sogenannten Traditionsklubs ja auch komplett dem Kommerz verschrieben. Ich denke da an Werbetouren nach Asien oder in die USA, an immer höhere Fernsehgelder oder vorangetriebene neue Champions-League-Formate.
Klar, am Ende bleibt Leipzig der auf dem Reisbrett entstandene Retortenverein ohne Tradition. Aber dennoch freue ich mich derzeit mehr, dass die Bundesliga dank Leipzig nach knapp einem Drittel so spannend ist wie schon lange nicht mehr und die Bayern endlich wieder einen neuen Herausforderer haben. Mist, ich bin schwach geworden ...
P.S. Wie steht es eigentlich um die Akzeptanz von RB Leipzig? Das Stadion ist bei jedem Spiel ausverkauft. Vor allem ältere Leute und Familien, die mit dem Fussball im Osten nicht nur gute Erfahrungen gemacht haben, sind unter den durchschnittlich 41'191 Zuschauern. Hier können sie ohne Angst vor Hooligans und Krawalltypen ins Stadion gehen. Ein Fakt, der so manch anderem Klub zu denken geben sollte.