Bleiben oder gehen? Nestwärme oder ein paar PS mehr in einem Team der kalten Herzen? Die PS-Taube auf dem Dach oder den Spatz der familiären Atmosphäre in der Hand? Die Höllenmaschine eines eigenwilligen Schweizer Konstrukteurs (Eskil Suter) oder die eines grossen Töffkonzerns (KTM) fahren?
Seit Wochen trieben die Fragen um die Zukunft von Dominique Aegerter die Töffwelt um. Erst recht nach dem grandiosen Sieg des Schweizers beim letzten GP in Misano. Er war zuletzt der einzige Siegfahrer im ganzen GP-Zirkus, der für die nächste Saison noch keinen Vertrag hatte.
Nun hat sich Dominique Aegerter nach langem Hin und Her und einigen weiteren schlaflosen Nächten entschieden. Er bleibt eine zweite Saison im Team von Jochen und Stefan Kiefer und kehrt nicht zu Fred Corminboeuf zurück.
Warum keine Rückkehr? Immerhin fährt ja Tom Lüthi unter dem Dach von Fred Corminboeuf um den WM-Titel und nächste Saison hätte Dominique Aegerter in diesem Team die KTM fahren können, die eigentlich für Tom Lüthi vorgesehen war.
Aber der Vertrauensbruch im letzten Herbst – Rausschmiss vier Rennen vor Schluss – war einfach zu gross. Und noch grösser ist die Ungewissheit um die finanzielle Lage dieses Teams, das mit Tom Lüthi (nächste Saison in der Königsklasse MotoGP) alle wichtigen Geldgeber und besten Techniker verliert. Diese Unsicherheit um die Finanzierung und um das technische Personal war neben den negativen persönlichen Erfahrungen mit Fred Corminboeuf ein wichtiger Punkt bei der Entscheidung.
Und es ist eben nicht alles Gold, was glänzt: Tom Lüthi funktioniert in diesem Team nur, weil er mit seinen Gewährsleuten um Cheftechniker Gilles Bigot längst ein Team im Team bildet, das gelernt hat, Teamchef Fred Corminboeuf einfach zu ignorieren. Gilles Bigot hat bereits im letzten Frühjahr seine Anteile am Team verkauft und alle geschäftlichen Verbindungen mit Fred Corminboeuf aufgelöst.
Der Entscheid, bei Stefan und Jochen Kiefer zu bleiben, wo sich Dominique Aegerter wohl fühlt, ist also nicht nur ein Entscheid des Herzens. Es ist letztlich auch ein Entscheid des Verstandes. Nach dem Sieg in Misano zeichnet sich eine bessere Finanzierung des Teams ab, die für nächste Saison umfangreichere technische Entwicklungsarbeiten möglich macht. Am Knowhow fehlt es sowieso nicht. Die beiden Deutschen sind seit Jahren im GP-Geschäft und haben unter anderem 2011 mit Stefan Bradl die Moto2-WM gewonnen.
Bei Fred Corminboef hätte Dominique Aegerter zwar die Unterstützung und das Knowhow von KTM bekommen – aber in der Hierarchie des österreichischen Motorradwerkes wäre er hinter den zwei offiziellen Werksfahrern Brad Binder und Miguel Oliveira halt nur die Nummer 3 gewesen.
Bei Eskil Suter ist Dominique Aegerter hingegen die Nummer 1. Und so oder so sind die Unterschiede der Maschinen in der Einheitsklasse Moto2 (für alle die gleichen Reifen und Motoren) gering – der entscheidende Faktor ist die Abstimmung der Maschinen, die intensive technische Betreuung (inkl. Tests) – und, natürlich, Mut und Talent des Fahrers.
Nur wenn sich der Fahrer wohl fühlt, kann er in diesem Sport am Rande der Todeszone die maximale Leistung erbringen. Bei der Ausübung dieses Sportes riskiert jeder bei jedem Training und jedem Rennen seine Gesundheit und sein Leben. Eine grössere mentale Belastung ist nicht denkbar. Die Sensibilität dieser letzten echten Kerle des Sportes wird immer wieder unterschätzt.
Wenn Eskil Suter im Winter seine technischen Hausaufgaben macht, und wenn es gelingt, die finanzielle Basis des Kiefer-Teams zu verbessern – dann wird Dominique Aegerter nächste Saison zu den Titelanwärtern zählen.
Franco Morbidelli und Tom Lüthi, die Titanen dieser Saison, steigen in die «Königsklasse» auf und Dominique Aegerter – seit der ersten Moto2-WM 2010 dabei – wird der Siegfahrer mit der grössten Erfahrung sein. Und zudem stürzt er praktisch nie. Diese Verlässlichkeit, kombiniert mit etwas Glück macht ihn, ob er will oder nicht, zu einem Titelanwärter.